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Wie feiert man die erste Periode der Tochter?

Body & Soul

Wie feiert man die erste Periode der Tochter?

  • Text: Rahel Bains
  • Illustration: Luisa Stömer, Eva Wünsch; Collage: annabelle

Tampons in der Faust versteckt aufs WC schmuggeln, nur im Flüsterton über «Tante Rosa» sprechen – das ist vorbei. Doch unsere Autorin fragt sich: Muss ich zur «Feier der Tage» meiner Tochter wirklich eine Mens-Sause organisieren?

Es war Sommer, meine Tochter und ich fuhren raus aus der Stadt an ein Mutter-Tochter-Waldwochenende. Organisiert von Naturpädagoginnen, die «eine neue Kultur des Frauseins unterstützen möchten, in der Stärke, Wildheit und Sanftheit gleichermassen ihren Platz finden». Tagsüber stehen wir oft in Kreisen. Mal halten wir uns alle an den Händen, mal tanzen wir singend um ein Feuer, mal sind nicht wir der Kreis, sondern legen einen aus Tannenzapfen, kleinen Hölzern und Blättern. Am letzten Abend tauschen wir Turnschuhe und Shorts gegen ein festliches Gewand, tupfen uns gegenseitig Glitzer auf die Wangen und versammeln uns auf der grossen Wiese zur feierlichen Abschiedszeremonie. Wir Mütter übergeben unseren Töchtern dabei einen Naturgegenstand und flüstern ihnen gute Wünsche ins Ohr.

Und obwohl ich tags zuvor über die Kartenlegerin schmunzeln musste, die mir nach der Sitzung «Fühl dich frei in deiner Sexualität!» nachgerufen hat, während meine Tochter peinlich berührt an meiner Hand ging, rollen mir an diesem Abend Tränen über die Wangen. Vor Rührung, wie meine Tochter da in ihrem weissen Kleid und dem Blumenkranz im Haar mitten auf der Wiese steht. Vielleicht sogar auch wegen des Gesangs der anderen Frauen und der leisen Ahnung, dass für mich und meine Tochter schon bald ein neues Kapitel beginnt.

Undramatische Einkehr der Periode

Jetzt, ein Jahr später, spüre ich: Obwohl sie erst zehn ist, klopft die Pubertät langsam an. Die Mutter ihrer besten Freundin hat bereits mit elf ihre Tage bekommen. Es heisst, dass sich das vererben kann. Viele ihrer Klassenkameradinnen tragen bereits ein BH-ähnliches Top unter dem Shirt.

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Ging das bei uns damals auch so früh los? Ich bekam meine Periode mit 13. Am Abend zuvor stritt ich mit meiner Mutter. Wohl weil ich mal wieder nicht zur vereinbarten Zeit nachhause gekommen war. Am nächsten Morgen lief ich aus meinem Zimmer und sagte in weinerlichem Ton: «Und jetzt hab ich auch noch meine Mens bekommen.» Ich bekam eine Binde in die Hand gedrückt, das wars. Meine Menstruation blieb lang undramatisch – bis zur Geburt meiner Kinder. Seither blute ich jeden Monat fünf Tage so stark, dass ich mich regelmässig einer Eisentherapie unterziehen muss.

«Tante Rosa» – früher ein Ding der Scham

Vor einigen Wochen flog in der Hektik des Maskensuchens in hohem Bogen ein Tampon aus meiner Tasche, direkt vor die Füsse meines Bürokollegens. Ich sagte: «Ja, Jonas, ich habe meine Tage.» Das hätte ich mich früher wohl nicht getraut und dafür mit geröteten Wangen versucht, das Ding möglichst schnell wieder verschwinden zu lassen. Ich bin 32, also ein Millennial. Ich wuchs auf in der Annahme, dass man in der Schule und später im Grossraumbüro seinen OB in der Faust versteckt aufs WC befördern muss, dass man andere in der Bar nur im Flüsterton nach einem solchen fragt, dass man per se nicht gross über «Tante Rosa» spricht. Sich in gewissen Situationen gar dafür schämt. Ich gehöre aber auch der Generation Frauen an, die sich seit #Me-Too und der neu entfachten Frauenstreik-Bewegung politisiert und für den Feminismus sensibilisiert hat.

