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FIZ-Geschäftsführerin Lelia Hunziker über Menschenhandel: «Auch kräftige Männer und selbstbewusste Frauen können Opfer sein»

FIZ-Geschäftsführerin Lelia Hunziker über Menschenhandel: «Auch kräftige Männer und selbstbewusste Frauen können Opfer sein»

Lelia Hunziker, Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ, über den Wandel des Opferbildes – und warum echter Opferschutz noch immer am politischen Willen scheitert.

annabelle: Lelia Hunziker, Sie steigen regelmässig in den Ring…
Lelia Hunziker: …ja, ich boxe tatsächlich in einem richtigen Boxclub, in einem Boxkeller. Aber ich kämpfe nicht gegen Menschen, sondern hauptsächlich gegen Boxsäcke.

Trotzdem: Bei welcher Person oder welchem Thema würden Sie gerade gerne Ihre Vorhand ausfahren?
Ich bin ja eigentlich überzeugte Pazifistin. Dem Patriarchat würde ich jedoch gerne einen festen Boxschlag verpassen. In meinen sieben Jahren als Geschäftsführerin einer feministischen Organisation habe ich dessen Auswirkungen fast tagtäglich erlebt.

Können Sie in Ihrer Kritik konkreter werden? Der Slogan «Fuck the Patriarchy» wird ja heute schon fast bei jeder Gelegenheit hochgehalten.
Das Patriarchat ist meiner Ansicht nach eine dominante, mächtige und rechtgebende Gesellschaftsform. Auf deren Strukturen basieren die rigiden Migrationsgesetze, Arbeits- und auch Eherechte, die für unsere Klient:innen oft hohe Hürden bilden und Lücken verursachen.

Wo genau verorten Sie diese?
Etwa im fehlenden Zugang zu Aufenthalt und Arbeit oder im fehlenden Schutz in Partnerschaften. Gerade für Frauen bestehen die grössten Lücken in fehlenden Schutzplätzen nach Gewalterfahrungen oder Ausbeutung. Letztlich fehlt der politische Wille, Frauen vor Gewalt und Femizid zu schützen. Vergangene Woche hat dies der Nationalrat erneut demonstriert: Die Macht liegt auch heute noch beim «weissen Mann». Und der schützt lieber Schafe und Wein. Das ist die zynische Realität.

Wobei patriarchale Strukturen nicht nur von weissen, westlichen Männern hochgehalten werden, sondern in sehr vielen Gesellschaften weltweit präsent sind – und, notabene, auch von Frauen hochgehalten werden.
Natürlich. Das Patriarchat ist ein globales Machtsystem. Wer profitiert, verteidigt es – Männer wie Frauen. Es bestimmt Zugang zu Rechten, Arbeit, Schutz und Leben – und schliesst systematisch aus. Und dieser Ausschluss führt wiederum zu jenen Lücken, die die FIZ zu füllen sucht.

Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ wurde vor vierzig Jahren gegründet. Hauptziel war damals, Migrantinnen zu unterstützen, die in der Erotikbranche ausgebeutet wurden. Was hat sich seither verändert?
Als die FIZ vor 40 Jahren ihre Arbeit aufnahm, gab es noch kaum Frauenhäuser. Der Opferschutz bei sexualisierter und häuslicher Gewalt war damals nicht so weit ausgebaut wie heute. Heute gibt es eine spezialisierte Opferhilfe, es existieren Schutzhäuser und Beratungsstellen. Polizei und Staatsanwaltschaften sind zunehmend sensibilisiert. Migrant:innen, die von Gewalt betroffen sind, haben heute reale Optionen, eine gewalttätige Partnerschaft zu verlassen. Zudem hat sich die FIZ gemeinsam mit anderen Organisationen für die Rechte von Opfern von Menschenhandel eingesetzt. Vor 40 Jahren gab es weder einen Opferschutz für Betroffene von Menschenhandel – keine sichere Unterbringung, keinen besonderen Schutz im Ausländerrecht – noch galt Menschenhandel als Straftatbestand. Das haben wir verändert. Auch der Straftatbestand 182, der Menschenhandel, Anwerbung und Ausbeutung umfasst, ist Ergebnis dieser Entwicklung.

