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Kommentar zum «Club»: Wie ich beim SRF meine Existenz verteidigen musste

LGBTQIA+

Kommentar zum «Club»: Wie ich beim SRF meine Existenz verteidigen musste

«Reizhema Gender»: So heisst die «Club»-Sendung vom SRF, zu der Sascha Rijkeboer eingeladen wurde. Sascha Rijkeboer ist trans non-binär – und erzählt hier, warum die Erfahrung so gewaltvoll war.

Das Schlimmste sind die Selbstvorwürfe danach. Ich hätte mehr sagen müssen, hätte besser argumentieren können. Aber ich hatte nicht die Kraft, mich deutlicher als durch ein schüchternes Handzeichen bemerkbar zu machen. Ich hatte nicht die Kraft und auch nicht die Absicht, arg reinzugrätschen. Ich muss mir eingestehen: Ich habe es unterschätzt, was es emotional bedeutet, in diesem künstlichen Raum zu sitzen und mich für meine Existenz verteidigen zu müssen.

Danach ist: nach der SRF-Sendung «Club» am Dienstagabend, 30.Mai 2023. Ich und fünf andere Leute wurden in diesen kleinen künstlichen Raum eingeladen. Ein kleines, kreisrundes Studio – eine Theaterkulisse mit grellem Licht und grauen Polstersesseln. Meiner knarzte bei jeder Bewegung, so als würde mich der Stuhl warnen, es überhaupt zu wagen, auf mich aufmerksam zu machen.

«Der Club ist die gemütliche Arena, es ist ein bisschen mehr plaudern und ein bisschen weniger streiten», haben mir alte Hasen vor der Sendung gesagt. Geplaudert wird mit sechs Gästen unter dem Titel «Reizthema Gender». Ein ziemlich gewichtiger Titel für einen Schwatz, für ein lockeres Aufzeigen der «Meinungen», die zu dem Thema herrschen.

Mit mir in der Plauderrunde: Eine «TERF» (kurz für: Trans-Exclusionary Radical Feminist), eine SVPlerin, der Gemeindepräsident von Stäfa, ein Mathematiklehrer, der als Dragqueen auftritt, und eine Geschlechterforscherin. Moderiert wie immer von Barbara Lüthi.

Ich haderte lange damit zuzusagen. Denn ich wäre die einzige betroffene Person, die nicht cis ist. Ich bin trans und non-binary. Aber ich sagte zu, mitzumachen und für mich und andere einzustehen. Es ist ja nicht das erste Mal, dachte ich mir. Ich habe Kolumnen geschrieben, an zahlreichen Podien teilgenommen, Podcasts gemacht und wurde filmisch porträtiert. Aber in diesen Settings waren meine Gegenüber wohlwollend, interessiert. Ich sprach über Sensibilisierung, Stigmatisierung und fehlenden Schutz vor Hatecrimes. Doch in der SRF-Sendung ging es um Gegenüberstellung.

Ich sass einer SVPlerin gegenüber, deren Partei in ihrem Programm von «Gender-Terror und Woke-Wahnsinn» schreibt. Die den Menschen Angst machen will. Einmal mehr. «Vor der Einflussnahme der Trans-Community.» Vor mir.

Und ich sitze im grellen Raum, um mich herum rollen drei Kameras und Assistent:innen hantieren mit Kabeln. Gemeinsam mit einer Geschlechterforscherin und einem Mathematiklehrer, der als Dragqueen auftritt, verteidige ich mein Existenzrecht, weil wir das … müssen?

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«Es durften Unwahrheiten und Ressentiments verbreitet werden, ohne dass die Produktion eingriff»

Unsere Gegenüber sind seit Jahren politisch aktiv, wohl auch rhetorisch geschult. Die Spiesse sind ungleich lang. Das sprach ich Tage vor der Sendung mit SRF an. Aber leider mit mässigem Erfolg – dass eine zweite trans Person an meiner Seite in der Sendung ist, konnte ich nicht erwirken.

Ich musste mir, als ich unmittelbar nach der Aufzeichnung mit der Produzentin sprach, sogar anhören, dass die Sendung durch den intensiven Austausch mit mir und die Auseinandersetzung mit meinen Befürchtungen (die sich bewahrheiteten) schlechter habe vorbereitet werden können. Ich bin also selber schuld daran? Die Produzentin machte mit dieser Aussage «victim blaming».

Beim «Reizthema Gender» durften Unwahrheiten und Ressentiments verbreitet werden, ohne dass die Produktion eingriff. Die «TERF» sagte zum Beispiel, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gebe (was mittlerweile wissenschaftlich widerlegt ist, auch wenn sich die Idee hartnäckig in unserer Gesellschaft hält) oder dass Kinder und Jugendliche ohne weiteres irreversibel operiert würden.

Aussagen wie diese liess Barbara Lüthi unhinterfragt im Raum stehen. Die SVPlerin operierte mit dem Begriff «trans-Ideologie». Dabei ist Trans keine Ideologie, also etwas, das man sich aussucht. Diese Falschaussagen wirken nun nach.

