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Frauenfussball in der Schweiz: Bringt die UEFA Women’s Euro 2025 endlich Gleichberechtigung?

Frauenfussball in der Schweiz: Bringt die UEFA Women’s Euro 2025 endlich Gleichberechtigung?

Frauenfussball hat in der Schweiz eine lange Geschichte, aber gleichberechtigt war er nie. Bringt die UEFA Women’s Euro 2025 die Wende? Der grosse Report.

Ein gezielter Distanzschuss, schon zappelt der Ball im Netz. Die 12-jährige Ava reisst die Arme in die Höhe, dann rennt sie mit hochrotem Kopf zurück auf ihre Spielfeldhälfte. 2:0 für Team Blau. Es ist ein kühler Frühlingsabend Ende März, zum Trainingsabschluss spielen die D-Juniorinnen des Ballspielclubs (BC) Albisrieden einen Match.

Ava und ihre Kolleginnen sind nicht die Einzigen, die an diesem Donnerstag auf der Sportanlage Letzi flanken, dribbeln und sprinten. Gleich drei weibliche Teams trainieren auf dem grossen Rasen am Fuss des Uetlibergs; mit einem Frauenanteil von dreissig Prozent gehört der Verein zu den Fussballclubs mit dem grössten Angebot für Mädchen im Raum Zürich.

Doch Albisrieden ist kein Sonderfall, Albisrieden ist überall: Schweizweit hat sich die Zahl der fussballspielenden Frauen und Mädchen seit 2015 von 23'700 auf rund 42'000 fast verdoppelt, wie aus den Statistiken des Schweizerischen Fussballverbands (SFV) hervorgeht. Allein beim BC Albisrieden konnte die Anzahl Mädchenteams in diesem Zeitraum von drei auf neun verdreifacht werden – während gleichzeitig die Zahl der Bubenteams bei 25 stagnierte.

Frauenfussball boomt. Und nichts deutet darauf hin, dass dieser Trend bald zum Stillstand kommen könnte. Im Gegenteil: In wenigen Wochen beginnt in der Schweiz die UEFA Women’s Euro 2025. Und es ist damit zu rechnen, dass die erste Heim-EM für das Frauen-Nationalteam dem Frauenfussball weiteren Schub verleihen wird.

Ambitionierte Ziele dank Heim-EM

Seit Monaten wird in den sogenannten Host Citys die Werbetrommel für den Grossanlass gerührt. In Basel zählen zwei Countdown-Uhren die Tage und Stunden bis zum Anpfiff. In Bern kurvt ein «Ballzauber-Tram» durch die Stadt, in Luzern ein Linienbus in den Farben der Euro, und Genf setzt auf einen «Foot Truck» mit einer mobilen Penalty-Schiess-Anlage. Hinzu kommen Dutzende von Veranstaltungen, von Schnuppertrainings nur für Mädchen über Podien, Podcasts und Ausstellungen zur Geschichte des Frauenfussballs bis zu Netzwerkanlässen, Workshops und Stadtrundgängen.

Ausserdem geht die Heim-EM mit ambitionierten Zielen einher: Bis 2027 will der SFV die Zahl der fussballspielenden Frauen und Mädchen nochmal verdoppeln, auf 80'000. «Ziel ist, dass Fussball die Sportart Nummer eins bei den Mädchen wird», schreibt der nationale Verband.

Zum Vergleich: Heute liegt Fussball bei den 10- bis 14-jährigen Mädchen auf Platz 7, am beliebtesten sind Tanzen, Turnen und Schwimmen. Ebenfalls verdoppelt werden soll bis 2027 die Anzahl Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und Frauen in Entscheidungspositionen der Schweizer Fussballlandschaft. «Es endet nicht mit dem Turnier», schreibt der SFV. «Danach geht es erst richtig los.»

Hundertmal weniger – bis gar nichts

Bewahrheitet sich endlich, was der frühere Fifa-Präsident Sepp Blatter bereits 1995 verkündete? «Die Zukunft des Fussballs ist weiblich», sagte er damals. Bringt diese EM endlich den Durchbruch in Sachen Gleichstellung? Zweifel sind angebracht.