Wir kämpfen für gleiche Löhne und fordern eine faire Aufteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit innerhalb der Familie sowie gendergerechte Sprache als Selbstverständlichkeit. Wir bewundern Frauen wie Kiran Gandhi, die 2015 den London-Marathon mit einer blutbefleckten Hose rannte, weil sie am Tag zuvor ihre Periode bekommen und sich bewusst dagegen entschieden hatte, Tampon oder Binde zu brauchen. Und wir sind dankbar für das Engagement jener Aktivistinnen, die Brunnenwasser rot färben, um auf die finanzielle Benachteiligung von Frauen aufmerksam machen. Schliesslich ist es noch immer so, dass Mensartikel mit 7.7 Prozent Mehrwertsteuer veranschlagt werden und nicht mit dem reduzierten Satz von 2.5 Prozent, der normalerweise für Güter des täglichen Gebrauchs gilt.

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««Ich möchte in einer Welt leben, in der wir offen über unsere Regel sprechen können.»»

Risa Pappas

Manchmal fühle ich mich fast schon aktivistisch, wenn ich meinem siebenjährigen Sohn, wenn er wieder mal ohne anzuklopfen während des Binden-Wechselns ins Bad platzt, die Periode kindgerecht und doch faktenbasiert zu erklären versuche. Das beginnt ungefähr mit den Worten «Frauen haben monatlich ihre Mens» und endet mit «das ist übrigens nicht eklig».

Ich will schliesslich nicht, dass er irgendwann wie zwei Teilnehmer der TV-Show «Die Höhle der Löwen» auf die Idee kommt, so etwas zu erfinden wie einen (notabene pinkfarbenen) Handschuh, mit dem Frauen ihre vollgebluteten Tampons und Binden «geruchsneutral und hygienisch» entsorgen können. Mehr hoffe ich, dass er und seine beiden Schwestern die Menstruation als das sehen, was sie ist: eine natürliche Sache, die weder mit einem Spezialhandschuh bewältigt werden muss, noch Anlass zum Schämen gibt. Oder um es mit den Worten der US-Filmemacherin Risa Pappas, die den erfolgreichen Hashtag #TweetYourPeriod ins Leben gerufen hat, zu sagen: «Ich möchte in einer Welt leben, in der wir offen über unsere Regel sprechen können.»

Die Menarche richtig feiern – oder gar nicht?

Ich stelle mir also die Frage, wie ich mit meiner Tochter einen zeitgemässen, unverkrampften und angemessenen Umgang mit ihrer ersten Menstruation, der sogenannten Menarche, pflegen kann. Ihr, wenn es dann so weit ist, lediglich eine Binde in die Hand zu drücken, fühlt sich nicht richtig an. Die bekommt sie bis dahin wahrscheinlich ohnehin bereits in der Schule; seit Kurzem testet die Stadt Zürich die kostenlose Abgabe von Tampons und Binden auf Sekundarstufe und folgt damit Genf und Waadt. Zudem gibt es ja auch Alternativen; Tampons, Menstruationstasse, Periodenunterwäsche.

Eine junge Frau, mit der ich zusammengearbeitet habe, hat von ihrer Mutter zur «Feier der Tage» einen Altar geschenkt bekommen, der bis heute in ihrem Zimmer steht. Auf dem silbernen Tablett sind die vier Elemente in Form von Kerzen und Räucherstäbchen, Pflanzen, Steinen sowie einer Wasserschale vereint. Eine Freundin ging mit ihrer Mutter in ein asiatisches Restaurant. Als der Vater eines Schulkameraden vorbeilief, sagte sie: «Luisa hat heute ihre Tage bekommen und das wollen wir hier feiern.» Meine Freundin schämte sich in Grund und Boden. Weil sie dachte, dass es nun alle aus ihrer Klasse erfahren.

Grundinstinkt: Periodenscham

«Ich weiss nicht, woher diese Scham kam, doch mein Grundinstinkt war: Ich will nicht, dass über meine Periode gesprochen wird.» Heute glaubt sie, dass ihre Mutter ein Zeichen setzen wollte. Im Wissen, dass ihre Tochter wohl auch künftig einer Welt gegenüberstehen wird, in der sich die Mehrheit der Frauen für ihre Regelblutung geniert. Tränen vergoss eine andere Freundin, weil sie trotz ihrer «Umstände» ins Klassenlager geschickt wurde – immerhin mit einer Einführanleitung von Mini-OBs.

