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Leitner lamentiert: Sorry, ihr singt alle vom falschen Liebeskummer

Leitner lamentiert: Sorry, ihr singt alle vom falschen Liebeskummer

Das Leben löst eine Lawine an Gefühlen aus. Grund genug für Lifestyle Editor Linda Leitner, um in ihrer Kolumne laufend ganz liebevoll zu lamentieren. Weil: Irgendwas is immer. Heute: Liebeskummer ist ein Arschloch. Männer machen Spass, kommen und gehen. Wird man von einer Freundin verlassen, bricht das Herz profunder. Leider thematisiert die Popkultur das kaum.

Liebe auf den ersten Blick gibt es, das weiss ich. Im ersten Jahr Gymnasium würfelte man zwei Klassen für den Lateinunterricht zusammen. Ich sass eine Stunde täglich mit ihr im gleichen Raum und linste rüber: Ich fand sie schön. Und cool. Als wir zwei Jahre später in die gleiche Klasse kamen und ins Skilager fuhren, wollte plötzlich niemand mit mir ins Zimmer – ausser ihr.

Und es kam, wie es kommen musste: Wir verliebten uns gemeinsam hemmungslos in alle Popstars dieser Welt, wurden fanatische Fans eines Sports, den sonst keiner cool findet (Skispringen), gründeten eine Facebook-Gruppe namens «Masslosigkeit – Übertreiben als Lebenseinstellung» und kotzten parallel in Klo und Badewanne. 

Man nannte uns «Terror Twins», was uns stolz und unsere Höllendynamik unausstehlicher machte. Inzwischen leben wir in verschiedenen Ländern, sie ist verheiratet und hat zwei bezaubernde Kinder. Wir teilen kein Leben mehr. Aber eine tiefe Liebe. Dementsprechend klaffend wäre die Wunde, würde Helena mit mir Schluss machen.

How Deep Is Your Love

Ich habe mich in erheblich mehr Mädchen platonisch verliebt als romantisch in Männer. Auch in den letzten Jahren habe ich mich mal hier mal da verguckt, hatte ständig «Girl Crushes», die zu was Festem wurden. Man urlaubte bereits gemeinsam.

Ich wurde von deutlich mehr Männern verlassen als von guten Freundinnen, aber – wann auch immer das der Fall war – habe ich schluchzender geweint, war verzweifelter, ohnmächtiger, alles tat ein bisschen weher. Weil man bei Freundschaften doch wirklich und wahrhaftig ans «für immer» glaubt. Ganz ohne Erwartungen. 

Es gibt platonische Paartherapie, aber keine platonischen Scheidungen. Aus Gründen. Eine Freundschaft ist eine Liebesbeziehung, ohne dass man ein Commitment abgesprochen hat. Sie ist deshalb komplex, man muss sie schleifen und polieren, aber sie reift so herrlich selbstverständlich heran wie kaum etwas anderes.

My Heart Will Go On

Schliesslich lernen wir von klein auf, wie es ist, befreundet zu sein. Der oft so lästige Rest kommt erst mit der Pubertät dazu. Ganz organisch fangen wir an, Dinge und Gedanken zu teilen, sich mit- und füreinander zu freuen, sich umeinander zu kümmern und zu sorgen. An der besten Freundin wächst man. Wer die Heftigkeit des platonischen Liebeskummers also für kindisch hält, hat irgendwie Recht.

Aber warum denkt man beim zuckrigen Konstrukt Liebe immer sofort an Romantik? The One? Wie es so in der Liebe laufe, werde ich oft gefragt. Oft sage ich: Och, naja, geht so. Denkste! Ich liebe ja durchaus sehr viel und stark. Einfach in eine andere Richtung.

Someone Like You

Was einem nämlich von jeher als Inbegriff der Liebe eingetrichtert wird, ist der aus dem Bilderbuch, der aus der Popkultur. Gerade dudelt Lily Allens Liebeskummer-Album «West End Girl» durch sämtliche Streamingdienste, auch Rosalías neuestes Werk «Lux» handelt von Herzschmerz. Nach Songs über platonischen Liebeskummer muss man suchen. Dabei liesse er sich durchaus besser verarbeiten, wenn man ihn ernster nehmen würde.

Ein seltenes Juwel des ungewöhnlichen Herzschmerzes finden aufmerksame Öhrchen bei der deutschen Gen-Z-Amazone Nina Chuba. Darauf wies sie kürzlich bei ihrem Konzert in Zürich hin. In «3 Uhr Nachts» singt sie: «3 Uhr nachts mit dein'n Girls in der Stadt / Hast mir nichts gesagt und mein Herz bricht, ah». «LOL, ich dachte immer, es ginge um nen Typen», sagte die Freundin, mit der ich im Hallenstadion sass. Huch, nicht richtig hingehört. Aber eben auch gebrainwashed mit dem Glaubenssatz: Ernsthafter Herzbruch – das muss der Lover gewesen sein. Schliesslich leben wir auf ein Märchen hin, in dem man diesen einen Menschen zu finden hat, mit dem man im Optimalfall eine Familie gründet, der einem Sicherheit gibt.

Eternal Flame

Aber sind beste Freund:innen nicht auch Familie? Geben einem nicht gerade die treu ergebensten Verbündeten Sicherheit, wenn es mit der Romantik den Bach runtergeht? Muss man sich mit Zunge küssen, damit ein Herz brechen kann? Bei einer Trennung bröselt immer eine relevante Ecke ab. Es trifft einen wie ein heranrasendes Auto und auch hier wird im Anschluss oft Fahrerflucht begangen. 

Man muss trauern, vielleicht Kopfschmerzen bekommen und darüber sprechen. Man muss akzeptieren. Die Option, Freunde zu bleiben, gibt es nämlich nicht.

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