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Corona, Wirtschaftskrise und Klimawandel – wie wir trotzdem nicht verzweifeln

Leben

Corona, Wirtschaftskrise und Klimawandel – wie wir trotzdem nicht verzweifeln

  • Text: Sarah Lau; Illustration: Ramon Ring

Was die Corona-Pandemie mit der Klimakrise zu tun hat, und warum wir beide dazu nutzen sollten, uns und vor allem unseren Kindern Hoffnung zu machen. Hoffnung, dass die Welt doch noch zu retten ist.

Dieser Tage rechnet man in einer neuen Zeiteinheit: das Leben vor und nach dem Ausbruch von Covid-19. Dem menschlichen Naturell wohnt inne, dass wir gern romantisieren, und so zeichnen wir Bilder eines früheren Daseins von sorgenfreien Restaurantbesuchen mit verboten vielen Freunden am Tisch. Doch erinnern wir uns: In der Arktis brachen auch damals die Eisberge weg, die australischen Wälder brannten und immer grössere Teile der Welt versanken in den Fluten. Schlimm, keine Frage, aber nachhaltig aufregen? Inzwischen haben wir wahrlich andere Sorgen. Das einzig Gute an Corona ist doch, dass wir wenigstens dieses andere existenziell bedrohliche Thema namens Klimawandel gepflegt beiseiteschieben können. Doch auch auf die Gefahr hin, zu nerven: Wir dürfen die Pandemie nicht losgelöst von der Klimakrise begreifen. Johannes Vogel, Direktor des Berliner Naturkundemuseums und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität in Berlin, sagte vor wenigen Tagen gegenüber der «Zeit»: «Wir schauen zu wenig auf die Tatsache, dass ein falsches Mensch-Natur-Verhältnis viele unserer Probleme befeuert, meist sogar verursacht.» Er ist überzeugt: «Die grossen Herausforderungen – der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und eben das Aufkommen ganz neuer Erreger, die den Menschen letztlich wieder bedrohen – hängen alle zusammen.»

So, und nun schauen Sie mal, was passiert, wenn Sie sich mit diesem Artikel auseinandersetzen: Vielleicht hören Sie auf zu lesen, weil sie keine Lust haben, sich den Tag verderben zu lassen. Vermutlich aber spüren Sie, wie die Konfrontation Ihnen die Luft abschnürt. Wie Unwohlsein sich in Panik um den Planeten und die eigene Existenz umwandelt und wie wir uns angesichts der ungeheuren Bedrohung hilflos ausgeliefert fühlen. Die Angst hat einen Namen: Eco Anxiety, die Angst um unsere (Um)welt.

Was tönt wie eine instagramkompatible It-Maladie, mündet inzwischen bei immer mehr Menschen weltweit in Angststörungen bis hin zu ernsten Depressionen. Und wenn die WHO in ihrem letzten Jahresbericht «die Auswirkungen der Klimakatastrophe als die grösste Bedrohung für die Gesundheit des Menschen» bezeichnet, dann schliesst das Eco Anxiety mit ein. «Der Begriff selbst existiert ja schon seit Jahrzehnten, und allein die Erhebungen rund um die Erderwärmung sorgen seit Dekaden für ungeheure Ängste gerade unter Umweltschützern. Doch erst jetzt, da der Kollaps unausweichlich wird und auch in den Massenmedien präsenter ist, taucht Eco Anxiety wieder auf – wahrscheinlich, weil es so gut beschreibt, was immer mehr Menschen fühlen und wessen sie sich auch bewusst werden», sagt Psychologin Caroline Hickman. Die Britin ist Mitglied der britischen CPA (Climate Psychology Alliance), einem Verbund an Psychologen, Ärzten und Kreativen, die auf den Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe und psychischer Gesundheit spezialisiert sind.

