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Thomas Hirschhorn – “Kunst ist Widerstand”

Kultur

Thomas Hirschhorn – “Kunst ist Widerstand”

  • Text: Dietrich RoeschmannFoto: Romain Lopez

Im Ausland beliebt, im Inland geschmäht: Künstler Thomas Hirschhorn - demnächst an der Biennale in Venedig.

Im Inland geschmäht, im Ausland geliebt: Der Agent provocateur Thomas Hirschhorn repräsentiert die Schweiz an der diesjährigen Biennale von Venedig.

Thomas Hirschhorn sitzt in einem weissen Plastikstuhl und liest seine SMS. Am Boden glimmt ein Lagerfeuer aus zwei Dutzend roten Glühbirnen. Die Kabelenden verschwinden unter einer Baumattrappe, die wie ein gestrauchelter Urwaldriese im Oberlichtsaal der Kunsthalle Mannheim liegt. Rundherum herrscht heilloses Chaos: Bretter, Latten und ramponierte Möbel türmen sich zu hohen Scheiterhaufen, an der Wand kleben Landkarten, auf denen Konfliktherde mit Feuersymbolen markiert sind. Schaufensterpuppen in Hochzeitskleidern tragen Bilder von brennenden Wäldern, Häusern, Autos, Flaggen an ihren Roben. Willkommen in der Apokalypse. Nach den aktuellen Schauen in Aarau und Bern ist die Ausstellung «It’s Burning Everywhere» Hirschhorns letzter grosser Kraftakt, bevor der heisse Sommer in Venedig beginnt.

Seit Jahren gehört Thomas Hirschhorn zu den international bedeutendsten Künstlern. Seine Werke erzielen Preise von bis zu 400 000 Franken. Zu Stosszeiten beschäftigt er in seinem Atelier im Pariser Vorort Aubervilliers über ein Dutzend Assistenten. Allein im vergangenen Jahr arbeiteten sie an den Werken für mehr als zwanzig Ausstellungen. Ob in Kapstadt, New York oder Mexico City: Der Hunger nach Hirschhorns Materialexzessen ist enorm.

In der Schweiz dagegen hielt sich die Begeisterung bislang in Grenzen. Seit der gebürtige Berner 2004 im Pariser Centre Culturel Suisse mit der Ausstellung «Swiss-Swiss Democracy» die schöne heile Welt seiner Heimat aus den Angeln hob und einen als Hund verkleideten Schauspieler das Bein über einem Porträt von Christoph Blocher heben liess, geniesst Hirschhorn zwar auch im eigenen Land einige Berühmtheit – doch die Regie darüber führt der Boulevard. Wenn der 53-Jährige nicht als Nestbeschmutzer geschmäht wird, dann als Profilneurotiker, Rechthaber, Gutmensch.

Entsprechend gross war die Überraschung, als das Bundesamt für Kultur im September 2010 bekannt gab, dass ausgerechnet Hirschhorn, der Agent provocateur, die Schweiz an der diesjährigen Biennale von Venedig vertreten wird.

annabelle: Thomas Hirschhorn, erstaunte Sie das Angebot, den Schweizer Pavillon in Venedig zu bespielen?
Thomas Hirschhorn: Nein, ich bin nie erstaunt, wenn man mich zu einer Ausstellung einlädt. Aber es macht mich glücklich.

Nach dem Skandal um Ihre Pariser Ausstellung lag eine solche Einladung nicht unbedingt nahe.
Meine Arbeit war nicht skandalös. Dieser «Skandal» wurde von den Medien fabriziert und von einigen Politikern hysterisch und ohne Überprüfung übernommen.

Wieso wird Ihre Kunst so oft als politische Provokation wahrgenommen?

Das ist ein Missverständnis oder eine Fehlinterpretation. Es kann daran liegen, dass ich mit meiner Arbeit etwas Neues und Ungewohntes erschaffen will.

