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«Ich habe Mühe mit Autoritäten»

Leben

«Ich habe Mühe mit Autoritäten»

  • Redaktion: Stephanie Hess; Foto: Vera Hartmann; Video und Schnitt: Kerstin Hasse und Leandra Nef

Die Politikphilosophin Katja Gentinetta gehört zu den wichtigsten Denkerinnen der Schweiz. Neue Ideen entstehen bei ihr überall. Auch beim Zähneputzen.

annabelle: Wie muss man sich Ihre Arbeit als politische Philosophin vorstellen?
Katja Gentinetta: Ich lese, denke, schreibe, vermittle. Zuerst still und einsam in meiner Bibliothek, dann vor Menschen, in der Öffentlichkeit, in den Medien, gegenüber Kunden, vor Studierenden.

Was geben Kunden bei Ihnen in Auftrag?
Sie wollen eine Reflexion ihrer Strategie, einen Blick von aussen auf ihr Unternehmen, Erfahrungen und ein Netzwerk für ihr Vorhaben oder einen präzisen Einblick in den öffentlichen Diskurs über ihr Anliegen.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?
Den Geist zu erweitern! Gesellschaftliche Fragen und Herausforderungen zu durchdringen, ihren Kern zu erfassen, Lösungen zu suchen.

Als Philosophin ist das Denken Ihr Hauptwerkzeug. Wie kommen Sie auf neue Gedanken?
Indem ich die Dinge von verschiedenen Seiten her betrachte und dann darüber nachdenke. Das passiert beim Lesen, beim Konzipieren, aber auch beim Zähneputzen – in diesem Raum zwischen fokussierter Analyse und freier Assoziation.

Hatten Sie ein Vorbild?
Meine Mutter. Sie war immer berufstätig und damals die erste weibliche Lehrperson am Kollegium, dem Gymnasium in Brig. Mein vielseitig engagierter Vater hat mir das öffentliche Auftreten gleichsam in die Wiege gelegt. Danach waren es verschiedene Vorgesetzte, die mich entweder gefördert haben: durch anspruchsvolle Unterstützung – oder gefordert, weil sie meine Widerborstigkeit provoziert haben. Ich habe und hatte immer Mühe mit Autoritäten. Letztlich bin ich immer mir selbst gefolgt.

Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?
Es ist das Gegenteil eines Geheimnisses: zielstrebig sein – und «hard work».

Was können Sie nicht mehr hören?
Dass man so gerne mehr Frauen in entscheidenden Positionen hätte, aber keine findet. Diese gene- relle Entschuldigung höre nicht nur ich immer und überall.

Stimmt es?
Natürlich nicht. Wer sucht, der findet. Und: Man muss sich schlicht dazu entscheiden, die Frauen, die man findet, auch wirklich an Bord zu holen.

Katja Gentinetta (49) ist im Wallis geboren und aufgewach- sen. Sie lebt und arbeitet heute in Lenzburg AG, Zürich und Paris. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte, promovierte in politischer Philosophie über die Grenzen der Toleranz und absolvierte Weiterbildungen in Kultur- und Public-Management. Bis 2011 war sie stellvertretende Direktorin des Thinktanks Avenir Suisse. Während vier Jahren moderierte sie die «Sternstunde Philosophie» im Schweizer Fernsehen. Heute ist sie Lehrbeauftragte an Universitäten, sitzt in Verwaltungsräten, ist Co-Gründerin der Firma Gentinetta Scholten Wirtschaft Politik Gesellschaft und moderiert zusammen mit «NZZ»-Chefredaktor Eric Gujer die «NZZ Standpunkte»