Denn weder die Euphorie vor der Euro noch die hehren Ziele danach können darüber hinwegtäuschen: Fussballerinnen sind gegenüber ihren Kollegen nach wie vor benachteiligt. Nati-Spielerin Géraldine Reuteler etwa verdient gemäss einem CH-Media-Artikel aus dem Jahr 2022 bei Eintracht Frankfurt hundertmal weniger als männliche Topverdiener im gleichen Club.

«Bei einem gut bezahlten KV-Job würde ich mehr bekommen»

Und Captain Lia Wälti, die in London bei einem der besten Clubs Europas spielt, verriet CH-Media: «Bei einem gut bezahlten KV-Job würde ich mehr bekommen.» Während die männlichen Fussballprofis im Luxus schwelgen, wohnen Profifussballerinnen in WGs.

Noch ernüchternder ist die Lage im Schweizer Profifrauenfussball. In einer «Blick»-Umfrage von 2022 gaben 38 Spielerinnen der höchsten Liga, der Axpo Women’s Super League, an, sie verdienten als Fussballerinnen: nichts. Die höchstgenannte Lohnsumme war 3500 Franken pro Monat. Rund ein Fünftel der Spielerinnen mit Job arbeitet neben dem Fussball gar hundert Prozent.

Aufhorchen lässt, dass bereits die Nachwuchs-Kickerinnen des BC Albisrieden bestens über diese Lohnunterschiede Bescheid wissen. «Dass Fussballerinnen viel weniger verdienen, ist voll unfair», findet die 14-jährige Ida. Der 12-jährigen Ava imponiert zwar, wie viel die Fussballerinnen neben den Trainings arbeiten: «Sie sind viel krasser als die Männer.» Gleichzeitig weiss sie: «Müssten sie weniger arbeiten, könnten sie sich besser auf den Fussball konzentrieren und das Niveau wäre höher.»

So viel Abgeklärtheit in diesem Alter macht stutzig. Sind die fehlenden Perspektiven mit ein Grund, weshalb sich keines der 14 Mädchen des Teams eine Karriere als Fussballerin vorstellen kann?

Noch immer hört man von Frauenteams, die auf schlechteren Plätzen und zu ungünstigeren Zeiten als ihre Kollegen trainieren, von fehlenden Frauentoiletten selbst in der Topliga und von Trikots, die die Frauen im Gegensatz zu den Männern selbst waschen müssen.

«Fussball wird historisch von Männern für Männer organisiert»

Frappant ist auch die fehlende Präsenz der Frauen in den Entscheidungsgremien der Verbände. Als die ehemalige Nati-Spielerin Tatjana Haenni 2019 zur Direktorin Frauenfussball beim SFV ernannt wurde, nahm sie gleichzeitig als erste Frau überhaupt Einsitz in der Geschäftsleitung des Verbands. Erst vor einem Jahr wurden zwei Sitze im Zentralvorstand des SFV zwei Frauen zugestanden. Und selbst im fortschrittlichen BC Albisrieden gibt es nur eine einzige Frau im neunköpfigen Vorstand.

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"Fussball ist ein Spiegel unserer Gesellschaft: Dieselben Benachteiligungen wie auf dem Platz gibt es überall"

Tatjana Haenni, Ex-Profifussballerin und Funktionärin im Frauenfussball

«Fussball wird historisch von Männern für Männer organisiert», sagt Tatjana Haenni, als wir sie per Videocall in ihrem Büro in New York erreichen. Seit Anfang 2023 lebt sie in den USA, wo sie bei der amerikanischen Frauen-Profiliga als Sportdirektorin arbeitet. Haenni ist überzeugt: «Damit sich die Dinge in der Schweiz ändern, braucht es mehr als eine Heim-EM: Es braucht einen Kulturwandel.»

Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs

Wo steht der Frauenfussball im Jahr 2025 in der Schweiz tatsächlich? Was kann diese Heim-EM bewirken, und wie kriegt man diesen Kulturwandel hin? Es sind Fragen, die über den Fussballplatz hinaus von Belang sind. Denn der Kampf der Fussballerinnen für ihre Rechte steht sinnbildlich für den Kampf der Frauen für mehr Gleichstellung schlechthin. Oder um es in Tatjana Haennis Worten zu sagen: «Fussball ist ein Spiegel unserer Gesellschaft: Dieselben strukturellen und kulturellen Benachteiligungen, wie man sie auf dem Platz antrifft, gibt es überall.»

