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Expertinnenrat: 10 Fragen und Antworten zum Thema Nachhaltigkeit

Zeitgeist

Expertinnenrat: 10 Fragen und Antworten zum Thema Nachhaltigkeit

Für unsere Rubrik «Expertinnenrat» treffen wir eine Fachfrau – und stellen ihr Leserinnen-Fragen aus der annabelle-Community. Diesmal kommen die Antworten direkt aus der Redaktion: Reportage-Redaktorin Stephanie Hess hat den Ratgeber «Ökologisch – Nachhaltiger Konsumieren in der Schweiz» geschrieben und beantwortet zehn Fragen rund um ein umweltbewusstes Leben. 

1. Wie und wo kann ich mit meinem alltäglichen Konsum den grössten Unterschied machen?
Es sind weniger die kleinen Dinge, wie Plastiksäckli oder Onlineshopping abzuschwören, als die grossen Verzichtsübungen, die einen echten Unterschied machen. Darum fällt die Antwort etwas radikal aus – in ihrer Radikalität ist sie aber zumindest relativ einfach: Den grössten Unterschied macht man, wenn man sich rein pflanzlich ernährt, nicht fliegt, kein Auto besitzt, wenig Kinder bekommt. So hat US-Autor Jonathan Safran Foer einst die grössten Einsparungsmöglichkeiten definiert und ich gehe mit ihm einig. Ich würde aber noch anfügen: kein Foodwaste. Und ganz allgemein: nur kaufen, was man auch wirklich braucht.

2. Auf welche Lebensmittel sollte man am besten komplett verzichten, wenn einem Nachhaltigkeit wichtig ist?
Auf Fleisch. Es macht 33 Prozent der Umweltbelastung durch Ernährung aus. Es folgen: Getränke mit 16 Prozent, problematisch sind hier insbesondere Wein und Kaffee, gefolgt von Fetten mit 13 Prozent. Da fällt vor allem die Schokolade ins Gewicht. An vierter Stelle stehen Milch und Eier mit 11 Prozent.

3. Wie nachhaltig sind Fleischersatzprodukte?
Im Vergleich zu Fleisch: sehr nachhaltig. Das zeigt auch eine Studie des Schweizer Nachhaltigkeitsunternehmens ESU-Services. Die untersuchten Produkte Beyond Burger, Planted Chicken, Vivera-Fishsticks und Délicorn-Cervelats verursachen meist weit weniger Umweltbelastung pro Kilogramm wie auch pro Gramm Protein als ihre konventionell produzierten Fleischgegenstücke. Am schlechtesten und damit nur ein bisschen weniger umweltbelastend als das Original ist jedoch der Délicorn-Cervelat, da er neben Weizenprotein auch Ei enthält. Bei Fleischersatzprodukten gilt es auch ökologischer Sicht, vier zentrale Punkte zu beachten: Sie sollten möglichst vegan sein, da auch Milchprodukte eine hohe Umweltwirkung auslösen. Die Zutaten sollten umweltfreundlich und sozialverträglich hergestellt worden sein – achten Sie auf biologischen Anbau. Das verwendete Soja sollte aus Europa stammen. Und: Quorn schneidet nicht unbedingt besser ab als Fleisch. Laut der Stiftung Biovision ist die Umweltwirkung von Quorn-Geschnetzeltem mit Bio-Poulet-Geschnetzeltem vergleichbar. Falls Sie Bedenken haben wegen der Plastikverpackung, in der die Produkte stecken: Verpackungen machen im Lebensmittelbereich nur 1 Prozent der Umweltbelastung aus. Fleisch hingegen 33 Prozent.

4. Wie schaffe ich, Foodwaste zu minimieren?
Foodwaste verursacht viel Umweltbelastung – am Anfang der Produktionskette, in der Landwirtschaft und bei der Verarbeitung. Insbesondere aber in den Haushalten und in der Gastronomie. Weil die Produkte dann mehrfach bearbeitet und transportiert wurden, bevor sie als Foodwaste im Abfall landen. Meine Tipps:

  • Bewusst einkaufen: Überlegen Sie genau, was Sie brauchen, und schreiben Sie eine Liste. Kaufen Sie beim Fleisch nicht nur das Filet, sondern probieren Sie auch mal weniger populäre Stücke wie Leber, Ohren, Nieren, Bäckli, Zunge oder gar Hirn. Und wählen Sie auch Gemüse und Früchte, die optisch nicht der Norm entsprechen. Auch sie sind unter hohem Einsatz von Ressourcen gewachsen, laufen aber durch ihr Aussehen eher Gefahr, nicht verkauft und damit verschwendet zu werden.
  • Durchsichtige Behälter verwenden: Erblickt man die Reste sogleich, wenn man den Kühlschrank oder das Gefrierfach öffnet, vergisst man sie weniger.
  • Richtig portionieren beim Kochen: Drei Löffel Reis oder eine kleine Portion Spaghetti – oft sind es kleine Reste, die zu Foodwaste führen. Deshalb: Wählen Sie die Menge sorgfältig oder wägen Sie sie sogar ab. Sie können natürlich auch bewusst zu viel kochen, um die Reste wiederzuverwenden.
  • Achtsam sein: Kippen Sie insbesondere keine Lebensmittel in den Abfall, die besonders hohe Umweltauswirkungen verursachen. Also Fleisch, Kaffee- und Kakaobohnen, Butter, Eier, mit dem Flugzeug importierte Produkte sowie Öle und Fette, Fisch und Käse. Dämmen Sie die Verluste auch bei Früchten, Gemüse und Brot ein – sie werden besonders oft weggeworfen.
  • Bewusst essen im Restaurant: Wählen Sie kleine Portionen und lassen Sie sich übriggebliebenes Essen einpacken.

5. Wo kann ich schöne Upcycling-Mode kaufen?
Sofern damit Kleidungsstücke mit selbstaufgenähten Perlen gemeint sind oder Jeans, die zu Taschen umgenäht wurden, kann ich keine Auskunft geben. Meiner Meinung sollte die Ästhetik eines Kleidungsstücks durchaus ohne weiteres Zutun der Besitzerin überdauern – mal abgesehen vom Stopfen allfälliger Löcher. Es gibt aber auch Bekleidungsfirmen, deren Kollektionen oder Linien aus Materialien bestehen, das upgecycelt wurde. Schweizer Pionier ist die Firma Freitag, die seit fast drei Jahrzehnten Taschen aus umfunktionierten Lastwagenplanen herstellt. In der Bademode sind insbesondere in den letzten Jahren zahlreiche Firmen enstanden, die ihre Badebekleidung etwa aus PET herstellen – wie Round River oder Underprotection, aus ausrangierten Fischernetzen – wie Neumühle, Pura, Margaret and Hermione, Inaska – oder aus Restbeständen wie Anektot. Es ist heute noch einfacher, reine Kunstfasern wie Polyester und Nylon zu recyceln, als Baumwolle oder gemischte Fasern auseinanderzutrennen und wiederzuverwerten. Bei recyceltem Polyester, der inzwischen auch in vielen Linien grosser Fashionbrands auftaucht, ist jedoch zumindest leise Skepsis angebracht. Es ist heute noch nicht klar, ob seine Wiederverwertung am Ende nicht genauso umweltbelastend ist, wie wenn der erdölbasierte Stoff neu produziert wird. Als Faustregel gilt in der Nachhaltigkeit und insbesondere in der Mode: Eine verlängerte Nutzungsdauer der Produkte führt zu einer Entlastung der Ressorucen. Wenn also ein Stoff möglichst ohne intensive Bearbeitung eine weiterführende Nutzung findet, ist das am sinnvollsten.

6. Auf welche Labels muss ich achten, wenn ich nachhaltige Mode kaufen will?
Es existieren inzwischen zahlreiche Labels, die nachhaltigere Mode versprechen. Heute kann aber noch keines davon eine soziale und umweltfreundliche Produktion über alle Stationen, die ein Kleidungsstück zurücklegt, hinlänglich belegen. Einen – allerdings bereits vier Jahre alten – Überblick über die Nachhaltigkeitslabels in der Mode und was sie leisten, hat Public Eye hier zusammengestellt. Mode durchwegs ökologisch und fair zu produzieren, ist heute noch immer schwierig, weil die Warenketten oft lang und komplex sind. Ein Beispiel: Die Baumwolle für ein T-Shirt wird in Tansania auf verschiedenen Feldern gewonnen, in Taiwan wird daraus der Faden gesponnen, der dann in Bangladesch zum Stoff gewoben und in Portugal zum Kleidungsstück vernäht wird. Dazu kommen Knöpfe, Reissverschlüsse, Applikationen, etwa ein Aufnäher aus Kunstleder, ein Gürtel – alles davon wurde womöglich wiederum in mehreren Schritten in mehreren Ländern hergestellt.

7. Kann ich dem Nachhaltigkeitslabel von Zalando trauen?
Es ist nicht ganz einfach nachzuvollziehen, was bei Zalando unter «Nachhaltige Mode» fällt. Bisweilen ploppen in dieser Auswahl auch «Empfehlungen» auf, die keine Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Grundsätzlich gilt: Anerkannte Labels müssen klar ausweisen, was sie leisten, und werden dabei überprüft (Anm. d. R. siehe Labelguide oben). Ich glaube, dass die Problematik von grünen Labels nicht unbedingt darin besteht, dass sie noch nicht perfekt sind – das bringt der Prozess mit sich, in dem wir uns in puncto Nachhaltigkeit befinden. Sondern dass wir uns als Konsumentinnen damit weismachen können, dass das Kleidungsstück durchwegs nachhaltig produziert wurde und damit bedenkenlos gekauft, getragen und am Ende entsorgt werden kann. Wirklich wichtig für Nachhaltigkeit in der Mode ist jedoch, dass wir bewusster konsumieren. Um es mit Designerin Vivienne Westwood zu sagen: Buy less, choose well, make it last.