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"Es gibt Gruppen von Männern, die in die Schweiz kommen, um auf Baustellen zu arbeiten und auch da zu wohnen"

Wie hat sich das Opferbild gewandelt? Lange erachtete man die junge, vulnerable Frau, die entführt und zur Sexarbeit gezwungen wird als das stereotype Opfer.
Womit überlagert wurde, dass auch kräftige Männer und sehr selbstbewusste Frauen Opfer sein können. Und dass Opfer von Menschenhandel nicht nur in der Sexarbeit zu finden sind, sondern ebenso in Privathaushalten, in Nagel- und Kosmetikstudios, in der Landwirtschaft, in der Gastronomie und gerade auch auf dem Bau. Es gibt Gruppen von Männern aus Bulgarien, Ungarn, Polen und Moldau, die in die Schweiz kommen, um auf Baustellen zu arbeiten und auch da zu wohnen. Viele haben Werkzeug, Kessel und Leitern im Gepäck aber auch Säcke voller Bettwäsche und Kochutensilien.

Sehen sich diese Männer als Opfer?
Manchmal. Doch obwohl sie oft traumatisiert sind und innerliche wie äusserliche Verletzungen haben, wollen oder können sie nicht aufhören zu arbeiten. In Bezug auf den Opferbegriff muss sich die FIZ immer wieder hinterfragen, weil unsere Beratungs- und Betreuungsarbeit stark auf Ermächtigung basiert. Das heisst, wir unterstützen unsere Klient:innen auch bei Entscheidungen, die wir als Beratende vielleicht anders gefällt hätten. Trotzdem kommt es vor, dass wir uns schützend vor sie stellen und manchmal auch Viktimisierungstendenzen zeigen.

Das bedeutet?
Geht es zum Beispiel um Medienarbeit, nehmen wir oft vorweg, dass wir keine Klient:innen haben, die bereit sind, Aussagen zu machen. Wir gehen davon aus, dass sie keine Kraft dafür haben. Wir befinden uns mit unseren Klient:innen zwar in einem stetigen Austausch, kommen aber nicht umhin, ständig an uns zu arbeiten, um die Augenhöhe zu bewahren und sie nicht als Opfer zu sehen.

Wann ist das Dilemma zwischen Schutz und Selbstbestimmung besonders gross?
Wenn ein Opfer von Menschenhandel beispielsweise angibt, dass sie in der Sexarbeit weiterarbeiten möchte und selbst zu extremen Praktiken bereit ist. Dann geht es darum, anzuerkennen, dass Urteils- und Handlungsfähigkeit auch in prekären Situationen gelten. Es liegt nicht an uns zu sagen: «Du bist ein Opfer. Es kann für dich nicht stimmen.»

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"Personen, die Opfer von Menschenhandel sind, haben sich in den allermeisten Fällen längst für die Migration entschieden"

Mit anderen Worten, es gibt auch sehr rationale Gründe, Sexarbeit zu leisten.
Ja, und eben: Auch präkarisierte Menschen können selbstbestimmte Entscheidungen treffen; gerade, weil sie ihre aktuelle Situation sowie die für sie bestmöglichen Optionen am besten kennen. Was wir auch immer wieder betonen: Personen, die Opfer von Menschenhandel sind, haben sich in den allermeisten Fällen längst für die Migration entschieden. Haben sich gesagt: Ich habe keine Perspektive, ich will eine Veränderung in meinem Leben, für meine Kinder, für mein Umfeld. Und das ist ein unglaublich starker Entscheid.

Menschenhändler peilen in den meisten Fällen Personen in solchen Situationen an und locken sie mit falschen Versprechungen ins Ausland. Hier setzt das nordische Modell an: Es besagt, dass Prostituierte per se Opfer von Menschenhandel sind, und kriminalisiert den Kauf von sexuellen Dienstleistungen. Damit spricht es aber allen Sexarbeitenden jegliche Selbstbestimmung ab. Auch hierzulande wird das nordische Model immer wieder diskutiert. Wo steht die Diskussion aktuell?
Es herrscht ein Konsens darüber, dass Sexarbeit legal bleibt. Und ich glaube nicht, dass sich das in Zukunft verändern wird. Schlussendlich ist es ein politischer Entscheid, und die letzten Entscheide, die gefällt wurden, haben eine sehr klare Sprache gesprochen. Erst 2023 hat sich der Nationalrat zu 95 Prozent gegen das nordische Modell ausgesprochen. Und der Zürcher Gemeinderat befand, die Sexarbeit im Kreis 4 nicht zu verbieten, sondern faktenbasiert damit umzugehen. Bundesrat Beat Jans bestätigte im Sommer 2025, dass die bisherige Datenlage zum Sexkaufverbot keine Belege dafür liefert, dass ein solches Verbot Menschenhandel reduzieren oder zu mehr Sicherheit von Sexarbeitenden beitragen würde.