Um zu verstehen, warum wir 2025 noch nicht weiter sind, lohnt sich ein Blick zurück. Der erste schriftliche Hinweis auf fussballspielende Frauen in unserem Land findet sich im Jahr 1923: ein Bericht über sportbegeisterte Töchter von wohlhabenden Genfer Industriellen in einer Westschweizer Zeitung, wie die Historikerin Marianne Meier von der Universität Bern recherchiert hat.

Sie ist eine der besten Kennerinnen der Geschichte des Frauenfussballs in der Schweiz. Gemeinsam mit der Geschlechterforscherin Monika Hofmann hat sie das Buch «Das Recht zu kicken» geschrieben, das im Juni 2025 erscheint. Die Autorinnen teilen die Geschichte des Frauenfussballs in fünf Phasen ein. Die erste bezeichnen sie als die prä-institutionelle.

Sie dauerte von 1923 bis 1970, eine Zeit, in der sich kaum Nachweise über fussballspielende Frauen in der Schweiz finden lassen. In einigen Ländern, darunter England, war Frauen das Ballspiel gar verboten. Grundlage dieser Diskriminierung bildeten sportärztliche Analysen, wonach Fussball die Gebärfähigkeit beeinträchtige. In der Schweiz durften Frauen zwar gegeneinander antreten, dem Wunsch nach einer offiziellen Liga kam der SFV jedoch jahrzehntelang nicht nach: Erst 1970 wurde die Schweizerische Damenfussball-Liga, SDFL, gegründet.

Kickende Frauen waren nur geduldet

Damit begann die zweite Phase, jene der Institutionalisierung. 1970 wurde auch das erste Frauen-Nationalteam gegründet, es kam zu ersten Länderspielen, und in Italien fand ein internationales Turnier statt. Dennoch kommt Marianne Meier zum Schluss: «Mehr als geduldet waren kickende Frauen bis in die 1990er-Jahre nicht.»

So durfte sich die SDFL etwa nicht in Eigenregie international vernetzen. Erst 1993 erfolgte mit der strukturellen Einbindung des Frauenfussballs in den nationalen Verband der Start in die dritte Phase der Integration und Etablierung. Es sollte jedoch noch einmal acht Jahre dauern, bis 2001 beim SFV die erste bezahlte Stelle für den Frauenfussball geschaffen wurde. In einem Fünfzig-Prozent-Pensum kümmerte sich Béatrice von Siebenthal um alles: das Nationalteam, die Meisterschaft, den Cup. Ab 2004 war sie auch noch Trainerin der Nati. Sehr viel Arbeit erledigte sie in ihrer Freizeit – im professionellen Männerfussball undenkbar.

Entscheidend für die Etablierung des Schweizer Frauenfussballs war nicht zuletzt die Eröffnung des ersten nationalen Ausbildungszentrums, der Fussball-Akademie für Mädchen in Huttwil im Jahr 2004. Im ersten Jahrgang mit dabei war damals Ramona Bachmann, bis heute eine der erfolgreichsten Fussballerinnen der Schweiz.

«Diese Nachwuchsförderung hat das Fundament gelegt für die erste Teilnahme der Frauen-Nati an einer WM des Weltfussballverbands», ist Marianne Meier überzeugt. 2015 reisten die Schweizerinnen an die WM nach Kanada – ein Meilenstein: Erstmals übertrug das Schweizer Fernsehen alle Spiele der Frauen-Nati, und im Schaufenster der Credit Suisse an der Zürcher Bahnhofstrasse konnte man die übergrossen Konterfeis der Spielerinnen bewundern.

