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Nur noch kurz die Mails checken

Leben

Nur noch kurz die Mails checken

  • Text: Julia Heim; Foto: iStock 

Schöne neue Arbeitswelt: Wenn sich die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit auflösen, brauchts Disziplin und Vertrauen - und zwar von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Sonst wird aus der grossen Freiheit eine Belastung, die allen schadet.

Hatten Sie gestern Abend vor dem Fernseher auch das Smartphone in der Hand? Nur noch kurz die Welt retten, noch 148 Mails checken – als ob man um halb elf, mit einem Ohr bei der Lieblingsserie, noch etwas Produktives zustande brächte. Trotzdem. Ich ertappe mich häufig dabei, wie ich noch schnell einen Blick in mein Postfach werfe, eine Idee aufschreibe oder mir Notizen mache für die morgige Sitzung. Grundsätzlich ist das nichts Schlechtes, findet Prof. Dr. Ulrich Pekruhl, Dozent für Human Resource Management Institut für Personalmanagement und Organisation in Olten. «Es ist nicht per se schädlich, wenn ich abends meine E-Mails checke. Wenn es aber dazu führt, dass ich nicht mehr abschalten kann, wenn ich mir Zeit für private oder soziale Aktivitäten nehme, ist die Gefahr der Vermischung gross. Sie führt zum Verlust der Entspannung. Ich werde müde und unproduktiv», so der Experte.

Diese Vermischung – das sogenannte Work-Life-Blending – ist ein Arbeitsmodell des digitalen Zeitalters. Wir arbeiten im Home Office, wir teilen unseren Schreibtisch, arbeiten im Café zwischen zwei Verabredungen, wir empfangen Mails, Calls & Co. auf privaten Geräten und sind ständig mit der Arbeit verbunden. «Work-Life-Blending führt dazu, dass eine räumliche und zeitliche Trennung von Beruf und Privatem nicht mehr existiert. Diese Entwicklung ist weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitgeber ein gesundes und effizientes Modell. Man weiss aus der Arbeitswissenschaft schon seit Jahrzehnten: Störungen bei der Arbeit sind eine grosse Belastung. Wer zuhause beispielsweise am PC arbeitet und ständig von der Familie gestört wird, leidet unter Stress. Die Produktivität nimmt ab, die Qualität sinkt», so Pekruhl. Das heisst jedoch nicht, dass flexibles Arbeiten grundsätzlich etwas Unproduktives ist. Wer seinen Arbeitstag gut plant und organisiert, kann mitunter zuhause oder in einem Coworking Space viel effizienter sein als im Büro. Die Loslösung vom klassischen Nine to Five ist in vielen Fällen förderlich. Zum einen haben nicht alle Mitarbeitenden denselben Arbeitsrhythmus, zum anderen lassen sich Familie und Freizeit nicht immer exakt planen.

Morgens zwei Stunden Arbeit, dann ein Mittagessen mit der Familie, am Nachmittag zurück an den Schreibtisch und am Abend noch einmal ein paar Stunden am PC, dazwischen Zeit für ein Hobby oder private Termine – eine solch flexible Einteilung gibt es mittlerweile auch bei Unternehmen wie Google, die sich Innovation und Flexibilität auf die Fahne schreiben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zum Aufbrechen von starren Strukturen aufgefordert, gearbeitet wird, wo es sich kreativ arbeiten lässt, der Austausch ist wichtig. Doch können sich Mitarbeitende bei diesem Modell tatsächlich ausreichend abgrenzen? Flexibilität und Selbstorganisation verleiten auch dazu, über die Stränge zu schlagen oder sie suggerieren dem Arbeitgeber, dass er ständig fordern darf. Dazu Ulrich Pekruhl: «Bei der Vertrauensarbeitszeit fällt die Arbeitszeit als Masseinheit weg, es geht also lediglich um das Ergebnis. Dabei tendieren Vorgesetzte dazu, immer noch ein bisschen mehr zu fordern und Mitarbeitende womöglich zu überfordern.»

5 Tipps für eine gelungene Arbeits- und Freizeitbalance

Egal ob in einem Coworking Space, im Home Office oder in einem klassischen Büro: Ein effizienter Arbeitstag sollte strukturiert und geplant werden. Nehme ich mir eine Tätigkeit vor, muss ich die Rahmenbedingungen schaffen, um bei dieser Tätigkeit nicht gestört zu werden.

Gibt es private Termine oder Aufgaben, die untertags erledigt werden müssen? Sie sind kein Problem, solange ich sie klar von der Arbeit trenne und bewusst erledige.

Die Einteilung in Freizeit und Arbeitszeit ist essenziell: Wir brauchen auch bewusst genutzte Zeit für soziale Aktivitäten oder Leidenschaften, die nichts mit unserer Arbeit zu tun haben.

Berufliches und Privates sollte auch räumlich voneinander getrennt sein. Dazu reicht ein Arbeitszimmer oder ein Schreibtisch, an dem ich in der geplanten Zeit ausschliesslich der Arbeit nachgehe.

Wichtig bei flexiblen Modellen ist vor allem, dass sie von den Mitarbeitenden freiwillig in Anspruch genommen werden können – und nicht etwa das Unternehmen den Rhythmus vorgibt. Denn wenn ich weiss, dass mein Arbeitgeber von mir erwartet, dass ich abends um halb elf die E-Mails checke, dann verursacht das Stress. Immerhin läuft da ja gerade meine Lieblingsserie und die darf und soll ich geniessen.