
Victoria Beckham auf Netflix: Perfekt verletzlich
Netflix zeigt mit «Victoria Beckham» eine Frau zwischen Kontrolle und Verletzlichkeit. Die Doku über das ehemalige Spice Girl offenbart, wie schwer es ist, authentisch zu sein, wenn man jahrzehntelang Projektionsfläche war.
- Von: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Netflix
Man hat kurz das Gefühl, aus Versehen auf dem Gossipsender TMZ gelandet zu sein, als die Netflix-Dokumentation «Victoria Beckham» beginnt. In schnellen Schnitten wird gezeigt, wie atemlos sich die Karriere von «Posh Spice» angefühlt haben muss. Beckham, damals noch Victoria Adams, erscheint – tanzend und singend als Kind, auf dem Gipfel ihrer Popstarkarriere im Stadion, als gejagte Celebrity von den Paparazzi verfolgt. Gleich zu Anfang stolziert sie in einem weissen T-Shirt mit der Aufschrift «Fashion Stole My Smile» an den klackernden Kameras vorbei. Und sagt dann den Schlüsselsatz, der während der dreiteiligen Doku mehrmals wiederholt wird: «Die Leute dachten, ich sei eine miesepetrige Kuh, die niemals lacht».
Alles klar, Victoria Beckham möchte mit der neuen Dokumentation über ihr Leben und Schaffen ihr Image zurechtrücken. Ein wenig ist ihr das bereits in der überraschend gut gemachten Dokumentation «Beckham» über ihren Mann, den Profifussballer David Beckham, gelungen. Sie erschien dort als lustige, kluge Nebendarstellerin mit entwaffnend selbstironischem Humor.
Davon bekommen wir auch in «Victoria Beckham» eine gute Portion ab. Da macht sie schlüpfrige Witze über David Beckhams «Hahn» (engl. «cock») und sagt über ihre Transformation von der sexy Spielerfrau zur gefeierten Fashiondesignerin «I buried my boobs in Baden-Baden» («Ich habe meine Brüste in Baden-Baden vergraben»; Beckham geht dort jährlich zur Wellnesskur). Wenn sie so lustig ist, warum zum Himmel lacht sie dann nie in der Öffentlichkeit? Die traurige Antwort darauf werden wir noch erfahren.
Im Vorfeld hatte Victoria Beckham versprochen, auch über schwierige Momente in ihrem Leben offen zu sprechen; es werde Tränen geben und einige Fragen nach ihrer Vergangenheit seien sehr aufreibend gewesen. Allerdings ist die «Rohheit», die Victoria Beckham in Aussicht gestellt hatte, nicht zu erkennen. Nur weil sie weniger Make-up trägt als in den Neunzigern, ist dies noch lange kein wirklich verletzliches Porträt. Die Protagonistin ist in absolut jedem Moment perfekt ausgeleuchtet, kein Haar darf hier seinem Freiheitsdrang nachgehen. Selbst wenn sie «spontan» TikTok-Tänze mit Tochter Harper einübt, hat man das Gefühl, dass es dafür sehr viele Takes gebraucht hat.
Trotzdem ist die Dokuserie absolut sehenswert. Beckham gibt Einblick in ihre Kindheit, in der sie gemobbt wurde – die Geschichte eines Stars, so alt wie Hollywood selbst. Erzählt wird vom Aufstieg und Fall der Spice Girls und dem Beginn ihrer Beziehung mit David Beckham, die nun schon 25 Jahre lang anhält. Allein für die Bilder aus den Neunzigern und frühen Zweitausendern, die teilweise wirklich zum Schreien komisch sind, lohnt es sich, einzuschalten.