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"Erst wenn die Nati-A-Spielerinnen davon leben können, kann von einer Professionalisierung gesprochen werden"

Marianne Meier, Historikerin

«2015 gelang es, den Teufelskreis zu durchbrechen», bilanziert Marianne Meier. «Mit der erstmaligen WM-Qualifikation wurden die Berichterstattung und das Publikumsinteresse gesteigert, was Sponsoring und Werbung generierte. Die zusätzlichen Mittel ermöglichten wiederum eine stete Niveausteigerung.»

Entsprechend beginnt ab 2015 die Konsolidierungsphase: Ab dann qualifizierten sich die Schweizerinnen – mit Ausnahme der WM 2019 – für jede internationale Endrunde. Höhepunkt dieser Entwicklung bildet im April 2023 die Vergabe der Women’s Euro 2025 an die Schweiz. Seither verzeichnet die Frauen-Nati an ihren Heimspielen regelmässig neue Zuschauerrekorde, wobei der bisherige Höhepunkt am 29. November 2024 erreicht wird, als 17 300 Menschen live im Stadion Letzigrund das Testspiel gegen Deutschland verfolgen.

Das Problem Clubfussball

Ende gut, alles gut? «Mitnichten», sagt Historikerin Meier. Um zu unterstreichen, dass die Heim-EM nur eine Zwischenetappe markiert, schliessen die Autorinnen ihr Buch mit der Feststellung, dass die fünfte Phase, jene der Professionalisierung, in der Schweiz noch gar nicht begonnen habe. «Die Investitionen in Nachwuchsförderung und Nationalteam zahlen sich zwar aus, und das ist super», findet Marianne Meier.

Der Clubfussball in der Schweiz sei aber komplett vernachlässigt worden. «Doch wer Fussballerinnen wirklich ernst nimmt, muss auch in die Liga investieren. Erst wenn die Spielerinnen der obersten Liga vom Fussball als Beruf leben können, kann von einer Professionalisierung gesprochen werden.» Und von diesem Punkt sind wir noch weit entfernt.

Dass die Axpo Women’s Super League (AWSL) die grösste Knacknuss sei auf dem Weg zur Gleichstellung, ist ein Vorwurf, der in fast allen Recherchegesprächen für diesen Artikel geäussert wird. «Im Clubfussball passiert noch viel zu wenig», sagt etwa Sandra Kälin. Sie spielte früher für den FC Basel, arbeitet heute als Instruktorin für den SFV und bietet Fussballcamps für Kinder an.

Und SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen stellt fest: «Bei den YB Frauen arbeitet erst seit drei Jahren eine Trainerin in einem Hundert-Prozent-Pensum, und die Spielerinnen stemmen zwischen Arbeit oder Ausbildung und Fussball unglaubliche Pensen.» Wasserfallen ist Co-Präsidentin der parlamentarischen Gruppe Women’s Euro und sitzt im Begleitausschuss der Host City Bern. «Die AWSL, aber auch die tieferen Ligen haben immer noch zahlreiche Baustellen», sagt nicht zuletzt Sarah Akanji. Die Ex-Fussballerin ist eine der wichtigsten Vorkämpferinnen für die Sache der Frau im Fussball. In ihrem Podcast «Steilpass» thematisiert sie regelmässig Gleichstellungsanliegen.

 

Um nur zwei Beispiele für das Ungleichgewicht zwischen der AWSL und der Super League der Männer zu nennen: Noch im Jahr 2021 verfügten die Frauen des FC Aarau nicht einmal über eigene Garderoben. Und die Clubspiele der Frauen werden im Schnitt vor knapp 700 Personen ausgetragen, während bei den Männern 11'500 Fans die Matches verfolgen.

Im persönlichen Gespräch betont Sarah Akanji, es gehe ihr nicht nur um den Fussball. «Es geht um Gerechtigkeit schlechthin: Nur weil Männer schon länger Fussball spielen dürfen, sollten sie kein Gewohnheitsvorrecht auf die mit Steuergeldern subventionierte Fussballinfrastruktur haben.»

Dass die AWSL-Spiele im Schnitt vor so wenig Zuschauenden ausgetragen würden, habe viel damit zu tun, dass der Frauenfussball schlechter vermarktet werde als der Männerfussball und man diesem viel weniger Sichtbarkeit gebe und Ressourcen zuspreche.