Es gibt aber auch Studien, die etwas anderes aussagen. Etwa jene der amerikanischen Psychologin Melissa Farley, die immer wieder als Begründung für ein Sexkaufverbot in Deutschland herangezogen wird.
Problematisch ist, dass für diese Studie ausschliesslich Sexarbeitende befragt wurden, die auf eine Beratungsstelle gingen. Personen, die keine Beratung brauchen, fehlen. Und von denen gibt es viele. Wenn man Opfer von Menschenhandel wirklich schützen und auch präkarisierten Sexarbeitenden Zugang zu Schutz und Rechten geben will, ist die Möglichkeit, legal arbeiten zu können, zentral. Zu diesem Schluss kommen auch Sexarbeiter:innen und alle Fachorganisationen. So wissen wir etwa aufgrund von Feldforschungen während der Coronapandemie – in dieser Zeit war Prostitution ja verboten – dass es mehr Gewalt, mehr ungewollte Schwangerschaften und mehr sexuell übertragbare Krankheiten gab. Die Sexarbeitenden waren durch das Verbot sehr viel vulnerabler geworden

"Die Polizei hat sich sehr gewandelt. Dort, wo es spezialisierte Einheiten gibt, funktioniert die Zusammenarbeit zum Teil sehr gut"

Sie sagen, Menschenhandel ist ein Hohldelikt. Können Sie das erklären?
Kurz gesagt: Da, wo hingeschaut wird, wird auch gefunden. Dass inzwischen neben der Sexarbeit mehr Opfer von Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung verzeichnet werden, hängt direkt mit dem nationalen Aktionsplan zusammen. Dieser hat den Kantonen den Auftrag gegeben, nicht nur im Rotlichtmilieu nach Opfern von Menschenhandel zu suchen, sondern auch Arbeitsinspektorate damit beauftragt, Baustellen, Gastronomiebetriebe oder auch Nagelstudios unter die Lupe zu nehmen. Der Punkt ist aber: Verschiebt man den Scheinwerfer, verschwindet etwas anderes ins Dunkle.

Was meinen Sie damit?
Polizeieinheiten mit mehr Ressourcen identifizieren mehr Fälle. Dort, wo die Ressourcen – und damit auch der politische Wille – fehlen, gibt es keine Opfer. Ausserdem sind die Ermittlungen unglaublich aufwendig. Bearbeitet eine Polizeigruppe schon mehrere Fälle, kann sie meist keinen weiteren Verdachtsfällen mehr nachgehen.

Die Polizei gilt oft als Lieblingsfeind von NGOs. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der Polizei, mit den Behörden verändert?
Nun, die Polizei hat sich sehr gewandelt. Gerade dort, wo es spezialisierte Einheiten gibt, funktioniert die Zusammenarbeit zum Teil sehr gut. In diesen Einheiten gibt es Personen, die unglaublich opferzentriert arbeiten.

Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?
Die Staatsanwaltschaft, die Polizei und wir, der Opferschutz, koordinieren unsere Tätigkeiten miteinander – alle in unseren Rollen. Sind wir nicht gleicher Meinung, gilt es, Lösungen zu finden. Opfer kommen meist über die Polizei zu uns. Wir beraten und betreuen sie, bieten ihnen Schutz, begleiten zu Einvernahmen und erklären Verfahren, Perspektiven und Optionen. Wir schaffen Vertrauen und Sicherheit. Das braucht es, damit sich die Betroffenen zu Aussagen entscheiden. Und diese wiederum braucht es für strafrechtliche Verfahren. Es kann dann aber durchaus sein, dass ein Opfer nicht bereit ist, auszusagen. Dann muss die Täterschaft aus der U-Haft entlassen werden – ein Frust für alle. Klar ist aber: Wir sind immer und ausschliesslich opferzentriert: Will jemand keine Aussagen machen, dann ist das so. Fertig. Das ist Opferschutz, und so sind die Opferrechte.

