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Der lustigste Film des Jahres

Leben

Der lustigste Film des Jahres

  • Interview: Frank Heer; Fotos: Filmcoopi

Applaus. Applaus! Die Berlinerin Maren Ade hat mit «Toni Erdmann» den bis jetzt lustigsten Film des Jahres gedreht.

Gegen Ende von «Toni Erdmann» gibt es eine Szene, in der sich die Spannung zwischen Vater und Tochter in einem Whitney-Houston-Song entlädt: «The Greatest Love of All». Winfried, ein pensionierter Musiklehrer mit einer Affinität für Scherzartikel, greift ins Keyboard, Tochter Ines, eine Unternehmensberaterin im Dauerstress, muss den Gesangspart übernehmen. Das widerstrebt ihr erst, doch schliesslich trägt sie das Lied mit jenem Pathos vor, das man von angetrunkenen Frauen in Karaokebars kennt, wenn die Break-up-Songs dran glauben müssen: Man weiss nicht, ob man lachen, weinen oder die Flucht ergreifen soll.

Bei der Premiere in Cannes gabs spontanen Szenenapplaus für die Darbietung; und ganz am Ende, während des Abspanns, klatschte das Publikum geschlagene zehn Minuten, stehend. Das ist nicht nur eine Sensation fürs deutsche Kino, sondern auch für Cannes: Standing Ovations gibt es dort sonst nur für den Lifetime Achievement Award.

Natürlich ist «Toni Erdmann» keine klassische Komödie. Vielmehr ist es diese unbarmherzige Kneippkur aus Melancholie, Fremdschämen und Groteske, die einen vom Sitz springen lässt. Und das virtuose Gespür der Berliner Filmemacherin Maren Ade (39) für den Irrwitz des ganz normalen Lebens. Das Drama, das sie uns in knapp drei Stunden so lustig erzählt, handelt von der Entfremdung einer Tochter (grossartig: Sandra Hüller) von ihrem Vater (grossartig: Peter Simonischek) und dessen pannenreichen Versuchen einer Annäherung. Um seine viel beschäftigte Tochter zurückzuerobern, die in Bukarest wichtige Deals mit einem Grosskunden abzuwickeln versucht, zwangsbeglückt sie Papa Winfried mit einem Überraschungsbesuch. Er taucht mit Ozzy-Osbourne-Perücke und Scherzgebiss bei wichtigen Veranstaltungen auf. Erzählt, dass er sich zuhause eine Ersatztochter miete, die ihm auch die Fussnägel schneide. Oder dass er wegen der Beerdigung der Schildkröte eines Freundes in Rumänien sei. Toni Erdmann, so nennt er sich, schreckt in seiner Mission auch nicht vor Furzkissen und einem Yeti-Kostüm zurück.

Schon Maren Ades Vorgängerwerke, «Der Wald vor lauter Bäumen» (2003) und «Alle anderen» (2009), liessen hoffen, dass man von dieser zurückhaltenden Frau noch hören werde, die beim Interview in ihrem Berliner Büro ein bisschen klingt wie ihre Filmfiguren: zerstreut im Tonfall, sachlich in der Aussage. Dass es Deutschland mit ihr gelang, in den Wettbewerb von Cannes aufgenommen zu werden, war dann trotzdem eine Überraschung. Die zweite Überraschung war, wie die internationale Presse vor Freude japste. Noch nie seit Jane Campions «The Piano» habe ein Film in Cannes das Publikum dermassen aus den Sitzen gerissen, schrieb die FAZ. Dass «Toni Erdmann» die Goldene Palme nicht gewann, sondern Altmeister Ken Loach mit «I, Daniel Blake», war dann die dritte Überraschung. Vielleicht hat auch das mit der Realität des ganz banalen Alltags zu tun, den Maren Ade in ihren Werken so hinreissend in Szene setzt: Frauen steht das Lob zu – Männern die Ehre.

annabelle: Maren Ade, zehn Minuten Applaus in Cannes!
Maren Ade: Ja, das ist schon lang …

Was geht einem da durch den Kopf?
Ich dachte die ganze Zeit, dass der Song im Abspann zu leise ist. Bis mir die Produzentin genervt zuraunte: «Es klatschen 2000 Leute, da hört man das Lied einfach schlecht!» Ich habe schon eine Weile gebraucht, bis ich realisierte, was da gerade passiert.

Was ist eigentlich ganz am Anfang eines Films? Bevor Sie sich hinsetzen und zu schreiben beginnen?
Da gibt es keinen klaren Anfang. Manche Ideen trägt man lange mit sich rum. Dinge, worüber ich nachdenke, die mich interessieren oder die ich beobachte. Bei «Toni Erdmann» war es die Titelfigur. So ein älterer Typ, der ständig peinliche Scherze macht.