Bei meiner Nachbarin wurde «die Sache» von ihrer Mutter «sehr korrekt und trocken» abgewickelt. «Ich habe keine Erinnerung an sie in Zusammenhang mit meiner ersten Mens. Sie hat nichts zelebriert oder so. Ich habe aber auch keine Scham empfunden.» Ihre Mutter habe ihr ein simples Gefühl von «das gehört dazu» gegeben. Wie man einen Tampon einführt, haben ihr später Freundinnen erklärt. «Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es war lustig, ich hatte aber auch ein wenig Angst davor.» Bei einigen Urvölkern ist es Tradition, dass die Frauen zusammenkommen, um die erste Periode und den Übergang ins Erwachsenenalter zu zelebrieren.

Diverse Kulturen zelebrieren die Menstruation

Beim indigenen Volk der Navajo, dem grössten Nordamerikas, wird zum Beispiel über vier Tage lang gefeiert. Daran teil nehmen alle Mädchen, die in dem Jahr zum ersten Mal menstruiert haben. Sie tragen Ringe, Armreifen und Halsketten aus Türkis und bestreiten Wettläufe, um ihre Stärke zu zeigen. Ausserdem wird zu Ehren der Sonne gemeinsam ein Maiskuchen gebacken, der gross genug sein muss, um den ganzen Stamm satt zu machen. Während der Zeremonie wird das Mädchen mehrmals «geformt». Es legt sich dafür auf den Boden, während seine Mutter mit den Händen über seinen Körper streicht, um es «zu einer kräftigen Frau» zu formen.

In Japan wird die erste Periode mit einem grossen Familienfest gefeiert. Spannend dabei: Die Gäste wissen den Grund zuvor nicht. Das Geheimnis wird erst mit dem Essen gelüftet, wenn beispielsweise rote Beeren oder roter Reis und Bohnen serviert werden. Auf einigen japanischen Inseln soll diese Feier gar wichtiger sein als die Hochzeit. Nicht per se die Menstruation, aber das Frauwerden wird in einigen Gebieten Lateinamerikas mit der sogenannten Quinceañera gefeiert. Dabei werden die Mädchen an ihrem 15. Geburtstag in pompöse Kleider gehüllt. Es ist ein Fest mit viel Tanz, Musik und gutem Essen, das in Argentinien zum Beispiel die Zeremonie der 15 Kerzen beinhaltet. Das Geburtstagskind übergibt 15 Kerzen an die Personen, die an ihrer bisherigen Entwicklung am meisten Anteil hatten.

Weniger spirituell gehen die US-Amerikanerinnen die Sache an. Dort werden neuerdings sogenannte Menstruationsparties geschmissen. Diese reichen von einem kleinen Festessen mit einigen roten Speisen bis hin zu grossen Zusammenkünften mit Kuchen samt Kunstblutglasur und Uterus- und Tampon-Deko.

Ein Ort für alle Zeifel und Probleme

Als wir nach der Waldzeremonie unser Nachtlager abbrachen, sagte eine Frau, die diese Anlässe mitorganisiert: «Ich hätte mir in der Pubertät einen Ort gewünscht, an dem ich mit allem, was mich beschäftigt, willkommen gewesen wäre. Mit all den Zweifeln, Fragen, Freuden und Problemen.» Genau das will ich, wird mir klar: meiner Tochter einen solchen Ort zu bieten. Schon jetzt. Es geht wohl nicht so sehr um eine Feier, als eher um eine Würdigung, ein Anerkennen dieses neuen Kapitels. Auch wenn ich nicht sicher bin, wie begeistert sie über einen Kuchen wäre, auf dem mit rotem Zuckerguss «Happy Menarche» geschrieben steht – besser als die Stille, die mir entgegenschlug, ist eine Zeremonie, ein kleines Fest oder einfach nur ein Essen in der Lieblingspizzeria mit Sicherheit.

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