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Leitner lamentiert: Wie ravende Gym Bros meine Techno-Aversion wegtanzten

Leitner lamentiert: Wie ravende Gym Bros meine Techno-Aversion wegtanzten

Das Leben löst eine Lawine an Gefühlen aus. Grund genug für Lifestyle Editor Linda Leitner, um in ihrer Kolumne laufend ganz liebevoll zu lamentieren. Weil: Irgendwas is immer. Heute: Ihr Algorithmus verwöhnt sie mit Content von muskulösen Gen Z Boys, die raven. Die machen es ihr schwer, Techno wie gewohnt zu hassen.

Ich habe eine neue Leidenschaft. Während andere stundenlang Tiervideos konsumieren oder sich lustige Memes hin und herschicken, versumpfe ich entzückt auf deutschen Strassenkreuzungen, an denen sich schwarz gekleidete Gym Bros beim Raven filmen. Ich stelle mir vor, wie sie das Handy behutsam an eine Dose Monster Energy lehnen, kurz den kuratiert darken Look prüfen, dann den Techno anschmeissen und die austrainierten Fleischberge flexen, bevor sie im Anschluss ganz zauberhaft über den Asphalt schweben.

Sie tragen schnelle Brillen, Adidashosen, riesige Jeans, gerne Diesel-Gürtelschnallen, manchmal Cowboy-Hüte, dazu enge Crop Tops, Nineties-Tribals überall und vor allem: sauviele Tattoos auf noch mehr Muskeln. Ich habe mein Leben lang behauptet, Techno zu hassen und jetzt liege ich stundenlang auf dem Sofa und lächle debil zu Hardstyle ins Handy. Zugegebenermassen dann, wenn alle anderen echt raven. Ich wünschte so sehr, die Techno Gym Bros wären schon früher da gewesen.

Es war anstrengend, Techno zu hassen

Die Leute rannten auf Day Raves, freuten sich auf die Street Parade und hingen in hippen Clubs ab, deren Gästelistenplätze ich stets dankend ablehnte. Ich wurde mal widerwillig zum Berghain geschleppt und kam ohne Anstehen rein – der Türsteher winkte mich einfach durch, weil er gespürt haben muss, dass ich mich dort langweilen würde. Und so wars dann auch.

Ich kenne das Gegenargument: Kein Text, wenig Melodie, keine Erwartung. Raven ist wie Yoga. Nur Bass, der sagt: Du musst hier nichts leisten. Aber wenn ich nichts leisten will, kann ich auch zu Hause bleiben und schlafen.

Es war anstrengend, Techno zu hassen. Mich hat mal jemand gefragt, was ich denn am Wochenende mache würde, wenn ich nicht rave. Gute Frage. Zuhause Songs von Bryan Adams mitsingen vermutlich. Und mich schämen? Aus Trotz fand ich Raven selbstredend noch blöder. Und elitärer. Wer Techno mag, war immer zu cool für mich. Performativ cool irgendwie, weil ich mir nie vorstellen konnte, was man an musikalischer Monotonie ernsthaft gut finden kann.

Warum mit geschlossenen Augen stumpfsinnig von einem Fuss auf den anderen treten, wenn man twerken, sich angrölen oder schunkelnd in den Armen liegen kann? Mir fehlt da der Pathos. Ich korrigiere: fehlte.

Wer hätts gedacht: Traummann Gym Bro

Mir ist klar, dass meine geliebten Gym Bros mit ihren leicht bekleideten weiblichen Äquivalenten auf TikTok und Instagram wirklich so tanzen, wenn sie auf Festivals gehen oder im Club sind. Ich glaube nicht, dass man explizit drüber lachen soll. Aber es amüsiert und beglückt mich gleichermassen, wie viel Euphorie unter dieser überstylten Gen-Z-Rüstung brodelt.

Die Art und Weise, wie der pure Genuss in ihre Arme, Beine und Hüften schiesst, rührt mich. Wie diese überzeichnet hypermaskulinen Männer mit ihren Stahlkörpern und ausgemeisselten Jawlines durch die Strassen segeln, ist irgendwie albern, wahnsinnig weich und trotz des oft exaltierten Looks herrlich authentisch. So wünschen wir uns Männlichkeit doch. Meinen die das ernst? Keine Ahnung. Ich finde es berührend. Und schwer nachzumachen. Ich war diesen Sommer auf einem legendären Scooter-Konzert und habs probiert.

Aus diesem Grund folgt nun ein Tutorial, das ich gerne schon vor zehn Jahren gesehen hätte. Ich nenne es: Wie Techno erträglich bis geil wird, Part I.

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