
Angriff auf Mutterschutz: 10 dringende Fragen
Mehr Elternzeit für Väter? Nur wenn Mütter früher wieder arbeiten gehen – so der Entscheid der Kommission für soziale Sicherheit des Nationalrats (SGK). Elena Möri und Lisa Briner von der Eidgenössischen Kommission dini Mueter (EKdM) liefern Antworten auf die zehn drängendsten Fragen.
- Von: Sandra Brun
- Symbolbild: Stocksy
1.
Wollen Väter länger zu Hause bleiben nach der Geburt, müssten Mütter halt früher wieder arbeiten gehen – diesen Grundsatzentscheid traf gerade die SGK des Nationalratsrats. Während für die Elternzeitinitiative Unterschriften gesammelt werden, gerät also der bestehende Mutterschutz unter Beschuss. Wie schätzen Sie diesen Entscheid ein?
Das ist ein krasser Angriff auf den Mutterschutz. Wir sprechen ernsthaft darüber, den aktuellen Mutterschaftsurlaub abzuschaffen für eine Elternzeit von läppischen 16 Wochen. Der Kommissionsentscheid ist frauenfeindlich und familienfeindlich. Er ignoriert, dass Mütter dringend eine angemessene Erholungszeit brauchen. Acht Wochen nach der Geburt wieder erwerbsarbeiten zu müssen, ist für viele Frauen gesundheitsgefährdend – besonders in körperlich belastenden Berufen. Statt Sorgearbeit endlich ernst zu nehmen, wird sie weiter entwertet. Und statt für echte Vereinbarkeit zu sorgen, wird Druck auf Mütter gemacht.
2.
Wie bewerten Sie den Vorschlag der SGK aus gleichstellungspolitischer Sicht?
Er hat mit Gleichstellung nichts zu tun – im Gegenteil. Das ist pure liberale Wirtschaftspolitik. Es ist günstiger, Frauen wie Männer zu behandeln, als die bestehenden Bedingungen am Arbeitsmarkt grundsätzlich infrage zu stellen. Ziel ist es, möglichst schnell möglichst viele Frauen zurück in den Arbeitsmarkt zu bringen – nicht, weil ihnen dort gleiche Chancen eröffnet werden sollen, sondern weil Fachkräfte fehlen. Unter dem Deckmantel der Gleichstellung soll der Mutterschutz gekürzt werden, um das Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. Das ist keine Gleichstellungspolitik, das ist Verwertungspolitik.
3.
Mit dem Anliegen gleicher Chancen am Arbeitsmarkt wird oft argumentiert.
Natürlich sind gleiche Chancen wichtig. Aber eine Elternzeit von 16 Wochen ändert daran nichts – zumindest nicht für Frauen. Das ist Augenwischerei. Denn echte Gleichstellung, echte Chancengleichheit kostet. Sie braucht Strukturen, die unbezahlte Arbeit berücksichtigen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit wir uns um unsere Kinder, um unsere Alten und Kranken kümmern können, ohne auszubrennen. Zum Beispiel mit einer Elternzeit, die diesen Namen verdient.
4.
Wie beurteilen Sie die Idee, Elternzeit als «verhandelbare Paarentscheidung» zu organisieren – statt als strukturelles Recht?
Die Idee, Elternzeit zur «verhandelbaren Paarentscheidung» zu machen, ignoriert soziale Ungleichheit. Denn verhandeln kann nur, wer auch Wahlmöglichkeiten hat. Wer genug verdient, wer flexible Arbeitsbedingungen hat, wer auf familiäre Netzwerke zählen kann – der kann sich Elternzeit leisten. Für alle anderen gibt es nichts zu verhandeln.
5.
Die SGK besteht aus 13 Frauen und 12 Männern. Wie kann es sein, dass mit dieser Geschlechteraufteilung eine derart frauenfeindliche Entscheidung getroffen wird?
Das müsste man die Mitglieder der Kommission selbst fragen, wir können nur mutmassen. Vielleicht stand der Druck im Raum, endlich etwas «Vorzeigbares» zur Elternzeit zu liefern – und da wurde dann der Mutterschutz zur Verhandlungsmasse. Klar ist, dass wirtschaftliche Argumente mehr Gewicht hatten als gesundheitliche oder soziale. Und es wurde – wie so oft – von einer Lebensrealität ausgegangen, in der alle genug verdienen, gesund sind und eine:n Partner:in haben, mit der:dem sich alles fair aushandeln lässt. Was man daran jedenfalls sieht: Dass Frauen im Raum sitzen, heisst noch lange nicht, dass feministische Politik gemacht wird. Es braucht also mehr als Repräsentation. Wir fordern seit Jahren den Einbezug von Fachpersonen wie Müttern, Hebammen, Pädagog:innen und Kinderbetreuer:innen in die Ausarbeitung eines tragfähigen Vorschlags.