"Der Backlash ist wohl auf die rechtskonservative Politik, auf US-Präsident Trump und das Wiedererwachen des 'starken Mannes' zurückzuführen"

Inwiefern haben die Veränderungen in den letzten 40 Jahren den Charakter der FIZ gewandelt?
Vor einigen Jahren hat die Organisation ihre Angebote auf alle Menschen ausgedehnt, unabhängig von deren Geschlecht. Und ganz wichtig: Als die FIZ angefangen hat, war sie komplett spendenbasiert. Heute sind 70 bis 80 Prozent ihrer Leistungen von der öffentlichen Hand finanziert, sei es über Leistungsvereinbarungen, die Opferhilfe oder Präventionsgelder vom Bund. Unsere Leistungen sind Teil des Service Public geworden – das ist ein Paradigmenwechsel.

Ist dieser Paradigmenwechsel gut oder schlecht?
Ich finde ihn sehr gut. Das zeigt, dass auch diese vulnerable, marginalisierte und präkarisierte Zielgruppe in den Fokus der Politik gekommen ist. Natürlich ist die FIZ nach wie vor fordernd und ungemütlich. Denn es gibt noch sehr viel zu tun. Aber wenn man zu drei Vierteln öffentlich finanziert wird, wenn man eingebunden ist in Gremien und Gesetzgebungsprozessen, hat man eine andere Rolle. Diese auszutarieren, wird auch in den kommenden Jahren eine grosse Herausforderung sein.

Wie werden Sie diese angehen?
Die FIZ ist auch eine Pionierorganisation. Es gibt immer noch Lücken, und es kommen immer neue hinzu, die es zu schliessen, und Rechte, die es zu erkämpfen gilt. Im Projekt «Arbeitsausbeutung in Privathaushalten», zum Beispiel, legen wir den Fokus auf die Care-Migration. Oder vor kurzem ging es um den Tatort Ausland: Gemäss Europaratskonvention muss die Schweiz Personen, die im Ausland Opfer von Menschenhandel geworden sind, Schutz, Sicherheit und Beratung bieten. Und: Seit der Einführung des neuen Ehegesetzes 1988 erhalten Frauen, die einen Schweizer, eine Schweizerin heirateten, nicht mehr automatisch das Schweizer Bürgerrecht, sondern die B-Bewilligung. Das bedeutet, dass ihnen im Falle einer Trennung die Ausschaffung drohte. Mit der Revision des Ausländer- und Integrationsgesetzes und spezifisch der Härtefallregelung konnten wir im vergangenen Jahr die Situation für betroffene Frauen verbessern.

Wie kann die FIZ heute überhaupt noch aktivistisch sein?
Aktivismus bedeutet für mich, aktiv auf Unrecht hinzuweisen und Forderungen zu stellen. Das tun wir auf der Strasse – heute natürlich auch auf der digitalen Strasse – sowie in Arbeitsgruppen und Gremien.

Erzeugt diese Form des Aktivismus nicht auch Widerstände, die am Ende eher schaden?
Nun, es gibt sehr viele Organisationen, die sozial tätig sind und unglaublich gute Arbeit leisten, sich aber nicht am politischen Diskurs beteiligen. Und das ist ein Problem. Wenn neue Gesetze und Verordnungen entwickelt werden, ist es wichtig, eine Expertin im Behindertenwesen, in der Armuts- oder in der Suchbekämpfung zu hören. Denn die Politik weiss nie so viel und geniesst auch nie so viel Vertrauen wie jene Fachpersonen, die täglich im «Feld» stehen. Deren Wissen und Erfahrungen sind relevant für Lösungen. Deshalb muss die FIZ laut und klar bleiben.

Warum fehlen die Stimmen vieler Organisationen im politischen Diskurs?
Ich beobachte, dass der Raum gerade für zivilgesellschaftliche Akteur:innen in den letzten zwei, drei Jahren enger geworden ist. Dieser Backlash ist wohl zum Teil auf die rechtskonservative Politik, auf US-Präsident Trump und das Wiedererwachen des «starken Mannes» zurückzuführen. Bei den Zollverhandlungen im Weissen Haus glaubten ja Schweizer Wirtschaftsgrössen mit Gold und Rolex «flicken» zu müssen, was Bundesrätin Karin Keller-Sutter bei Donald Trump scheinbar nicht geschafft hat. Sie behaupteten, die gleiche Sprache zu sprechen wie der amerikanische Präsident. Diese Erzählung ist eine Gefahr für Organisationen wie die FIZ, vielleicht sogar ganz grundsätzlich eine Gefahr für die feministische Debatte.