Einen Toni Erdmann gibt es in jeder Familie: den liebenswürdigen, aber nervigen Onkel, den man gern auf den Mond schiessen möchte. Auch in Ihrer?
Zumindest ein bisschen ist Toni Erdmann an meinen Vater angelehnt, der mag auch Scherzartikel. Ich hatte ihm mal ein Plastikgebiss geschenkt, mit dem er dann bei jeder Gelegenheit Quatsch gemacht hat.

Ist das nicht riskant? Die eigene Familie als Quelle der Inspiration?
Sich eine fremde Familie vorzustellen, ist ja sehr mühsam, da finde ich es praktischer, sich mal in der eigenen Familie umzusehen. Daraus extrahiere ich dann so ein erstes Grundgefühl. Deswegen ist mein Film aber nicht autobiografisch.

Wussten Sie von Beginn weg, dass «Toni Erdmann» lustig werden sollte?
Das Drehbuch war ursprünglich sogar lustiger. Während des Drehs verliert man ein wenig das Gespür für den Humor. Man muss aufpassen, dass man nicht anfängt, klamaukig zu denken. Sobald es zu lustig wird, bedeutet das für mich: Obacht!

Man hätte «Toni Erdmann» auch als Problemfilm erzählen können. Was macht die Geschichte zur Komödie?
Der Umstand, dass sie eben auch ernst ist. «Toni Erdmann» ist ein Drama. Wir lachen, weil der Vater ständig den Clown spielt, obschon er ein ernstes Anliegen hat. Komik ergibt sich oft aus Situationen, die gar nicht lustig sind.

Zum Beispiel die Szene, als Winfried in diesem Zottelfellkostüm an der Nacktparty seiner Tochter auftaucht. Da jauchzt das ganze Kino, obschon völlig klar ist, was passieren wird …
So habe ich mir das natürlich ausgemalt. Die Nacktparty an sich ist ja ziemlich beklemmend. Das sollte ein bisschen wie Kasperlitheater sein: Dingdong, wer kommt denn da …? Ah, das Krokodil!

Nach Ihrem letzten Film «Alle anderen» sagten Sie, Sie wüssten nicht, ob Sie als Mutter mit der gleichen Intensität Filme machen könnten. Heute haben Sie zwei Kinder. Hat sich Ihre Sorge bestätigt?
Im Gegenteil. Nach der Geburt unseres ersten Kindes war es eher wie: jetzt erst recht! Die Flucht in den Beruf, aus Angst, dass man es sonst nicht mehr hinkriegt. Beim zweiten Kind nahm ich es dann entspannter. Ich wusste, dass der Spagat zwischen Beruf und Familie möglich ist.

Ewige Frage: Warum gibt es kaum Frauen, die Filme machen?
Im Vergleich mit anderen Ländern steht es in Deutschland ja gar nicht so schlecht um die Quote. Rumänien zum Beispiel macht tolles Kino, aber Frauen in der Regie gibt es nicht. Auch in Frankreich herrscht Ebbe …

Warum?
Am Ende ist es dann vielleicht doch der Spagat. Der Kraftakt, einen Film zu drehen, ist gross. Für «Toni Erdmann» war ich für fünf Monate beim Dreh in Rumänien. So was überlegt man sich als Mutter genau. In meinem Fall war dann halt der Papa für die Kinder da (der Filmemacher Ulrich Köhler, Anm. d. Red.). Ich finde es Quatsch zu glauben, dass die Mutter ständig bei den Kindern sein muss. Die Kollegen werden auch nicht gefragt, ob sie es in Ordnung fänden, dass sie so oft von der Familie weg sind. Bei ihnen stellt sich die Vereinbarkeitsfrage zwischen Beruf und Familie nicht.

In einem Interview erzählten Sie die Anekdote, wie befreundete Regisseure ihre Lieblingsfilme aufzählten – und keiner war von einer Frau. Was sind Ihre Lieblingsfilme?
Ha, da muss ich jetzt genau überlegen, was ich sage! Natürlich sind da viele Filme von Männern dabei: Cassavetes, Antonioni, Godard … Aber um eine Frau zu nennen: Die Argentinierin Lucrecia Martel zum Beispiel, die mag ich sehr. Oder natürlich Agnès Varda, die stets im Schatten ihrer berühmten Kollegen stand.

Sie unterrichten Drehbuch an der Filmakademie. Gibt es etwas, was Sie Ihren Studenten schon in der ersten Stunde mit auf den Weg geben?
Ich versuche sie dazu anzuhalten, sorgfältig zu arbeiten. Hinter einem leichtfüssigen Dialog steckt meistens viel Fleissarbeit.

Ab 21. 7.: «Toni Erdmann» von Maren Ade. Mit Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael Wittenborn, Thomas Loibl

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«Sobald es zu lustig wird, heisst das für mich Obacht»: Regisseurin Maren Ade