Es fühlte sich fürchterlich an. Es war gewaltvoll. Dabei hätte es auch anders laufen können. Sogar ganz konstruktiv. Zum Beispiel, indem ausschliesslich Betroffene aus dem Akronym LGBTIQ+ sprechen würden. Ich bin überzeugt, das könnte interessant und lehrreich sein, die Bevölkerung hätte die Gelegenheit, einer vielfältigen Diskussion zu folgen.

Nuancierungen könnten herausgearbeitet werden. Ich würde nach der Sendung nicht mehrere «Warum bist du nicht einfach schwul?»-Nachrichten auf Instagram erhalten. Die Sendung verpasste es ganz offensichtlich, Begriffe wie «trans» oder «non-binär» zu erklären. Barbara Lüthi gab mir die Hand darauf und ihr Versprechen, einen solchen «Club» mit ausschliesslich Betroffenen nachzuholen.

Und ja – ich finde, es können durchaus auch nicht-queere Leute etwas zu dem Thema sagen, wie beispielsweise im Fall der eingeladenen Geschlechterforscherin Christa Binswanger. Aber ich finde es falsch, wenn Leute, die keine Betroffenheit kennen, «dagegen» sind, ohne etwas davon zu verstehen – und vor allem, wenn sie dann mit der Verletzlichkeit einer solchen Gruppe Politik machen und absichtlich Angst und Unsicherheit in der Gesellschaft schüren möchten.

In der «Club»-Sendung eine Woche vor dem «Reizthema Gender» ging es um ein Bergdorf in Graubünden, das von einer Steinlawine bedroht wird. Es wurden keine Gegner:innen eingeladen. Niemand verneinte die Gefahr und sagte Betroffenen, die um ihr Haus und ihre Existenz bangen, dass sie sich mit ihrem «Berg-Terror» und «Wohn-Wahnsinn» mal nicht so in den Mittelpunkt stellen sollen. Wenn der SRF-«Club» so über Betroffene aus einem Bündner Bergdorf sprechen kann, wünsche ich mir das auch für die Anliegen von LGBTIQ+. Es ist nicht so, als würde das im «Club» dauernd passieren. Es ist noch nie passiert.

Sascha Rijkeboer (Pronomen: they/them – keine – iel) hat die Sichtbarkeit von non-binären Menschen in der Deutschschweiz stark geprägt. They arbeitet auf verschiedenen Ebenen aktivistisch und wurde von einem Basler Filmemacher im preisgekrönten Film «Being Sascha» porträtiert. Sascha drückt sich auch unabhängig künstlerisch aus, u.a. im Schreiben, Performen, Theater und Film. Sascha ist im Vorstand vom Transgender Network Switzerland.

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Anja

Ich musste bei der Sendung bald umschalten. Es tat mir so Leid, wie über dieses Thema gesprochen wurde, wirklich, als können betroffene Leute etwas dafür, als hätten sie sich das ausgesucht…
Es entspricht unserem Zeitgeist, alles was umdenken erfordert, wird abgelehnt und mit scheinfädigen Begründungen in die böse Ecke verbannt. Es kostet Zeit um zudenken, es kostet Energie… und alles was etwas kostet ist grundsätzlich schlecht. Da stecken aber Menschen dahinter, das wird gerne vergessen.
Ich hätte von dieser, wie ich sonst finde, guten Sendung, etwas mehr Einfühlungsvermögen erwartet. Ich finde aber trotz allem, Sascha hat sich gut geschlagen. Bravo! ❤️

Urs Hodel

Ein Gemeindepräsident mit netten Worten, eine SP Frau deren Aussagen durch Repetition auch nicht wahr werden und eine SVP Vertreterin die schwierig auszuhalten war, auf der andern Seite drei Menschen die hoffentlich noch viele Auftritte haben werden…..,es gibt noch viel zu lernen!
Urs (170 cm gross, Jahrgang 1950, hetero, glaube an die Evolution…)

barbara bosshard

Hallo Sasha, danke für den Erfahrungsbericht. Genau so ist. Dieses Muster (sogenannt Betroffene und Gegner:innen in der Runde) führt einfach zu nichts! Weil wir uns immer erklären müssen. Weil radikal am alten Verhaftete/Verschworene nicht bereit sind, an ihrer eingemeisselten Denkstruktur auch nur einen Millimeter zu ändern. Den Hass, das Unverständnis etcetc geht unter unsere Haut. Daher nur noch Runden bei denen alle Beteiligten bereit sind, aufeinander zuzugehen und miteinander eine inkludierende Zukunft anzugehen.
Barbara Bosshard, Lesbe

Walter Helbling

Frau von Felten äusserte sich ausgesprochen einfühlsam und verbreitete ganz sicher keine Ressentiments. Dass sie hier aber nicht einmal mit ihrem Namen genannt, sondern lediglich als “die «TERF»” apostrophiert wird, und dass man ihr am liebsten verbieten würde, ihre Meinung zu äussern, das sagt ja eigentlich alles. Aber natürlich ist dies kein Wahnsinn – denn es hat ja offensichtlich Methode!

Maria

Danke vielmals für deine Arbeit, Sascha. So wertvoll und wichtig.