8. Wie schlimm ist Plastikverpackung wirklich?
Wird Plastik in grossen Mengen produziert und eingesetzt, ist das ein Problem für die Umwelt. Aufgrund mangelnder Entsorgungssysteme landet es weltweit zu oft in der Natur und gefährdet damit diverse, insbesondere marine Ökosysteme. Ebenso löst das Erdöl, aus dem es hergestellt wird, grosse Umweltbelastungen aus. Allem voran bei der Gewinnung, beim Transport, aber auch bei der Verarbeitung. Nichtsdestotrotz hat Plastik im Nachhaltigkeitsdiskurs oft einen viel zu hohen Stellenwert. Um ihn zahlenmässig etwas einzuordnen: Die Kunststoffproduktion wird 13 Prozent des CO2-Budgets verbrauchen, das global noch bis 2050 verfügbar ist – vorausgesetzt, wir wollen die im Pariser Klimaabkommen festgelegte 1.5-Grad-Zielmarke erreichen. Das ist nicht wenig. Aber den ganzen grossen Rest verschleudern andere – nämlich Energie-Erzeuger, Industrie, Landwirtschaft und Verkehr. Hinzu kommt, dass Plastikverpackungen wichtige Funktionen erfüllen: Sie schützen Lebensmittel vor dem Verderb und halten sie unter anderem mit speziellen Folien bedeutend länger frisch, als es andere Materialien je tun könnten. Das verhindert Foodwaste, einen der zentralen Verursacher von Umweltbelastung durch Ernährung. Eine Studie der Umweltberater Denkstatt Wien weist aus, dass bei einem Steak durch eine optimale Kunststoffverpackung 75 Prozent Foodwaste verhindert werden kann. Bei Käse gar 97 Prozent. Plastikverpackungen verbrauchen zudem wenig Material. Ein Kilogramm Plastik belastet die Umwelt zwar stärker als ein Kilogramm Glas oder Karton. Die Kunststoffhülle schneidet jedoch besser ab, weil für eine Verpackung nur sehr wenige Gramm Plastik benötigt werden.

9. Hat Käse in puncto Nachhaltigkeit zurecht einen schlechten Ruf?
Das Problem bei Käse besteht darin, dass für seine Herstellung verhältnismässig viel Milch aufgewendet werden muss. Je härter der Käse wird, desto mehr Milch ist nötig. Die dabei entstehende Molke wird für die menschliche Ernährung zudem kaum weiterverwendet und fällt damit oft unter Foodwaste. Wenn Milchkonsum von heute 112 auf 33 Kilogramm pro Jahr sinken würde, so Greenpeace, könnten in der Schweiz alle Milchprodukte nachhaltig produziert werden. Das wären noch etwas mehr als 6 Deziliter Milch pro Person und Woche. Gemäss meiner Rechnung bliebe von der Milch in verarbeiteter Form dann nur noch wenig übrig: etwa 120 Gramm Butter, 60 Gramm Rahm oder 50 Gramm Hartkäse.

10. Was bringt es wirklich, Flüge zu kompensieren?
Um die angerichteten Schäden des Flugverkehrs irgendwie abzufedern, sind in den letzten Jahren Klimakompensationsprojekte entstanden, auch Offsetting genannt. Organisationen wie Atmosfair oder Myclimate bieten an, Treibhausgasemissionen von Flugreisen zu kompensieren, indem sie Klimaschutzprojekte unterstützen, durch welche alternative Energien gefördert werden, sowie Massnahmen, um mehr CO2 zu binden. Auch die CO2-Austösse beim Onlineshopping und Carsharing können heute bei einigen Anbietern kompensiert werden – man muss nur ein entsprechendes Kästchen anklicken. Wichtig ist zu wissen: Kompensiert wird ausschliesslich CO2. Autos und insbesondere Flugzeuge stossen allerdings nicht nur Kohlenstoffdioxid aus, sondern auch andere problematische Stoffe. Diese wirken in der Höhe – also beim Fliegen – noch bedeutend stärker als am Boden. Eins steht fest: Die Umweltwirkung von Fliegen lässt sich nicht aufwiegen. Trotzdem, ich bin fürs Kompensieren: Nicht um sich von umweltschädlichem Verhalten freizukaufen. Sondern um ein Bewusstsein dafür zu erlangen, dass umweltschädliches Verhalten kostet.