
Eine emotionalisierte Welt der Befindlichkeiten: Mehr Selbstironie, bitte!
Mit Witzen über sich selbst lassen sich Krisenmomente auflockern und Herzen gewinnen, schreibt Redaktorin Esther Göbel. Sie erklärt in ihrem Kommentar, warum uns mehr Selbstironie guttun würde.
- Von: Esther Göbel
- Bild: Stocksy
Wie steht es um Ihre Selbstironie? Ich wage die These: Schlecht. Die wenigsten Menschen verfügen über dieses Talent. Ich leider auch nicht. Dafür müsste ich mehr Distanz haben zu meinen eigenen Schwächen, einen liebevollen Blick entwickeln auf meinen Perfektionismus oder auf meine Strenge anderen gegenüber. Ich müsste cooler sein, gelassener. Aber zu dieser Sorte Mensch gehöre ich nicht, auch wenn ich mich sehr bemühe – was der Coolness etwa so zuträglich ist wie eine vorweggenommene Pointe einem guten Witz.
Man sagt am ehesten den Briten nach, dass sie über sich selbst lachen können. Schliesslich hat dieses Land Monty Python erfunden und Martin Parr hervorgebracht. Die Deutschen und Schweizer:innen aber? Verloren! Die Deutschen lachen seit jeher am liebsten über andere (man denke nur an die «Comedians» des Grauens Mario Barth oder Oliver Pocher, deren Humor darin besteht, Klischees zu bedienen, um sich über andere zu erheben).
«Unfähig zu abgründiger Selbstironie»
Und über die Schweizer:innen sagte der Schriftsteller und Literaturwissenschafter Adolf Muschg einmal: «Schweizer sind unfähig zu abgründiger Selbstironie … Die Schweiz musste sich immer ernster nehmen, als sich der Mensch ernst nehmen darf.» Abseits des eigenen Selbstbewusstseins und der Prägung durch kulturelle Herkunft spielt auch der Zeitgeist eine Rolle in der Frage, warum es den meisten von uns an Selbstironie mangelt. Wir leben in einer emotionalisierten Welt der Befindlichkeiten.
Das ist zwar gut, denn Gefühle werden heute viel ernster genommen als vor zwanzig Jahren. Ich halte es für eine Errungenschaft, dass heute nicht mehr alles über jeden und jede Minderheit gesagt werden darf. Frauen profitieren von dieser Entwicklung. Ein sexistischer Spruch gilt heute nicht mehr einfach als ein plumper Witz, sondern als das, was er schon immer war: Diskriminierung.
"Natürlich kann Selbstironie Krisen nicht lösen. Aber sie hilft uns, wenigstens kurz eine Distanz zu den Dingen einzunehmen"
Gleichwohl scheinen wir bei all der Ernsthaftigkeit und der herrschenden, durch Social Media gewachsenen Vorliebe zur Empörung etwas verlernt zu haben: auch mal über sich selbst zu lachen. Viel eher fühlen wir uns missverstanden, getriggert, einem Angriff ausgesetzt – und gehen direkt zum Gegenangriff über.
Schwere aus der Situation ziehen
Dabei lassen sich mit Selbstironie Krisenmomente auflockern und Herzen gewinnen. Weil Selbstironie eine solch entwaffnende Kraft hat. Das weiss jede Person, die im Streit mit dem geliebten Gegenüber die Grösse besessen hat, statt des nächsten Vorwurfs einen Witz über sich selbst zu machen.
Es ist wie ein Zaubertrick: Sich einmal durch den Kakao zu ziehen, kann aus einer Unerträglichkeit eine Überlegenheit machen. Gekündigt worden? Partnerschaft im Eimer? Geld verloren? Natürlich kann Selbstironie solche Krisen nicht lösen. Aber sie hilft uns, wenigstens kurz eine Distanz zu den Dingen einzunehmen, für einen Moment die Schwere aus der Situation zu ziehen.
Ich habe Menschen, die fähig sind, über sich selbst zu witzeln, seit jeher bewundert. Denn sich der eigenen Lächerlichkeit preiszugeben, braucht Mut. Das ist die magische Kraft von Selbstironie: Sie macht einen nicht kleiner – sondern grösser.