Collapse Dispair, also die Verzweiflung wegen des bevorstehenden Zusammenbruchs, wird nun auch noch durch den Ausbruch des Corona-Virus befeuert, denn auch hier steht die Einzelperson verunsichert und überfordert von der Komplexität des Themas da. Erste Psychologen warnen bereits, dass der Corona-Pandemie eine Anxiety-Pandemie folgen wird, weil die Menschen heillos überfordert sind mit der zusammenbrechenden Welt. Menschen mit bereits bestehenden Ängsten sehen sich indes in ihren Worst-Case-Szenarien bestätigt, was eine Verschlimmerung der Psychosen erwarten lässt. Bei der Sars-Pandemie vor 17 Jahren litten bereits sechzig Prozent aller ins Spital eingelieferten Infizierten unter psychischen Störungen wie Panikattacken, Psychosen und Depressionen. Und wir haben noch nicht mal angefangen, von den Kindern zu sprechen.

KINDHEIT ZWISCHEN GLACE UND GLETSCHERSCHMELZE

Auch in der Schweiz berichten immer mehr Ärzte und Psychologen von kleinen Patienten, die sich um den Untergang der Welt sorgen. Durch das Virus Sars-CoV-2 erlangt diese Angst nun nochmal eine neue Dimension. Die Opfer häuslicher Gewalt oder Kinder, die mit ihrem Lernstoff allein gelassen noch weiter ins soziale Abseits geraten, stehen dabei auf einem anderen Blatt. Wir reden von Kindern, die wissen, wie ein Flugzeug von innen aussieht und dass es Nutella nur am Wochenende gibt. Kinder, die bei Fridays for Future selbst gebastelte Plakate hochhalten und sich neben ihren Sorgen um den Amazonas jetzt auch noch fragen müssen, ob Grossmami an Corona stirbt und Papi seine Arbeit verliert. Denn auch wenn wir, so gut es geht, die schlechten Nachrichten von den Kleinen fernzuhalten versuchen, unterschätzen wir, wie viel selbst Primarschüler bewusst oder unbewusst mitbekommen. Wenn Radio, Fernsehen, Tiktok oder auch Klassenkollegen von australischen Waldbränden und Schweizer Rekordsommern erzählen, dazu noch coronabedingte Schulschliessungen und Kontaktverbote sie erschüttern, nehmen Kinder Informationen auf, die sie allein nicht verarbeiten können.

Die WHO hat das schon lange im Blick. Neben Studien, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit befassen, gibt es ganz aktuell einen Leitfaden, der eindringlich aufruft, während der Pandemie das Seelenheil der Jungen im Blick zu haben. Für die Vier- bis Zehnjährigen gibt es gar ein eigenes Blatt. Denn jedes Kind hat eigene Wege, seiner Angst Ausdruck zu verleihen. Manche malen Bilder von Monstern, die sie töten wollen. Andere bekommen Wutanfälle oder wollen plötzlich alles nur noch von Mamis Schoss aus machen. Und dann gibt es Kinder, deren Körper das Sprechen übernimmt. Von Übelkeit über Schlafstörungen, Herzrasen, einem Verlernen von Sprache bis hin zu Bettnässen ist alles dabei. Die wenigsten Kinder aber werden zu ihren Eltern gehen und sagen: Mami, ich hab da ein Problem und möchte gern mit dir über meine derzeitigen Sorgen sprechen.

Zumal Kinder merken, dass es den meisten Eltern, Lehrern und selbst Kinderärzten unangenehm ist, über die bedrohlichen Themen zu sprechen. Also wagen sie es nicht, die Grossen in die Pflicht zu nehmen und mit unliebsamen Fragen zu verstimmen. Und zugegeben, wir ertragen es ja selbst kaum, mit unserer Angst und auch den Schuldgefühlen konfrontiert zu werden, noch weniger aber unsere Kinder leiden zu sehen. Und so holen wir lieber eine Glace aus dem Kühlschrank, als über die Gletscherschmelze zu sprechen. Dass wir für den desolaten Zustand unseres Globus und unserer Spezies zuständig sind, macht es auch nicht einfacher zu reden. Das aber ist auf lange Sicht das Schlimmste, was den Kindern passieren kann, denn dann drängt man sie mit ihren Sorgen erst recht in die Isolation und riskiert, dass aus Anpassungsstörungen Angststörungen und Depressionen werden.