So können etwa die Spiele der Super League der Männer seit Jahrzehnten am Fernsehen mitverfolgt werden, während SRF im Jahr 2020 erstmals live ein Spiel der Axpo Women’s Super League übertrug. «Viele männliche Entscheidungsträger im Fussball sehen Fussballerinnen als Konkurrenz um Ressourcen», begründet Sarah Akanji das noch immer bestehende Ungleichgewicht. «Was sie nicht sehen, ist das riesige Potenzial, das im Frauenfussball steckt.»

Doch wie misst man dieses Potenzial? Und wie wandelt man dieses in steigende Zuschauerzahlen um?

Ein junges Phänomen

Zeit für einen Anruf bei der früheren Nationalspielerin Bettina Baer, sie ist heute eine europaweit gefragte Frauenfussballexpertin. Beim international tätigen Unternehmen Two Circles macht sie Analysen zum Marktpotenzial und leitet daraus Wachstumsstrategien ab. Unter anderem hat sie untersucht, wie es gelungen ist, die Frauenfussball-EM von 2022 in England zu nutzen, um die Publikumszahlen auch auf Clubebene zu steigern.

Ihr Fazit: Entscheidend waren sogenannte «Highlight-Spiele» im Nachgang des Turniers. Das sind einzelne Liga-Matches, die in den grossen Stadien ausgetragen werden, die sonst den Männerteams vorbehalten sind, und die von verstärkten Marketingmassnahmen begleitet werden.

Unter anderem dank diesen Highlight-Spielen seien in der Saison nach der Heim-EM die Publikumszahlen in der höchsten englischen Frauenfussballliga um 172 Prozent angestiegen, bilanziert Bettina Baer am Telefon. «Die Erfahrung aus England zeigt: Heimturniere haben das Potenzial, den Frauenfussball im Gastgeberland in eine neue Liga zu katapultieren.»

Voraussetzung für ein langfristiges Wachstum sei allerdings, dass das gesamte Fussball-Ökosystem mobilisiert werde: von der Liga über die Clubs, Verbände und Medien bis zu den Sponsoren. Bettina Baer ist überzeugt, dass mit strategischen Investments auch in der Schweiz eine Verdoppelung der Zuschauerzahlen in der Women’s Super League drin liegt. «Es gibt keinen Grund, weshalb wir die Erfolgsgeschichte aus England in der Schweiz nicht wiederholen können.»

Baer stützt sich bei ihren Aussagen auf eine von Two Circles im Jahr 2024 durchgeführte, repräsentative Umfrage. Diese kam zum Schluss, dass sich satte sechzig Prozent der Schweizer Fussballfans für Frauenfussball interessieren, wobei sechs Prozent ausschliesslich Frauenfussball schauen.

Interessantes Detail: Eine Mehrheit derjenigen, die Frauenfussball verfolgen, hat erst in den letzten drei Jahren damit begonnen. «Der Vormarsch des Frauenfussballs ist also eine sehr junge Entwicklung», analysiert Baer, «dieses Momentum gilt es zu nutzen.»

Und noch einen aufschlussreichen Fakt förderte die Umfrage zutage: Frauenfussballfans sind im Vergleich zu Männerfussballfans nicht nur jünger und weiblicher, sie sind auch besser gebildet und verfügen über ein höheres Einkommen.

"Frauenfussballspiele sind Orte der Sicherheit, der Diversität und der Inklusion"

Sarah Akanji

«Sie machen weniger Theater»

Frauenfussballpionierin Tatjana Haenni ist nicht erstaunt über diese Befunde. Auch sie hat die Erfahrung gemacht, dass das Zielpublikum für Frauenfussball ein anderes ist. «Entsprechend gilt es, diese Personen anzusprechen», sagt sie. Voraussetzung dafür aber sei, dass man Frauenfussball als eigenständiges Produkt vermarkte und seine Stärken herausstreiche: «Frauenfussball steht für Integration, Familienfreundlichkeit und Nahbarkeit.»

Die Spielerinnen seien für ihre Fans erreichbar, sie bedankten sich und unterschrieben Autogramme. Ähnlich äussert sich Podcasterin Akanji: «Frauenfussballspiele sind Orte der Sicherheit, der Diversität und der Inklusion.»