Inwiefern?
Ich stelle fest, dass Männer und ihre Meinungen wieder mehr Gewicht haben. Dass man als Frau lauter und klarer sein muss, um gehört zu werden. Und das wird dann gerne als emotional – was ja die kleine Schwester von hysterisch gilt – ausgelegt. Damit werden Frauen ihrer Stimme und Fachlichkeit beraubt.

 

"Wir geben uns das Label links-feministisch nicht selbst, es wird uns zugeschrieben"

Vor wenigen Wochen wurde die FIZ in einem NZZ-Artikel zur Sexarbeit als links-feministisch bezeichnet. Ist dieses Framing «links-feministisch» der Sache noch dienlich?
Wir geben uns dieses Label nicht selbst, es wird uns zugeschrieben. Wir sind eine Fachorganisation, die Mitarbeitenden sind Fachpersonen. Spannend ist ja, dass die NZZ in der Debatte um Sexarbeit impliziert, dass sich nur Links-Feminist:innen gegen das nordische Modell aussprechen. Dabei tut das der gesamte Bundesrat, und wie gesagt, auch der Nationalrat.

Die «linken Feminist:innen» hallen aber nach. Als auf der anderen Seite stehend werden im NZZ-Artikel radikale evangelikale Organisationen bezeichnet, die Sexarbeiterinnen beim Ausstieg unterstützen. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Dieser Diskurs wird allen nicht gerecht und spiegelt die Realität nicht wider. Wir sprechen mit christlichen Organisationen, treffen uns an Konferenzen und Fachtagungen. Zwar haben wir unterschiedliche Haltungen und finden auch keine Kompromisse, doch verfolgen wir das gleiche Ziel: Dass es Menschen, die in Not sind, besser geht. Und dann gibt es – wie übrigens auch in anderen Bereichen der Sozialarbeit – fundamentalistisch christliche Organisationen, die bei verletzlichen Menschen in Abhängigkeiten missionieren. Das halte ich für falsch und gefährlich.

Wird mit dem Framing «links-feministisch» bewusst eine Spaltung vorangetrieben oder besteht trotz allem Grund zur Kritik, vielleicht sogar Selbstkritik?
Vielleicht eher Medienkritik. Dieser Diskurs findet ja ausschliesslich in den Medien statt. Und bei dieser Spaltung verlieren beide Lager. Ein starkes Zeichen wäre, wenn wir gemeinsam auftreten und sagen würden: beide Zuschreibungen, die links-feministische wie die radikal-evangelikale sind im Grunde sexistisch. Denn in all diesen Organisationen arbeiten vornehmlich Frauen. Solche Medienbeiträge schicken quasi die «keifenden Weiber» aufeinander los.

Ein beliebtes Narrativ.
Das zeigt auch der Titel eines anderen Artikels. Der lautet: «Frauen beschimpfen Frauen». Das Bild der emotionalen, hysterischen und letztlich auch inkompetenten Weiber wird immer wieder aufgenommen.

Welche Bereiche muss die FIZ in Zukunft noch verstärkt ins Licht rücken?
Die Ausbeutung und Gewalt an Menschen und ausländerrechtliche Abhängigkeiten. Und die Tendenz, Europa als Festung zu verstehen. Dass man also den Arbeitsmarkt verengt und den Zugang erschwert, fördert Ausbeutung und Gewalt. Es braucht legale Zugänge für Menschen aus Drittstaaten, es braucht sichere Fluchtwege und es braucht niederschwellige, aufsuchende Beratung – off- und online. Doch die 28 Femizide in der Schweiz zeigen klar: Wir sind noch längst nicht am Ziel. Die Hürden sind weiterhin zu hoch, der Schutz zu tief.

Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ wurde im Mai 1985 gegründet. In ihren Anfangszeiten beschäftigte sie vier Personen, inzwischen ist die Zahl der Mitarbeitenden auf gut 50 angewachsen. Die FIZ führt ein Opferschutzprogramm für Betroffene von Menschenhandel, eine Beratungsstelle für Migrant:innen, die von Ausbeutung und Gewalt betroffen sind, berät selbstbestimmte Sexarbeitende und betreibt acht Schutzunterkünfte. Die FIZ arbeitet politisch.

Nach sieben Jahren als Geschäftsführerin der FIZ gibt Lelia Hunziker ihr Amt ab. Ab Februar 2026 tritt Irena Wettstein ihre Nachfolge an.

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