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Gewalt in TV-News – wo liegt die Grenze?

Gewalt in TV-News – wo liegt die Grenze?

Wenn über Krieg oder Katastrophen berichtet wird, stellt sich also immer wieder die Frage, was Medien zeigen dürfen und müssen. Redaktorin Sarah Lau plädiert in ihrem Kommentar dafür, weiterhin hinzuschauen.

Inhaltshinweis: Gewaltszenen

 

Syrien: Zwei Männer liegen mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Boden. Es handelt sich um Alawiten, Männer aus der Volksgruppe des gestürzten Führers Assad. Um sie herum bewaffnete IS-Kämpfer, es wird geschrien, wenige Sekunden später werden die Männer erschossen. Cut.

Auf Social Media sind solche Videos Alltag. Aber dass ich sie letzten Dezember in den 19-Uhr-Nachrichten des ZDF zu sehen bekomme, darauf war ich nicht vorbereitet.

Ich bin verstört – wie erst sollen Kinder auf solche Bilder reagieren, oder Menschen, die aus Krisengebieten geflüchtet sind? Für mich wurde hier die Grenze des Erträglichen überschritten, die Würde der Erschossenen nicht hinreichend gewahrt. Eine Rekonstruktion der Ereignisse, ohne reale Gewalt zu zeigen, hätte ich an dieser Stelle vorgezogen. Waren diese brutalen Bilder wirklich gerechtfertigt, um den Ernst der Lage zu vermitteln?

"Was ist zu zeigen, um zu zeigen, was ist?"

In diesem Fall ja, schreibt das ZDF auf Nachfrage, die Sequenz sei eine Belegstelle für den anschliessenden O-Ton des Nahost-Experten Carsten Wieland. Der Sender räumt aber ein, dass eine "der schwierigsten Abwägungsfragen für die journalistische Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten sei: Was ist zu zeigen, um zu zeigen, was ist?" und dabei "immer abzuwägen, welche Bilder mit Blick auf die Menschenwürde, das Persönlichkeitsrecht und den Jugendschutz verwendet werden können".

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"Gewaltbilder können eine wichtige dokumentarische Funktion erfüllen"

Diese Gratwanderung galt auch für den genannten Beitrag. Im SRF wäre der Bericht so nicht ausgestrahlt worden: "Wir zeigen keine sterbenden Menschen und von Toten kein erkennbares Gesicht", antworten sie auf Anfrage.

Es gelte der Grundsatz: "So viel wie nötig, um einen Sachverhalt darzustellen und vermitteln zu können, und so wenig wie möglich, aus Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten und um die Schockwirkung so gering wie möglich zu halten."

Wer abstumpft, sieht nicht mehr hin

Wenn über Krieg, Terroranschläge oder Katastrophen berichtet wird, stellt sich also immer wieder die Frage, was Medien zeigen dürfen, sollen, müssen. Wo die Grenze liegt zwischen Aufklärung und Sensationslust. Gewaltbilder können eine wichtige dokumentarische Funktion erfüllen – etwa wie das berühmte Vietnam-Foto des von Napalm verbrannten Mädchens, das die Wahrnehmung eines ganzen Krieges veränderte.

Gleichzeitig bergen solche Darstellungen das Risiko, Zuschauer:innen zu verstören, aber auch zu desensibilisieren – und das ist gefährlich.

Wer abstumpft, sieht nicht mehr hin, verliert die Fähigkeit, zwischen kritischen journalistischen Beiträgen, Fake News und Propaganda zu unterscheiden.

Gewaltbilder im Kontext verstehen

Die in den Nachrichten gezeigten Bilder aus Syrien bleiben für mich unangemessen. Dennoch plädiere ich dafür, weiterhin hinzuschauen, gerade wenn Qualitätsmedien wie öffentlichrechtliche Medienanstalten darüber berichten, was in der Welt passiert – selbst, wenn sie sich zuweilen für Wachrüttler entscheiden, die ich mit meiner Schmerzgrenze nicht vereinbaren kann.

Nur so lernen wir, Gewaltbilder im Kontext zu verstehen. Und diese Medienkompetenz ist zentral, um Manipulationen zu erkennen – und man hat damit auch einen Hebel in der Hand, die Demokratie zu sichern.

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