Wie anders die Stimmung an einem Frauenfussballmatch ist als an einem Männerfussballspiel, zeigt sich Ende Februar im Letzigrund-Stadion in Zürich. Die Frauen-Nati trifft an diesem Abend im Rahmen der Nations League auf Island; es ist die erste Hauptprobe in einer Serie von mehreren Vorbereitungsmatches. Die Partie verläuft zwar harzig und endet mit einem 0:0-Unentschieden.

Viel spannender als das Spiel sind an diesem lauen Abend sowieso die Szenen, die sich neben dem Rasen abspielen: Statt Polizist:innen in Vollmontur sieht man Familien mit Kindern, Frauengrüppchen und ganze Mädchenteams, statt einer Wand von vermummten Hooligans Trauben von Kindern, die aus voller Kehle «Hopp Schwiiz» schreien.

Beim Frauenfussball keine Angst vor einer Schlägerei

Eine Mutter, die dreissig Minuten vor Anpfiff mit ihrem achtjährigen Sohn Richtung Family-Corner schlendert, sagt, sie schätze es, dass sie beim Frauenfussball keine Angst haben müsse vor einer Schlägerei. «Die Spielerinnen machen auch weniger Theater als die Männer, wenn sie zu Boden gehen.»

Den drei Freundinnen, die sich vor dem Spiel eine Bratwurst mit Pommes gönnen, gefällt, dass das Publikum viel entspannter sei. «Es ist wegen dem Fussball gekommen», sagen sie. «Bei den Männerfussballfans geht es hingegen oft auch noch um anderes: Sie suchen einen Ort, um Aggressionen loszuwerden.» Und die zwei Frauen, die in der Pause vor dem WC in der Schlange stehen, meinen schlicht: «Männerfussball schauen wir nicht.»

Natürlich sind diese Stimmen nicht repräsentativ. Und es geht auch keineswegs darum, den Männerfussball schlechtzureden. Tatjana Haenni formuliert es so: «Es geht darum, die Stärken des Frauenfussballs herauszustreichen.» Und zu diesen gehört neben dem integrativen Charakter ein weiterer Punkt: Teamplay.

Sie beobachte diese Geschlechterunterschiede bereits bei den Kindern, sagt Ex-Fussballerin Sandra Kälin. «Die Mädchen kicken gerne miteinander, für sie steht der Teamgedanke im Vordergrund. Es gibt viel weniger Sololäufe als bei den Buben.»

Frauenfussballspirit bei den Junioren etablieren

Zurück zu den D-Juniorinnen des BC Albisrieden, zurück auf den Rasen am Fuss des Uetlibergs. Als hätten sie nur darauf gewartet, Gender-Klischees zu bestätigen, nennen die Mädchen beim Gespräch in der Garderobe unisono den Teamgedanken als Grund, weshalb sie Fussball spielen.

«Mir gefällt, dass wir nur als Team gewinnen können», sagt die 12-jährige Edna. «Und wenn wir verlieren, können wir uns trösten.» Die gleichaltrige Chiara findet es cool, dass sie ihr liebstes Hobby mit ihren Freundinnen teilen kann. Und die 13-jährige Larina hat vor Kurzem von Leichtathletik auf Fussball gewechselt, weil sie genug hatte vom Einzelsport.

Dass Mädchen anders Fussball spielen, ist auch Bob Klenk nicht entgangen, dem Verantwortlichen für den Frauen- und Mädchenfussball beim BC Albisrieden. «Mädchen passen, während Buben versuchen, allein mit dem Ball den ganzen Platz zu überqueren», sagt er am Rande des Trainings.

Und weil den Clubverantwortlichen diese Teamorientiertheit für Heranwachsende wichtig ist, versucht man, den Frauenfussballspirit nun auch bei den Junioren zu etablieren – indem zum Beispiel Trainerinnen, die normalerweise Mädchen trainieren, auch bei den Buben eingesetzt werden.

Vielleicht hat Sepp Blatter recht: Die Zukunft des Fussballs könnte tatsächlich weiblich sein.

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