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Der Immer-noch-nicht-Muttertag

Leben

Der Immer-noch-nicht-Muttertag

  • Text: Stephanie Hess; Foto: FreeImages / Stefan Gustafsson

Für Frauen, die keine Kinder bekommen können, kann sich der Muttertag wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen. Wir haben mit der Zuger Autorin Annette Wirthlin darüber gesprochen, wie Frauen mit der Kinderlosigkeit klarkommen.

Was, wenn es einfach nicht klappen will mit dem Mutterwerden? Auch nach der dritten Hormonkur nicht und nach der dritten Insemination? Autorin Annette Wirthlin hat in ihrem Buch «Bye Bye, Baby?» diesem bisweilen alles verzehrenden Wunsch nachgespürt. In Gesprächen mit Experten und Frauen beleuchtet sie die verschiedensten Gründe der Kinderlosigkeit – und die vielen Arten, wie die Betroffenen damit umgehen. Wir haben mit der Zugerin anlässlich des Muttertags darüber gesprochen, was dieser Feiertag für Frauen, die keine Kinder haben können, bedeutet.

annabelle.ch: Welches sind die häufigsten Gründe, weshalb Frauen heute nicht Mutter werden können?
ANNETTE WIRTHLIN: Man liest immer wieder, dass eines von sechs Paaren ungewollt kinderlos bleibt. Fruchtbarkeitsprobleme sind heute – auch weil die Familienplanung immer weiter hinausgeschoben wird – tatsächlich häufig. Kinderwunschkliniken boomen. Aber das ist noch nicht alles. Manche Frauen bleiben deshalb kinderlos, weil sie lesbisch sind; andere, weil ihr Mann partout keine Kinder will oder weil sie schlicht noch nicht den passenden Partner kennen gelernt haben. Und oft spielt auch noch die Arbeitswelt eine Rolle, da die biologische Uhr gerade jenen Frauen mit langen Ausbildungen ein sehr kurzes Zeitfenster übrig lässt, in dem sie Berufstätigkeit und Kindererziehung aneinander vorbeibringen müssen.

Wie kommen diese Frauen mit ihrer Kinderlosigkeit klar?
Bei manchen Frauen taucht der Kinderwunsch nur situativ auf und verschwindet wieder, wenn er sich nicht erfüllt. Viele Frauen wünschen sich aber Kinder, seit sie denken können, und den Wunsch einfach abzulegen, käme für sie einer Verleugnung ihrer selbst gleich. Er nimmt dann so ein grosses Ausmass an, dass er das Leben der Betroffenen viele Jahre lang richtiggehend überschatten kann.

Wie muss man sich das vorstellen?
Alle Gedanken sind dann auf die Erfüllung des Wunsches ausgerichtet. Die Frauen nehmen Sex nach Fahrplan auf sich, happige Hormonkuren, Besuche beim Psychologen. Sie schwanken ständig zwischen Hoffen und Aufgeben. Sie schämen sich für ihr Leiden und versuchen sich nichts anmerken zu lassen. Dabei ist schon der Anblick eines Kinderwagens wie ein Schlag in die Magengrube.

Wie geht es diesen Frauen am Muttertag?
Der Muttertag zelebriert – wie übrigens auch Ostern oder Weihnachten – die glückliche, perfekte Familie. Und ruft damit den ungewollt Kinderlosen schonungslos in Erinnerung, was ihnen fehlt. Eine interviewte Frau hat ihre Gefühle so ausgedrückt: «Es ist brutal hart, von dieser fundamentalen Erfahrung des Menschseins ausgeschlossen zu sein: Leben zu schenken, Eltern zu sein.» Das gilt ganz besonders auch an diesem Tag.

Was raten Sie Frauen, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt?
Ich hüte mich vor pauschalen Ratschlägen à la: «Geh doch in ein Waisenheim arbeiten» oder «Schaff dir einen Hund an.» Mütterlichkeit lässt sich nicht so leicht anderweitig «abreagieren». Wenn man es schafft, sich mit doppeltem Elan ins Berufsleben zu stürzen, toll. Wenn man den Reiz einer völlig anderen Lebensform entdeckt, auch gut. Aber da muss jede Betroffene ihren eigenen Weg einschlagen, es ist ihr Leben. Eines ist klar: Wer auch noch andere mögliche Lebensentwürfe in der Hinterhand hat, wird besser mit der ungewollten Kinderlosigkeit klarkommen. Auf jeden Fall muss die geplatzte Lebensvision betrauert werden – und das kann Jahre dauern.

Annette Wirthlin: Bye Bye, Baby? Frauen im Wettlauf gegen ihre biologische Uhr, Werd-Verlag, 305 Seiten, 29 Franken.

P.S. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt: Marion (Name geändert), deren Geschichte im Buch «Bye Bye, Baby?» erzählt wird und die wir in einer gekürzten Fassung im Heft publiziert (lesen Sie hier auf annabelle.ch) haben, hat vor kurzem erfahren, dass sie jetzt schwanger ist. Wir gratulieren ganz herzlich und wünschen alles Gute!