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Hormonbuckel, Konturverlust, Truthahnhals: Wie Sprache Gewalt gegen Frauen verstärkt

Hormonbuckel, Konturverlust, Truthahnhals: Wie Sprache Gewalt gegen Frauen verstärkt

Im Umgang mit Frauen und ihrem Altern zeigt sich eine tief verwurzelte Kultur der Ablehnung, die den natürlichen körperlichen Wandel als Makel kennzeichnet, schreibt unsere Autorin in ihrem Kommentar. Warum uns abwertende Begriffe wie "Hexenhaare" oder "Witwenbuckel" schaden.

Meine Freundin greift sich unters Kinn und zieht unsanft an der weichen Haut: "Konturverlust!", sagt sie düster. Es gibt kaum ein brutaleres Wort, um einen Alterungsprozess zu beschreiben. "Konturverlust" suggeriert das fundamentale Verschwinden – nicht nur des straffenden Kollagens in unserer Haut, sondern die schrittweise Auflösung von Form, Identität und Bestimmtheit.

Konturverlust, das klingt nach Kontrollverlust und Selbstaufgabe – Frau ist nicht mehr in Form, hat sich nicht mehr im Griff. Und ist selbst schuld, dass dieser Konturverlust ihr langsames Verschwinden einleitet. Frauen berichten immer wieder, wie sie sich mit zunehmendem Alter nicht mehr wahrgenommen fühlen, von Verkäufer:innen, Männern, dem Arbeitsmarkt, der Bühne. Nun ist es keine bahnbrechende Erkenntnis, dass auch in Altersfragen ein Gendergap existiert.

Beleidigende Beschreibungen

Oder habt ihr schon mal jemanden über Frauen sagen hören, dass sie mit dem Alter immer sexier werden? Die grauen Schläfen charismatisch und souverän wirken, der zurückgehende Haaransatz mit dem staatstragenden Nimbus eines Geheimrats in Verbindung gebracht wird? Klar, Ausnahmen bestätigen die Regel und sicher ist auch das Etikett Bierbauch nicht erstrebenswert, dennoch fällt auf, dass der Löwenanteil beleidigender Beschreibungen Frauen vorbehalten ist – gerade weil der Fall zu der ebenfalls existenten sexualisierten Überhöhung von jungen Frauen so tief ist.

Sprache ist niemals neutral. Sie formt unsere Wahrnehmung, unsere Werte und unser Selbstbild. Besonders im Umgang mit Frauen und ihrem Altern zeigt sich eine tief verwurzelte, oft grausame Kultur der Ablehnung, die nicht nur den natürlichen körperlichen Wandel als Makel kennzeichnet, sondern ihn regelrecht zur Bedrohung stilisiert.

Truthahnhals und Winkefleisch

Und wenn die deutsche Versicherung DAK auf ihrer Website ganz selbstverständlich "effektive Workouts, mit denen sich das lästige Winkefleisch schon bald verabschiedet" anbietet, zahlt das aufs Konto derer ein, die Frauenkörper als ein Stück Fleisch erachten. Mit "Winkefleisch" ist übrigens das schlaffe Gewebe am Oberarm gemeint, "ähnlich der Cellulite". Ähnlich mies geht es mit dem sogenannten "Truthahnhals" weiter.

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"Abwertende Begriffe, die Alterserscheinungen als grotesk oder peinlich brandmarken, tragen dazu bei, dass Frauen sich selbst als defizitär wahrnehmen"

Googelt man den, landet man auch hierzulande rasch auf den Seiten von Schönheitschirurg:innen, die verschiedene Methoden zur Halsglättung anbieten. Es gibt unzählige weitere Bezeichnungen, die nicht nur deskriptiv, sondern abwertend, spöttisch, oft gnadenlos sind: Das Auftauchen einzelner, borstiger Haare vornehmlich am Kinn, bevorzugt bei Frauen mit abfallendem Östrogenspiegel, ist offenbar der Zeitpunkt, sich dem Scheiterhaufen zuzuwenden – immerhin sprechen wir von Hexenhaaren.

Lachfalten werden zu Krähenfüssen

Dazu gibt es noch Alterswarzen (seborrhoische Keratose) und – wie ich jüngst von einer Masseurin lernte – Hormon- oder Witwenbuckel für das Phänomen Rundrücken. Und während Männern mit ihren Lachfalten der Beweis für ein glücklich-erfolgreiches Leben ins Gesicht geschrieben steht, werden bei Frauen dieselben zu Krähenfüssen degradiert, die es mit Botox und Hyaluron zu entfernen gilt.

Sprache ist nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft, sie ist auch ein Werkzeug der strukturellen Gewalt. Abwertende Begriffe, die Alterserscheinungen als grotesk oder peinlich brandmarken, tragen dazu bei, dass Frauen sich selbst als defizitär wahrnehmen. Sie verstärken die Angst vor dem Alter, machen den weiblichen Körper zum permanenten Optimierungsprojekt und sichern ganze Industrien, die von dieser Angst profitieren.

Es ist eine wirksame Form des Kleinhaltens: die unaufhörliche Mahnung, dass Würde und Attraktivität für Frauen immer an ihr Äusseres gekoppelt sind – und damit vergänglich. Es ist an der Zeit, unsere Sprachmuster zu hinterfragen. Wer benennt? Wer wertet? Wer profitiert? Statt Begriffe zu verwenden, die den weiblichen Körper in seiner Veränderung demontieren, sollten wir Altern als das beschreiben, was es ist: eine natürliche und vor allem wertfrei zu behandelnde Entwicklung. Hören wir also auf, uns in selbstzerstörerischer Gewohnheit auch noch selbst dieser Begriffe zu bedienen.