DIE GUTE NACHRICHT: IN DER KRISE LIEGT DIE GROSSE

Doch auch dem Bewusstwerden der eigenen Traurigkeit und Ohnmacht ist bei Gross und Klein etwas Gutes abzugewinnen. Meint es doch, dass wir realisieren, dass die Welt uns etwas angeht. Denn genau das ist das grosse Problem: In dem einen Moment schauen wir tief betroffen in den Nachrichten der Zerstörung des Regenwaldes zu, eine Minute später schreiben wir den Einkaufszettel fürs Wochenende. Gehacktes und neuseeländische Kiwis inklusive. Und hätten die Regierungen weltweit nicht Notverordnungen und Ausgangssperren in Kraft gesetzt, sässen wir heute noch munter in der Beiz und würden ungeniert die Tröpfchen austauschen und so tun, als sei Corona nichts anderes als eine schwere Grippe. Die US-amerikanische Soziologieprofessorin Kari Norgaard spricht in ihrem Buch «Living in Denial: Climate Change, Emotions and Everyday Life» von der Angst und den Schuldgefühlen, die die Menschen – in Kombination mit der Hilflosigkeit angesichts der nicht reagierenden Politik und Wirtschaft – dazu bringen, so weiterzuleben, als hätten sie die Nachrichten von der existenziell bedrohten Welt nicht gehört. Norgaard zieht Parallelen zu den psychologischen Gründen, weshalb es auch so vielen Menschen gelang, den Holocaust zu ignorieren: Selbstschutz. Indem man unangenehmen Tatsachen und der Notwendigkeit, etwas zu unternehmen, aus dem Weg geht, versucht man sich selbst vor dem Grauen zu schützen.

Einleuchtend also, dass aus der psychologisch erklärbaren Ignoranz abzuleiten ist, dass man einen psychologischen Lösungsansatz braucht: Weg von den alleinstehenden Katastrophennachrichten, müssen wir Möglichkeiten an die Hand nehmen, um den Klimawandel, aber auch die Verbreitung des Virus zu stoppen. Und die gibt es. Den Blick auf das Positive zu richten und sich vor Augen zu führen, dass es durchaus relevant ist, wie jede und jeder Einzelne von uns sich fortbewegt, ernährt und kleidet, Hygienevorschriften beachtet und Social Distancing ernst nimmt, das alles hilft uns auch, Hoffnung zu schöpfen.

Mit unseren Kindern zu sprechen und uns ihren und unseren eigenen Ängsten zu stellen, bedeutet dabei auch, aktiv zu werden, die Apathie zu überwinden. «In dieser Beziehung können wir wahnsinnig viel von den Kindern lernen», sagt Fatimah Saehrendt, Kinder- und Jugendärztin aus Thun und Mitbegründerin der Schweizer One Health Alliance (OHA), einem ökologisch orientierten Netzwerk von Gesundheitspersonal. «Ihre Haltung und ihre Ideen bauen mich immer wieder auf. Wenn ich mit meinen Kindern spreche, staune ich über ihre offene, zukunftsfreudige Einstellung und ihren leicht zu weckenden Tatendrang. Gerade weil Kinder nicht mit ständigen Verlustängsten um Status und Wohlstand beschäftigt sind, kommen sie schneller in Bewegung. Und hier liegt unsere Chance.» Gerade jetzt, wo die Menschheit die Folgen von Globalisierung und Klimawandel als Pandemie katastrophal zu spüren bekommt und wir zum Innehalten gezwungen sind. Wieder einmal sind es auch die Kinder und Jugendlichen, die mit als erste in Aktion treten. Applaudieren wir den Kleinsten, die einen bunten Regenbogen auf die Strassen malen und in krakeligen Buchstaben der isolierten Nachbarin gute Besserung wünschen. Seien wir gerührt, wenn die Jugend sich in aller Menschlichkeit mit hilfsbedürftigen Senioren solidarisiert. Und vergessen wir auch nach Abklingen von Covid-19 nicht, dass ausgerechnet die Natur es war, die uns in der Krise zu trösten vermochte.