
Kommentar zu Künstlicher Intelligenz: Jetzt bloss keine Panik!
Wird die Künstliche Intelligenz beherrschbar bleiben, oder werden wir an ihr zugrunde gehen? Weswegen wir gut beraten sind, nicht der eigenen Angst nachzugeben, erklärt unsere Autorin Esther Göbel in ihrem Kommentar.
- Von: Esther Göbel
- Bild: Stocksy
Die Apokalypse hat seit einiger Zeit Hochkonjunktur – besonders unter den Tech Bros im Silicon Valley. Schuld ist, man ahnt es, Künstliche Intelligenz (KI). Egal ob Techmilliardär Elon Musk, Open-AI-Chef Sam Altman oder Daniel Kokotajlo, Ex-AI-Controller bei Open AI: Sie alle entwerfen gern die grosse Dystopie einer sich rasend schnell entwickelnden, menschenähnlichen Intelligenz, die zur einschneidendsten Disruption unserer Gesellschaften führen wird, die die Menschheit je erlebt hat.
In Kokotajlos Szenario wird Künstliche Superintelligenz bis allerspätestens 2030 die Weltherrschaft übernehmen und die Menschheit auslöschen. Wahrscheinlich, glaubt Kokotajlo, sogar schon früher, nämlich 2027. Apokalypse now. Kokotajlo ist beileibe kein Spinner, im Gegenteil: Er hat Ahnung von der Materie, über die er spricht, verfügt über wissenschaftliche Expertise. Seine Worte können einem also durchaus Angst machen, nicht nur vor dem Verlust des eigenen Jobs.
Gegenläufige Stimmen
Doch nun kommt das grosse Aber: Es gibt auch gegenläufige Stimmen. In einer Umfrage der Association for the Advancement of Artificial Intelligence, der einige der angesehensten Forschenden auf dem Gebiet angehören, gaben mehr als drei Viertel der 475 Befragten an, dass die Methoden, die zur Entwicklung der heutigen Technologie verwendet werden, wahrscheinlich nicht zu einer Superintelligenz führen. Zwar werden so genannte Large Language Models wie Chat GPT in einigen Bereichen mit hoher Geschwindigkeit immer besser. Etwa in der Mathematik, im Programmieren oder in der Textverarbeitung – aber eben nicht in allen.
Yann LeCun, Chef-KI-Wissenschafter bei Meta und Träger des Global Swiss AI Awards 2023, sagte in diesem Frühjahr in einem Interview mit der University of Pennsylvania: «Ich habe keine Zweifel daran, dass wir irgendwann Maschinen haben werden, die in allen Bereichen, in denen Menschen gut sind, genauso gut sein werden oder besser. Vielleicht werden wir einen entscheidenden Fortschritt über die nächsten fünf Jahre machen – aber ganz sicher wird es schwieriger sein, als wir denken.»
Welches Szenario stimmt?
Der berühmte Kognitionswissenschafter Steven Pinker fasste den Stand der Dinge gegenüber der «New York Times» so zusammen: «Ein System, das in einer Hinsicht besser ist als der Mensch, muss nicht unbedingt in anderer Hinsicht besser sein. Es gibt einfach keine automatische, allmächtige Lösung für jedes Problem, auch nicht für solche, an die wir noch nicht einmal gedacht haben.» Welches Szenario stimmt also? Wird die KI beherrschbar bleiben, oder werden wir an ihr zugrunde gehen?
Die Wahrheit ist: Momentan weiss es niemand. Weswegen wir gut beraten sind, nicht der eigenen Angst nachzugeben: Wer Zukunft nur noch als Dystopie denkt, hat schon im Heute verloren. Denn zu viel Angst macht Panik. Und die führt nicht nur zu Lähmung – was jede Person weiss, die einmal eine Panikattacke hatte –; im schlimmsten Fall führt übersteigerte Zukunftsangst direkt in die Netze rechter Schwurbler oder Heilversprecher. Und die führen wiederum, wie man es derzeit in den USA beobachten kann, ganz ohne künstliches Zutun zur Disruption.