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Kommentar: Mein Home ist nicht mein Office

Kommentar: Mein Home ist nicht mein Office

Der Anspruch, im Homeoffice arbeiten zu können, ist mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch arbeitet man zuhause wirklich fokussierter und produktiver? Unsere Autorin erklärt, warum sie auf das Büro nicht verzichten möchte.

Es gab eine Zeit, da galt das Arbeiten von zuhause aus als etwas, das nur in Ausnahmefällen gewährt wurde. Doch dann kam Corona und damit auch das Homeoffice – zumindest für all jene, die für das unmittelbare Aufrechterhalten des Systems eher weniger relevant waren. Also für Leute wie mich.

Während viele die neu gewonnenen Freiheiten des Remote-Arbeitens priesen, war mir nach drei Wochen klar: Ich drehe durch. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass ich allein lebe und mich nicht konzentrieren kann, wenn mich die Stille anschreit. Mehr aber noch, trotz regelmässiger Zoom-Meetings fühlte ich mich verunsichert, losgedockt, wie ein Satellit, der statt Sternen-nur noch Hausstaub sieht.

Nun, die pandemiebedingten Lockdowns sind Geschichte, das Homeoffice aber ist geblieben. Inzwischen ist der Anspruch, von zuhause arbeiten zu können, gar zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Arbeitsweg fällt weg, wodurch sich die morgendliche Routine entspannt. Und natürlich kann man im Homeoffice wunderbar spontan Staub saugen oder einer biorhythmischen Baisse mit einem Nickerchen entgegenwirken. So sagen denn auch nicht wenige, sie seien zuhause fokussierter und produktiver als in einem Grossraumbüro mit entsprechender Geräuschkulisse und den ewigen Verlockungen zum Kaffeeklatsch.

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"Physische Präsenz fördert Sicherheit, Zusammenhalt und Verbundenheit"

Wie hoch die Produktivität im Homeoffice wirklich ist, lässt sich jedoch nicht genau feststellen. Die Studienlage ist widersprüchlich. Wie Christian Fichter, Wirtschaftspsychologe an der Fachhochschule Kalaidos, gegenüber «SRF News» ausführt, erbringen wir zuhause in der Regel aber tatsächlich nicht dieselbe Leistung wie im Büro. Das habe damit zu tun, dass man im Büro in einem anderen Mindset, sprich aufs Arbeiten eingestellt sei, weshalb es den meisten leichter falle, produktiv zu sein.

Sicherheit und Verbundenheit

Aus diesem Grund holen viele Firmen ihre Mitarbeitenden wieder aus dem Homeoffice zurück. Swisscom zum Beispiel verlangt von seinen Angestellten, dass sie mindestens an zwei Tagen pro Woche vor Ort sind. Seit letzten Juni sind bei Raiffeisen Schweiz statt vier nur noch zwei Tage Homeoffice möglich, ebenso beim Techkonzern Google. Zwei Tage zuhause, drei im Büro – diese Formel, so Fichter, sei aus der Sicht der Forschung ideal für Produktivität und Wohlbefinden.

Doch wie dem auch sei – ich schliesse am liebsten jeden Tag meine Wohnungstür hinter mir ab und begebe mich in die Redaktion. Nicht nur, weil es mir nicht behagt, wenn sich in meinem Home das Adrenalin aus dem Office breitmacht, sondern weil ich die Energie der anderen brauche, um denken zu können. Zudem lässt sich im direkten Kontakt mit Kolleg:innen oft innerhalb von Sekunden klären, wofür es sonst unzählige E-Mails gebraucht hätte.

Es lassen sich Missverständnisse entschärfen, die sonst im luftleeren Raum gegärt hätten. Und es ergibt sich viel eher die Chance, die Kollegin einfach mal zu fragen: «Wie geht es dir?» Physische Präsenz fördert Sicherheit, Zusammenhalt und Verbundenheit. Und das ist in fragilen Zeiten wie diesen wichtiger denn je.

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