Werbung
Vive Yves!

Kultur

Vive Yves!

  • Text: Dietrich RoeschmannErstellt: 8. März 2010

Keiner prägte die Modewelt nachhaltiger als der verstorbene Couturier Yves Saint Laurent. Jetzt werden die Archive des Fashionrevoluzzers geöffnet.

Wäre am 30. Januar 1958 bei Dior alles mit rechten Dingen zugegangen, dann hätten sich die Damen nach dem Defilee der Frühjahrskollektion wohl wie in jedem Jahr von ihren Stühlen erhoben und freundlich applaudiert. Doch an diesem Tag war nichts so wie immer. Christian Dior, gefeierter Meister der Haute Couture und Herr über die Wespentaille, war erst drei Monate zuvor an einem Herzinfarkt gestorben. Zu seinem Nachfolger hatte Dior-Inhaber Marcel Boussac dessen 21-jährigen Assistenten bestimmt – einen scheuen, linkischen Jungen mit markanter Stahlbrille, der im algerischen Oran aufgewachsen und erst drei Jahre zuvor nach Paris gekommen war, um Modedesign zu lernen. Noch als die ersten Models seiner Debütkollektion den Laufsteg betraten, kannten die wenigsten seinen Namen: Yves wer? Zwei Stunden später notierte die Moderedaktorin von «Paris Match»: «Saint Laurent rettet Frankreich!»; und die «Herald Tribune» berichtete: «Alle weinten. Die Pariser Modeszene feierte eine gefühlsbeladene Orgie.» Nach der Präsentation seiner avantgardistischen Ligne trapèze waren die Damen mit Tränen in den Augen aufgesprungen und hatten den schüchternen Couturier geherzt, gedrückt und geküsst, bis dieser panisch auf einen kleinen Balkon floh – wo ihn bereits eine Horde von Pressefotografen erwartete.

Heute lagern die Modelle dieses turbulenten Debüts in den Tresoren der Pariser Yves-Saint-Laurent-Stiftung, die sein Manager und langjähriger Lebensgefährte Pierre Bergé 2004 im ehemaligen Stammhaus des gemeinsamen Unternehmens gegründet hat. Bei konstanter Raumtemperatur von 18 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent wird das Gesamtwerk des Couturiers hier für die Ewigkeit aufbewahrt. Es umfasst rund 5000 Kleider, 2000 Paar Schuhe, 15 000 Accessoires, Hunderte von Hüten und mehr als 150 000 Skizzen.

Anlässlich der ersten umfassenden Yves-Saint-Laurent-Retrospektive nach seinem Tod im Juni 2008 hat Pierre Bergé jetzt 300 Modelle und Berge von Archivmaterial aus dem streng bewachten Kleiderdepot ins Musée des Beaux-Arts im Petit Palais bringen lassen. Flankiert von Fotografien, Filmen, Werbekampagnen und anderen Dokumenten erzählen sie die Schöpfungsgeschichte eines «Modegotts», der für vier Jahrzehnte den Look und das Fashionbusiness prägte und dessen Regeln immer wieder neu definierte. Die Initialen YSL stehen für die Utopie einer permanenten Revolution der Mode, ihrer Frauenbilder und Geschäftsmodelle.Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Ohne den mit Fürsorge gepaarten Geschäftssinn von Pierre Bergé hätte es das Unternehmen YSL nicht gegeben. Als die beiden 1962 in einer abgelegenen, notdürftig ausgestatteten Zweizimmerwohnung ihr erstes eigenes Haute-Couture-Studio eröffneten, war er es, der das Geld beschaffte, die Produktion organisierte, die Presse informierte und seinem Freund den Rücken freihielt. Dank dieser Arbeitsteilung entwickelte sich die kleine Modeschmiede binnen kurzer Zeit zu einem florierenden Hotspot der Pariser Couture-Szene, der in nahezu jeder Saison mit einer neuen Sensation aufwartete. Den Durchbruch feierte YSL 1963 mit einer Op-Art-Kollektion. 1965 folgte die berühmte Hommage an den niederländischen Konstruktivisten Piet Mondrian, später der Schiwago-Look mit seinen skandalträchtigen transparenten Oberteilen, die grelle Pop-Art-Kollektion, der dekadente Hippie-de-luxe-Chic von «Opéra – Ballets Russes». Was all diese Kollektionen einte, war weniger ihr Look als ihre extreme, kulturell gesättigte Nähe zum Zeitgeist. Wie in einem Netz schienen sich hier die Intensitäten von Musik, Literatur und Malerei, von Drogenerfahrungen, Hoch-, Pop- und Schwulenkultur zu verfangen, um im endlosen Rausch der Stoffe und Farben immer neue Bilderstürme zur Überwindung der Gegenwart zu entfachen. «Saint Laurent war mehr als ein Provokateur», sagt Pierre Bergé, «er war ein echter Schöpfer, ein libertinärer Anarchist, der Bomben in die Mitte der Gesellschaft warf.» Vor allem der Smoking für Frauen – seit 1966 eines der bekanntesten Markenzeichen von YSL – wurde so zum Symbol einer Zukunft, in der nicht länger nur die Männer die Hosen anhaben sollten.

Dass es am Ende nicht die Aufsehen erregenden Haute-Couture-Kreationen waren, die Yves Saint Laurent zum einflussreichsten Modeschöpfer des 20. Jahrhunderts machten, sondern das Geschäft mit den Massen, gehört zur Ironie dieser Geschichte. Auf Betreiben von Pierre Bergé hatte er 1966 mit Rive Gauche als erster Haute Couturier ein Label für Prêt-à-porter-Mode gegründet, die er in eigenen Boutiquen in Paris, London, New York und Tokio verkaufte. Sie waren die Basis eines gigantischen Lizenzimperiums, das Pierre Bergé um Yves Saint Laurents Couture aufbaute und so das Logo YSL als Synonym für französischen Stil in alle Welt exportierte. Die Globalisierung der Mode: Hier nahm sie ihren Anfang – und sie besiegelte zugleich das Ende des Handwerks, als dessen Retter Yves Saint Laurent einst angetreten war.

Yves Saint Laurent: Rétrospective. Im Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris, 11. März bis 29. August; Infos: www.yslretrospective.com

Werbung

1.

2.

1968 kreierte er den Safari-Look.

3.