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Leitner lamentiert: Summer Scaries sind real – und der Sommer nervt

Leitner lamentiert: Summer Scaries sind real – und der Sommer nervt

Das Leben löst eine Lawine an Gefühlen aus. Grund genug für Lifestyle Editor Linda Leitner, um in ihrer Kolumne laufend ganz liebevoll zu lamentieren. Weil: Irgendwas is immer. Über ihre ewige und innige Hassliebe zum Sommer.

Letztens auf einem Quartierfest: Die Sommernacht war glutheiss und gesellig, irgendwann entluden sich die wummernden Wolken, man tanzte im Regen, fühlte sich lebendig. Mir gefiel die Musik nicht, ich langweilte mich irgendwie, wollte heim. Trockengelegt scrollte ich im Bett durch Social Media, sah dort flirrende Schnipsel einer enthemmt feiernden Masse und spürte: Neid. Als hätte ich was verpasst.

Dabei hatte ich exakt diese Party vor dreissig Minuten verlassen. Ich war auch da. Mittendrin! Mach ich mir selber das Leben schwer? Sicherlich. Ich behaupte jetzt aber einfach, das Problem liegt in diesem Fall nicht bei mir – es ist der Sommer: Der führt einem ständig vor Augen, dass andere ihn besser können, als man selbst.

Ist Sommer gilt es, im Leben zu baden. Im Meer, in Flüssen, in Rhythmen, in Armen, in der Nacht. Flaniere ich hüpfenden Zopfes über den dampfenden Asphalt, dann darf ich mich im Grunde kaum umschauen, weil ich sonst unermüdlich in Schlaglöcher kleinerer bis grösserer Unzufriedenheiten rumple. Wenn sportlich Extrovertierte stramm am Volleyballnetz baggern, macht das was mit mir. Ich hasse Volleyball. Aber hätte gerne den Spass und ein sanft glänzendes Team in kleinen Hosen.

Das Gefühl, dass alles passieren könnte

Wenn Zwanzigjährige nervig besoffen auf Plateausohlen rumtorkeln, werde ich wehmütig. Auch, wenn Kater keine Option ist. Egal wie viel ich geschwommen bin, gut gelacht, gegessen und gelesen habe – irgendwer hat zu einem gewissen Zeitpunkt immer den schöneren Tisch, bleibt länger wach, ist gebräunter, knutscht mehr, schreit lauter vor Freude. 

Kürzlich in den Bergen, rumsten mir stündlich mindestens fünf flugfähige Viecher vibrierend gegen den vom Wandern glühenden Kopf – als wären sie vom Leben besoffene Hedonisten, als bestünden sie aus hitzefestem Gummi. Würden wir Menschen nicht so schnell brechen, wir würden derzeit ähnlich unkontrolliert aneinander krachen, da bin ich mir sicher.

Alles leidet, weil: Badi first

Die Ereignisdichte will maximiert werden – komme was und wer wolle. Die schwüle Luft staut sich, die Zeit rast. Wie soll man da guten Gewissens früh ins Bett gehen? Oder soziale Kontakte meiden? Die Cliquen stapeln sich auf Wiesen und Brunnenrändern. Das gehört sich so. Was auch so gehört: Sommer produziert neben der wissenschaftlich erwiesenen Glückshormone auch immer latent schlechte Laune.

Ich ertappe mich oft dabei, dramatisch zu seufzen: «Man kommt ja zu nichts.» Ob Haushalt oder ein gemütliches Bettpensum – alles leidet, weil: Badi first. Ich wache auf, scharre mit den pedikürten Hufen, will raus, muss den Tag nutzen. «Carpe Diem», «Yolo», «FOMO». Ja, vermutlich lebe ich nur einmal. Aber zerfalle ich sofort zu bedeutungslosem Staub, wenn der Sommer mich mal nicht aufbrutzelt?

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"Was ist draufgängerischer, als dem Sommer mal die Tür vor der sonnenverbrannten Nase zuzuknallen?"

Was da so grell ins Zimmer blendet, ist das Phänomen der Summer Scaries: Nervig wie ein Strobo – das Äquivalent zu den allerorts bekannten Sunday Scaries, denen die beunruhigende Angst vorm Montag innewohnt. Neben dem schleichenden Horror am Sonntag hockt nun auch der Sommer samt beklemmendem Gefühl wie ein leuchtender Nachtmahr auf der nervösen Brust. Das iPhone blinkt, der Nachbar winkt, Sommer, Sonne, Fun. Der Gnom grinst: «Und du willst wirklich nicht raus – ist dir klar, was du verpasst?»

Wer Ja zum Leben sagt, darf auch Ja zum Bett sagen

Was ist also draufgängerischer, als dem Sommer mal die Tür vor der sonnenverbrannten Nase zuzuknallen? Was ist wilder, als vor der Rastlosigkeit und einem verschwitzen Schwipps zu kapitulieren? Nichts vorhaben! Auf der Federkern- statt der Luftmatratze durch den Tag schippern! Verwahrlosen statt nach einem cuten Sommerlook suchen! Dem Sommer einfach mal verzeihen, dass seine süssen Versprechen leider unmöglich zu halten sind. Probieren kann man das. Ohne Dunkelheit schliesslich kein Licht. Ohne Regen keine Seen mit Sprungbrett. Ohne Sehnsucht keine Liebe.

Apropos: Letztens wurden in der Badi meine FlipFlops geklaut. Eine Bademeisterin hatte die Nummer der Diebin, die sich für meine FlipFlops entschieden hatte, weil ihre verschwunden waren. Klar, die Arme hätte ja irgendwie nach Hause kommen müssen, flötete es aus dem Kassenhäuschen. Da stand ich also ohne Schuhe und jegliches Mitgefühl – für letzteres war ich vermutlich trotz Schlappenraub zu gut drauf, schliesslich war mein Sommer und mein Tag bisher zum Niederknien.

Ich radelte folglich auf nackten Sohlen und nostalgisch glücksselig durch Zürich, da ich so barfuss in offener Wildbahn wieder die Zehnjährige mit den Zuckerperlen am Hals wurde, die rotwangig vom Dorfschwimmbad zum Grillen heimdüst. Kurz drauf bat ich telefonisch sehr freundlich um die Rückgabe meiner FlipFlops, wurde geghostet und somit wieder sehr sauer auf den Sommer. Tja, irgendwas ist immer.

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Nathalie

Wunderschöner Text! Erwärmt das Herz wie die aktuelle Hitze. So schön, dass ein kühlendes Tränchen kullert.