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Mit 40 in Rente: Wir haben nachgefragt, wie das gehen soll

Work & Cash 

Mit 40 in Rente: Wir haben nachgefragt, wie das gehen soll

Marc Pittet* lebt mit seiner Familie bescheiden in der Westschweiz. Alles Gesparte legt er an. Das grosse Ziel: Schon mit vierzig ohne finanzielle Sorgen in den Ruhestand zu gehen.

annabelle: Marc Pittet, es fühlt sich verboten an, diese Frage zu stellen, obwohl ich weiss, dass Sie offen über Ihr Einkommen reden. Also: Wie viel verdienen Sie?
Marc Pittet: Auf unserem Familienkonto landen monatlich 12 500 Franken.

Und wie viel geben Sie monatlich aus?
Wir haben letztes Jahr etwa 9500 Franken pro Monat ausgegeben. Also 113 000 Franken pro Jahr. Unser Ziel wäre es, weniger zu brauchen, im Idealfall weniger als 100 000 Franken. Denn dann könnten wir noch mehr Geld anlegen.

Wie viel Geld haben Sie denn inzwischen investiert?
Unsere Anlagen haben inzwischen einen Wert von 800 000 Franken. Das Ziel ist es, dass sich dieser auf 2.156 Millionen Franken erhöht, bis wir Anfang vierzig sind. Dafür bleiben uns noch ungefähr sieben Jahre. Damit, das haben wir detailliert ausgerechnet, kommen wir mit unseren Kindern und später dann nur noch zu zweit verhältnismässig sorgenfrei und ohne an Erwerbsarbeit gebunden zu sein bis ans Lebensende durch.

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«Wir schränken uns nicht maximal ein, sondern so gut, es eben geht»

Sie leben seit neun Jahren nach den Grundsätzen der globalen Fire-Bewegung, die Abkürzung für «Financial Independence, Retire Early». Das Ziel: Während eines kurzen Erwerbslebens finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, also viel zu sparen und dieses Geld gewinnbringend anzulegen und so Anfang vierzig in Rente zu gehen. Warum tun Sie das?
Meine Frau und ich wollten vor neun Jahren ein Haus kaufen. Wir rechneten durch, wie viel wir noch benötigen – und waren schockiert. Wir realisierten, dass wir die Hypothek niemals würden tragen können. Ich begann, nach Möglichkeiten zu suchen, um unser Budget zu justieren, und fand das grossartige Programm «You Need a Budget». Ich nutze es bis heute. Auf dessen Website las ich von der Fire-Bewegung – und fing Feuer.

Und Ihre Frau?
Sie sagte: «Toll, das wirst du jetzt drei Monate machen und dann wieder aufhören, viel Spass damit.» Ich blieb dann doch länger dran (lacht). Über die nächsten zwei, drei Jahre hinweg sparte ich und legte so viel Geld an wie nur möglich. Als wir es dann schafften, damit das Geld für unser Eigenheim zusammenzubekommen, und dies ein Jahr früher als geplant, sagte sie: «Okay, es ist verrückt, aber interessant.» Wir haben sehr viel darüber gesprochen und uns dann entschieden, diesen Weg zu gehen.

Um mit Anfang vierzig in Rente zu gehen, investieren Sie nicht nur all Ihr Erspartes mit diversen ausgefeilten Strategien, die Sie auf einem Blog und in Ihrem Buch teilen, das Sie letztes Jahr veröffentlicht haben. Sie leben auch mit so wenig Geld wie möglich. Wie muss man sich das vorstellen?
Wenn Sie mich in Realität treffen, würden Sie es wohl nicht vermuten. Ich sehe nicht aus wie ein Super-Öko, der zwanzig Jahre dieselben Kleider trägt. Wir schränken uns denn auch nicht maximal ein, sondern so gut, es eben geht: Wir kochen viel zuhause, gehen nicht jedes Wochenende ins Restaurant oder auf grosse Ausflüge. Wir fahren ein altes Auto. Früher hatte ich ein teureres, schöneres, schnelleres. Irgendwann fragte ich mich: Warum? Und gab es ohne Reue weg.

Wie machen Sie Ferien?
Wir machen nicht jedes Jahr eine Fernreise, aber sind doch auch schon mal nach Skandinavien, nach Holland, nach Kanada gefahren. Wir gehen Ski fahren, aber nur in kleine, günstige Gebiete.

Auf so viel verzichten Sie gar nicht.
Nein, aber Verzicht ist auch eine Haltungssache. Es geht darum, den optimalen Bereich zu finden zwischen Verzicht und Wunscherfüllung. Nicht nur bei den Ferien oder dem Auto, sondern überall im Leben. Ich habe viel über Minimalismus und die Psychologie des Glücks gelesen. Meine Frau und ich geben unser Geld so bewusst wie möglich aus und versuchen, uns darüber klar zu sein, weshalb wir etwas benötigen. Ich merkte oft, dass ich so einiges gar nicht brauche.

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«Wir werden jeden Morgen aufwachen und selbst entscheiden, was wir tun»

Was halten Ihre zwei Kinder davon?
Unser Kinder, sie sind im Primarschulalter, wissen nichts über meinen Blog, nichts von Fire und dass ihre Eltern mit Anfang vierzig aufhören möchten zu arbeiten. Allgemein sprechen wir in der Familie nicht von unseren Zukunftsplänen, nur eine Handvoll Freund:innen kennt sie. Aber natürlich treten Kinder früh in die Konsumwelt ein, alle an der Schule haben die neuesten Smartphones, tragen diese Schuhe, die gerade hip sind. Und dann möchten sie die auch, logisch.

Wie gehen Sie damit um?
Auch ohne dem Fire-Lebenskonzept zu folgen, würde ich den Kindern nicht all diese Dinge kaufen. Weil mir diese Werte falsch erscheinen. Wir geben ihnen aber ein bisschen Taschengeld. Damit sie ein Übungsfeld haben, auf dem sie den Wert des Geldes entdecken und lernen können, damit umzugehen.

Wenn alles nach Plan verläuft, werden Sie und Ihre Frau sich in ungefähr sieben Jahren pensionieren lassen: Mitten im Leben, voller Energie. Wie stellen Sie sich den Ruhestand vor?
Wir werden jeden Morgen aufwachen und selbst entscheiden, was wir tun. Diese Freiheit treibt mich an. Ich möchte viel schreiben, viel lesen. Ich möchte durch die Welt tingeln. Mich gemeinsam mit meiner Frau mehrere Wochen oder Monate an einem Ort niederlassen und dort ins Leben eintauchen. Ich möchte humanitäre Arbeit leisten. Und ich möchte meinen Blog weiterführen.

Was löst das in Ihnen aus, wenn Sie heute an dieses Leben denken?
Bis vor ein paar Jahren dachte ich nur mit den schönsten Gefühlen daran. Aber je näher der Austritt rückt, desto mehr realisiere ich, dass es nicht einfach werden wird, den Sinn des Lebens zu erkennen, ohne dieses Eingebundensein in eine Arbeit, in eine Norm. Ich lese gerade viel darüber und habe gemerkt, dass es insbesondere wichtig ist, den Übergang sanft zu gestalten. Dass wir mit kleinen und bewussten Schritten in die Freiheit übertreten.

*Marc Pittet ist ein Pseudonym. Der Welsche ist Mitte dreissig und führt den Blog Mustachian Post. 2021 ist sein Buch «Frei mit 40 in der Schweiz» (Editions SA) auf Deutsch erschienen.

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