Was ist Ihre Mission?
Ich frage mich stets: Wie kann ich meiner Arbeit eine Form geben, die Position bezieht? Wie kann ich ein Ereignis erzeugen, einen Dialog oder eine Konfrontation auslösen? Ich will Kunst politisch machen, aber nicht politische Kunst.

Wo ist da der Unterschied?

Kunst ist Kunst nur dadurch, dass sie Kommentaren und Meinungen widersteht. Kunst ist nicht Widerstand gegen etwas, sondern Widerstand an sich. Darin besteht ihre Schönheit, darin besteht ihre Grazie. Das ist das Politische. Die wirklich politische Frage der Kunst lautet deshalb: Wie kann ich als Künstler eine Arbeit machen, die über die Aktualität hinausgeht?

Seit über einem Vierteljahrhundert treibt Thomas Hirschhorn diese Mission um. Als er 1984 nach Paris zog, wollte er eigentlich Grafiker werden. Doch dann entdeckte er die Theorien der französischen Poststrukturalisten, die nicht in Hierarchien, sondern in Netzen und Geflechten dachten, und er wechselte zur Kunst. Er baute unscheinbare Installationen am Strassenrand und wartete mit der Kamera, bis sie von der Müllabfuhr entsorgt wurden («Jemand kümmert sich um meine Arbeit», 1992). Später errichtete er in Vororten provisorisch zusammengezimmerte «Kioske» und «Monumente», um die Ideen seiner Idole von Ingeborg Bachmann bis Georges Bataille unters Volk zu bringen. Schliesslich schwappten diese Materialassemblagen von der Strasse ins Museum. Dort türmen sie sich seither zu immer neuen, überwältigenden Metaphern der Unübersichtlichkeit auf, durchsetzt von Texten und Bildern zu Krieg, Mode, Ökonomie, Philosophie, Kunst oder Architektur.

Leise knistert das Klebeband. Während Hirschhorn redet, spielen seine Finger unablässig mit dem dünnen Film: braun, glänzend, in jedem Baumarkt der Welt zu haben. Sucht man nach einem Schlüssel für die eigentümliche Poesie, die trotz aller Materialgewalt von Hirschhorns Installationen ausgeht: Er hält ihn in den Händen. Ohne Klebeband geht bei ihm nichts. Es ist der Stoff, der seine Kunst zusammenhält. Ein universelles, billiges Material, das allen vertraut ist. Vergisst man das Pathos des Predigers, mit dem Thomas Hirschhorn derzeit oft und gern über seine Mission spricht, dann zeigt sich in diesem Detail, wie ernsthaft er um die Offenheit seines Kunstkosmos bemüht ist. Es geht ihm nicht darum, dem Publikum etwas zu diktieren. Im Gegenteil: Seine Installationen konfrontieren die Menschen mit Vorschlägen, der Verantwortung für das gerecht zu werden, was um sie herum geschieht.

Daran wird er auch in Venedig weiter arbeiten. Mit der dafür geplanten Arbeit «Crystal of Resistance» will er das gesamte Kraftfeld seiner Kunst bündeln: Liebe, Philosophie, Ästhetik, Politik. Ob die Besucher sein Werk mit der Schweiz in Verbindung bringen werden, interessiert ihn nicht wirklich: «Ich repräsentiere in Venedig mein Verständnis von Kunst. Aber wenn Sie unbedingt wollen, dass ich auch die Schweiz repräsentiere, so mache ich das gern, wie ich es schon seit zwanzig Jahren mit jeder noch so kleinen Ausstellung tue. Schliesslich bin ich Schweizer.»

Wirtschaftslandschaft Davos. Kunsthaus Aarau, bis 25. 4.
54. Biennale di Venezia, Schweizer Pavillon in den Giardini, 4. 6.–27. 11.
It’s Burning Everywhere. Kunsthalle Mannheim, bis 13. 6.
Dislocación. Kunstmuseum Bern, bis 19. 6.
Thomas Hirschhorn, www.crystalofresistance.com, www.labiennale.org