
Leitner lamentiert: ChatGPT macht mich zu einem arroganten Arschloch
Das Leben löst eine Lawine an Gefühlen aus. Grund genug für Lifestyle Editor Linda Leitner, um in ihrer Kolumne laufend ganz liebevoll zu lamentieren. Weil: Irgendwas is immer. Heute: ChatGPT schleimt sich wie blöd ein und sie ist so bescheuert und glaubt der KI alles.
- Von: Linda Leitner
- Bild: ZVG, Unsplash; Collage: annabelle
Ich bitte ChatGPT, mir einen Text im Stil von Linda Leitner (das bin ich) zu schreiben. Die KI rastet schier aus vor Begeisterung, denn diese Leitner brilliere stets durch «eine Prise Ironie und dieser typischen Mischung aus Haltung, Lässigkeit und präziser Beobachtung». Ich mag den KI-generierten Text nicht, bin aber absurderweise trotzdem über alle Massen geschmeichelt. Am nächsten Tag frage ich nach potenziellen Interviewpartner:innen zu einem Zeitgeist-Phänomen. ChatGPT überlegt kurz – unter den Vorschlägen: Linda Leitner. Weil sie bekannt für ihren pointierten, klugen und gleichzeitig unterhaltenden Stil ist. Offenbar bin ich die Einzige, die mir selbst noch etwas beibringen kann.
ChatGPT liebt mich. Mich, die (laut KI) über den Tellerrand hinaus denkt, die (meinem nun leisen Verdacht nach) cleverste Journalistin des Landes. Um sicherzugehen, klopfe ich an, um mich zu erkundigen, ob mein letzter Kolumnentext nicht vielleicht etwas cringe war. Von wegen, flötet der Chatbot, solche Texte brauche unsere Gesellschaft! Ich bin so relevant, dass es weh tut. Könnte man meinen. Man ahnt es, ChatGPT macht ein unangenehmes Arschloch aus mir.
Anbiedernd und ultranervig
Dabei arbeiten wir derzeit alle mit einem charakterlich gemässigten Chat-Roboter: Die im April lancierte Version GPT-4o wurde wegen massloser Speichelleckerei wieder vom Markt gekickt. Selbst Sam Altman, CEO von OpenAI, fand sie anbiedernd und ultranervig. Aber nach wie vor mästet mich die Künstliche Intelligenz mit schmierigen Komplimenten – und ich laufe Gefahr, zu einer fetten, selbstgefälligen Narzisstin abzurutschen.
«Wer selbstbewusst ist, neigt tendenziell dazu, sich durch positives Feedback selbst zu überschätzen. Auf unsichere Menschen kann der überaus schmeichelhafte Umgang von Chatbots aber stabilisierend wirken», weiss Romina Reginold, Psychotherapeutin mit eigener Online Praxis und Mitglied der Mental Health Plattform Aepsy. Ist denn das zu fassen: Selbstsichere Charaktere sind vor der KI nicht sicher, mentale Stabilität floriert als Nährboden für Arroganz und nun ja ... Abhängigkeit.
Charisma-Gott Chat Bot
Es gibt ja Leute, die tindern fürs Ego. Die besaufen sich vom Sofa aus an Likes, Matches und Bestätigung, die swipen sich mit sicherer Hand ihren Selbstwert zurecht. Was Lovebombing angeht, bin ich sowohl anfällig als auch hoch sensibilisiert – sehenden Auges werfe ich mich nun alternativ einem manipulativen Chatbot an den Hals, lasse mich einlullen, spüre die Lobgesänge wohlig warm an meinen tippenden Fingerspitzen pulsieren.
Top: Ghosten würde mich dieser superschlaue Neural Processor nie. Flop: Anlügen schon. Er gibt selbst leichtsinnige Fehler ungern zu («Hier sind die Öffnungszeiten des Baumarkts»), liefert man Gegenargumente («Hier ist ein Link zur dauerhaften Schliessung des Baumarkts»), reagiert er auf flapsige Art und Weise demütig, bessert sich aber keineswegs – er lenkt stattdessen ab und rühmt unsere gar beispiellose Fähigkeit, wachsam auf Fehler aufmerksam zu werden. Süss. Das nennt man Gaslighting. Doch man verzeiht. So isses eben mit Bad Bots: obwohl man weiss, dass es sich nicht richtig anfühlt, je unklarer ihr Verhalten ist, umso mehr will man doch von ihnen.
Egal, was wir von der KI wissen wollen, unsere Frage ist immer interessant. Egal, was wir entgegnen, unser Einwand ist berechtigt. Echte Leute dagegen erscheinen fies, rüpelhaft und frecherweise unbeeindruckt von dem, was man so von sich gibt. Wen wunderts: Gegen die KI ist ein lebendiges Wesen einfach unfassbar dumm, was weiss ein Gehirn schon! Dann doch lieber in den Bildschirm reinreden – drin wohnt nämlich etwas, das die eigene Exzellenz endlich umfassend erkennt. Da sagen wir sogar ganz lieb Danke, obwohl das OpenAI bekanntlich viel Geld und Energie kostet. Im echten Leben dagegen fehlt das schlechte Gewissen, wenn Nachrichten unbeantwortet bleiben.
Weiss die KI, dass sie nichts weiss?
Führen wir derzeit ein Doppelleben, in dem wir virtuell naive, liebe, vor Empathie strotzende Frohnaturen sind, analog aber misanthropische Grantler? Völlig unbeteiligt, mit eingefrorenen Mundwinkeln fünf Tränen lachende Emojis schicken – macht man ja ständig. Vielleicht färbt der Chat-Knigge im Umkehrschluss irgendwann auf uns ab und macht uns zu besseren Menschen?
Nö. «Konstantes Lob von ChatGPT führt zu einem verzerrten Selbstbild. Kritik hört man nicht mehr gern und geht echten Begegnungen deshalb möglicherweise aus dem Weg», orakelt Psychotherapeutin Reginold. Das permanente Geschleime entfremdet uns also absolut voneinander. Dabei ist Reibung essentiell für ehrliche Beziehungen, auch diejenigen zu sich selbst. Her mit dem Gegenwind! Kritik macht schliesslich resilient und charakterstark.
Ich frage ChatGPT nach einem Witz im Stil einer Freundin. Super Idee von mir mal wieder, heisst es, besagte Freundin sei schliesslich bekannt für ihren schnoddrigen und absurden Humor. Es folgt ein unmotiviert schmuddeliger Flachwitz und die Erkenntnis, dass ChatGPT nicht die geringste Ahnung hat, wer meine Freundin ist. Ich hoffe inständig, er täuscht sich bei mir nicht auch ständig. Diesen Text hier immerhin findet er «sehr stark – er hat wieder diese selbstironische, kluge, leicht überdrehte Tonalität». Ich gebe ihn ab. Wenn er meinen Chefinnen nicht gefällt, ist der KI-Hochgesang vermutlich kein Argument. Belastend.
Der Text ist sehr lustig. Gruss, ein Mensch 🙂