Während die Doku über ihren Mann ein einfühlsames, sehr ehrliches und auch privates Porträt war, liegt der Fokus bei «Victoria Beckham» ganz klar auf Beckhams Karriere als Designerin. So kommen auch prominente Stimmen aus der Modebranche wie Anna Wintour, Tom Ford oder Donatella Versace zu Wort und natürlich Beckhams Mentor Designer Roland Mouret. Man erkennt einmal mehr, wie schwer es ist, als unabhängige Marke ohne grosses Modekonglomerat im Rücken auf Dauer ein Label zu führen – selbst unter besten Voraussetzungen mit viel Geld im Hintergrund und konstant guten Kritiken. Wir erfahren, dass Victoria Beckham beinahe ihr Label verlor, weil sie so schlecht gewirtschaftet hatte, zu schnell expandieren wollte und absurde Ausgaben wie 70'000 Dollar jährlich für die Pflanzen in ihrem Büro völlig normal fand. Heute sagt sie dazu, dass sie nun mal eine Entertainerin und keine Geschäftsfrau gewesen sei, ausserdem habe sich niemand getraut, auch mal «Nein» zu ihr zu sagen.
Natürlich ist Victoria Beckham eine Diva, die schon sehr lange kein normales Leben mehr führt. Sie sagt schon mal Dinge wie «ich habe seit den Neunzigern keine Schokolade mehr angerührt, warum sollte ich jetzt damit anfangen?». Das ist im ersten Moment unterhaltsam, stimmt einen im zweiten allerdings sehr nachdenklich, wenn sie über ihre jahrelange Essstörung und Kontrollsucht spricht. Sie bezeichnet sich noch heute als Kontrollfreak («im besten Sinne!») und das merkt man der Serie natürlich an. Sie ist so roh, wie Victoria Beckham in der Öffentlichkeit eben sein kann. Nicht sehr roh.
Wenn man allerdings vor Augen geführt bekommt, wie absolut brutal diese Frau von der Presse behandelt wurde, ist das sehr nachvollziehbar. Besonders als Spielerfrau wurde «Posh» aufs Übelste beschimpft, verlacht und schikaniert. Sie sei als Frau «expired» – abgelaufen, weil zu alt. Zu dünn, zu dick, zu dumm. Und als ihr erstes Kind gerade einmal sechs Monate alt war, wurde sie live im Fernsehen gewogen, um zu sehen, wie es wohl um die Babypfunde stünde.
Die Häme der Klatschpresse setzte ihr derart zu, dass sie sich veränderte, erzählt ein mitgenommener David Beckham. Seine lustige, fröhliche Frau sei nur noch ein trauriger Schatten ihres frühen Selbst gewesen. Und dass sie bis heute nicht mehr in der Öffentlichkeit lacht, hat damit zu tun, dass sie sich nicht gefällt. Jedes Bild, das sie von sich sehe, verstärke dieses Gefühl. «Ich wünschte, ich könnte unbeschwert sein», sagt sie selbst jetzt mit 51, «aber sobald ich eine Kamera sehe, erstarre ich».
Und was ist mit dem Gossip? Erst scheint es defensiv, dass Victoria Beckham die Elefanten im Raum Elefanten sein lässt. In keinem der drei Teile wird das Fremdgehen ihres Mannes David, das bereits in seiner Dokumentation thematisiert wurde, angesprochen. Er ging damals vage auf die Gerüchte um eine Affäre mit seiner damaligen Assistentin Rebecca Loos ein, über die die Boulevardpresse wochenlang berichtete. Zu gerne hätte man Victoria Beckhams Seite dazu gehört. Auch das Drama um ihren ältesten Sohn Brooklyn, der nach seiner Hochzeit mit der Amerikanerin Nicola Peltz angeblich nichts mehr mit seiner Familie zu tun haben möchte, bleibt unerwähnt – der verlorene Sohn kommt nur als Baby vor. Seltsam; zumal die anderen drei Kinder gezeigt werden.
Wahrscheinlich hat Victoria Beckham einfach genug vom Klatsch um ihre Person und will endlich zeigen, wie hart sie für ihren Erfolg als Labelchefin gearbeitet hat. Das hat sie ohne Zweifel, auch wenn sie mal ein Spice Girl war, auch wenn sie einen wohlhabenden Ehemann hat, auch wenn die Boulevardpresse sie so gerne scheitern sieht. Mindestens so aufschlussreich wie das Gezeigte ist also, was in dieser Doku weggelassen wird. Ob das jetzt feige oder selbstermächtigend ist, weiss nur Victoria Beckham.