6.
Welchen Einfluss hat das aktuelle politische und soziale Klima auf solche Entscheide? Sehen Sie im Vorschlag der SGK einen Ausdruck des aktuellen Backlashs gegen Frauenrechte?
Der Vorschlag der Kommission ist Ausdruck eines politischen Klimas, in dem feministische Errungenschaften zunehmend unter Druck geraten. Nicht nur rechte Parteien, auch sozialliberale Kräfte reduzieren Gleichstellung auf wirtschaftliche Verwertbarkeit. Der Vorschlag, den Mutterschutz zu kürzen, um Vätern ein paar Wochen Elternzeit zu ermöglichen, passt genau in dieses Muster: Er verkauft Abbau als Fortschritt – und spielt Frauen gegen Männer aus. In diesem Klima sind Schutzrechte plötzlich verhandelbar. Dabei wurde der Mutterschutz nicht zufällig eingeführt, er schützt die körperliche und psychische Gesundheit von Mutter und Kind in einer extrem vulnerablen Lebensphase. Wer diesen Schutz infrage stellt, um Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu füllen, zeigt, wie wenig die Sorge um Menschenleben im Zentrum dieser Politik steht.
7.
Nun will die SGK einen Gesetzesentwurf ausarbeiten und dem Parlament präsentieren. Hat dieser Erfolgschancen bei den Parlamentarier:innen? Und dann später – wenn es zur Abstimmung kommen sollte – auch bei der Bevölkerung?
Politisch ist leider vieles möglich. Wichtig ist, dass wir laut und klar zeigen, was wir wollen und was nicht. Wenn wir uns wehren, uns mobilisieren und den Druck erhöhen, können wir Einfluss nehmen.
8.
Wie können Frauen sich dagegen wehren, aktiv werden?
Jetzt ist es wichtig, laut zu werden – jeder Online-Kommentar zählt und hilft, Sichtbarkeit zu schaffen und politischen Druck aufzubauen. Und am 14. Juni, dem feministischen Streiktag, gehen wir gemeinsam auf die Strasse. Zudem dürfen wir nicht vergessen, wie wichtig auch die Gemeinde- und Kantonsebene ist, wo viele politische Entscheidungen für Familien und Frauen getroffen werden. Deshalb rufen wir alle Frauen und solidarischen Menschen mit Wahlrecht dazu auf, sich an Wahlen zu beteiligen, feministische Kandidat:innen zu wählen oder sich selbst zu engagieren. Ob mit Infos, Protest, Spenden oder Engagement – wichtig ist, nicht still zu bleiben. Nur gemeinsam können wir etwas bewegen.
9.
Was fordern Sie von der EKdM konkret?
Wir fordern mehr Zeit und Geld für Kinderbetreuung – und mindestens 14 Wochen Mutterschutz mit fairer Bezahlung. Dieser muss ausgebaut werden; auch vor der Geburt und für alle, die heute ausgeschlossen sind, wie etwa Bäuerinnen oder Selbstständige. Zudem braucht es eine bezahlte Elternzeit von mindestens einem Jahr. Vorbild könnte etwa das deutsche Modell sein, bei dem Elternzeit auch in Teilzeit bezogen werden kann. Wichtig ist, dass diverse Familienmodelle mitgedacht werden.
10.
Und wie soll das finanziert werden?
Das ist eine Frage des politischen Willens und der Prioritäten. Heute zahlen Frauen die Rechnung – mit unbezahlter Arbeit, weniger Lohn und gesundheitlicher Belastung. Gleichzeitig werden für andere Bereiche – wie derzeit etwa die Armee – binnen kürzester Zeit milliardenschwere Mittel bereitgestellt. Es ist offensichtlich möglich, grosse Summen zu mobilisieren, wenn die Parlamentarier:innen dies wollen. Geld ist da. Wir könnten es auch für Frauen und Kinder ausgeben.
Die Eidgenössische Kommission dini Mueter (EKdM) entstand im Anschluss an den feministischen Streik von 2019. Sie setzt sich auf lokaler, kantonaler und eidgenössicher Ebene für feministische Mütterpolitik ein und kämpft für bessere Bedingungen von Mutterschaft und Kinderbetreuung.