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Partenzi Daniela

Was für ein schlauer Text. Danke! Ich binde mir jetzt ein Seidentuch um den Hals, hole Omas Krokotasche raus und lehne mich als Sciura to be entspannt zurück.

Ursula Ensmann

Bin 81 Jahre alt. Bitte, bitte all ihr Jungen begegnet eurem Gegenüber so, dass ihr für sie so interessant seid, dass ihnen euer Alter egal ist. Vergesst euer Aussehen, nur die Persönlichkeit zählt, auch das Lächeln und das interessierte Zuhören. Übt das untereinander.Gut zuhören und gute Themen haben, nur daran erinnern sich dein Gegenüber.

Wolfgang

Diskriminierung gegenüber älteren ist doch generell an der Tagesordnung. Bin 72, männlich und muss mir immer wieder “ältere weiße Männer” anhören. Ein Begriff, der nicht nur von extremen Feministinnen gebraucht wird. Bin kein Trump, kein Musk noch ein anderer Macho und habe keinen extremen Sprachgebrauch und denke nicht in den Kategorien. Es ist gut, wenn das Thema über Diskriminierung gegen Frauen benannt wird -aber es sind auch andere davon betroffen.

Die Rote Zora

Der Begriff “alter weißer Mann” meint Männer, mit einer ganz bestimmten Einstellung: abwertend, sexistisch, meist auch rassistisch, in jedem Fall aber anmaßend und übergriffig. Das ist keine Diskriminierung, sondern eine Beschreibung. Wer sich anders verhält, und du scheinst zu diesen zu gehören, der wird auch nicht so bezeichnet. Schon gar nicht von Feminist:innen.

Dyonisos

Der Fokus dieses Kommentars auf die abwertende Sprache gegenüber Frauen ist berechtigt, doch er ignoriert, dass auch Männer ähnlichen sprachlichen Mechanismen ausgesetzt sind. Begriffe wie “Bierbauch”, “Geheimratsecken” oder “Schmerbauch” sind ebenso herabwürdigend und zeigen, dass Altersdiskriminierung kein rein weibliches Problem ist. Eine einseitige Darstellung, die ausschließlich weibliche Betroffenheit betont, trägt nicht zur Gleichberechtigung bei, sondern vertieft Gräben. Eine faire Gesellschaft entsteht nicht durch selektive Empörung, sondern durch die Anerkennung gemeinsamer Herausforderungen – unabhängig vom Geschlecht.

IFrie

So ein großartiger Artikel!!!!
1000 Dank dafür!

Maria Hartfort

Ich war bisher der Meinung, dass Begriffe wie Truthahnhals (übrigens: „Hahn“!) und Krähenfüße bzw. Lachfalten geschlechtsneutral verwendet werden – also unhöflich, ja, aber in ihrer Unhöflichkeit „gleichberechtigt“.
Dass sie in der Praxis vielleicht eher auf Frauen bezogen werden, kann sein. Aber manchmal frage ich mich, ob dieses ständige Einordnen, Kategorisieren und das Festlegen, wie etwas „eigentlich“ gemeint oder verwendet wird, nicht auch negative Effekte hat. Denn – wie gesagt – ich hätte diese Begriffe bislang als genderneutral verstanden. Wenn ich jetzt aber „lerne“, dass sie eigentlich nur Frauen betreffen sollen, fühlt sich das fast wie ein feministischer Rückschritt an. – Und ein paar neue Begriffe kenne ich jetzt auch, die ich vorher noch gar nicht auf dem Schirm hatte. *lol*

Paul Pohl

Vielen Dank für diesen Artikel, nur werden diesen Artikel NICHT die lesen, die es betrifft. Es ist leider ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ich bin ein alter Mann mit einer ebenso alten Partnerin. Ja und ? Altern betrifft alle, es ist die Gesellschaft, die diese Diskriminierungen hofiert und zulässt.

Marnie

Das ist irgendwo leider nur allzu logisch, wenn frau bedenkt, wieviele Jahrtausende sie auf das Schönsein = Jungsein = Fruchtbarsein reduziert worden ist und – das sollten wir nicht vergessen – sich auch hat reduzieren lassen. Das ist einfach nicht in 50 Jahren auszumerzen und zu verändern. Und wieviele Frauen geben auch heute noch bereitwillig nach, um diesem vorsintflutlichen Ideal auch weiterhin zu entsprechen? Die Schönheitschirugie boomt, weil unsereins sie aufsucht. Solange wir nicht endlich kollektiv beginnen, dieser Form der Gesellschaft den “Stinkefinger” zu zeigen, wird sich auch weiterhin nicht viel ändern. Solch tiefgreifende Veränderungen beginnen im Kopf, und zwar zunächst einmal im EIGENEN weiblichen Kopf. Grüsse, eine Mid-Vierzigerin.

D. Hennings

Schon mal daran gedacht, dass diese Worte auch dafür bewusst eingesetzt werden, um das Portemonaise der Frauen zu öffnen? Und bei der Krankenkasse erst recht, denn die Ärzte verdienen Unsummen an Schönheits-OPs – müssen sie zwar selbst bezahlen, jedoch man schiebt sich gegenseitig Kunden zu…