
Anjelica Huston über ihren neuen Film "Ballerina": "Ich bin von Kopf bis Fuss Hexe!"
Anjelica Huston ist bekannt für starke, mystische und oft gefürchtete Frauenfiguren. In "Ballerina" führt sie diese Linie fort – als Direktorin mit dunkler Aura. Ein Interview über ihre Liebe zu Hexen, wilde Kindheitstage in Tutus und warum Unangepasstheit ihre wahre Stärke ist.
- Von: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Dukas
annabelle: Anjelica Huston, in «Ballerina» spielen Sie erneut die geheimnisvolle Direktorin, was gefällt Ihnen am besten an dieser fast mystischen Figur?
Anjelica Huston: Nun, sie ist ziemlich furchteinflössend, und es macht Spass, die Freiheit zu haben, seine dunklen Seiten auszuleben – das dürfen wir Frauen im wahren Leben viel zu selten.
Wie hat Ihre eigene Erfahrung mit Ballett Ihre Darstellung beeinflusst?
Meine Mutter war eine Primaballerina, also habe ich viel über Bewegung von ihr gelernt. Es liegt eine gewisse Entschlossenheit in der Art, wie sich eine Ballerina bewegt. Sie tut nichts zufällig – jede Bewegung ist bis ins letzte Detail kontrolliert. Man sieht einer Tänzerin ihre Entschiedenheit in jeder Faser ihres Körpers an.
Warum haben Sie sich gegen eine professionelle Tanzkarriere entschieden?
Es gab eine lange Zeit, in der ich Tänzerin werden wollte. Ich hatte die alten Ballettbücher meiner Mutter und war richtiggehend besessen vom Tanzen. Ich habe viele ihrer Tutus geerbt und mich täglich verkleidet. Ich war wohl eine ziemliche Nervensäge, aber das Kostümieren und Performen gehörte irgendwie zu mir. Es war alles gut, bis man mir sagte, ich sei zu gross, um Ballerina zu sein (Huston ist 1.78 m gross, Anm. d. Red.). Ich war enttäuscht, ich hatte ja schon mit vier Jahren angefangen und war 14, als man mir sagte, dass mein Traum wohl platzen würde.
Anjelica Huston"Mädchen fangen schon viel zu früh an, sich anzupassen"
Sie haben bereits als Kind Theater gespielt, eine der drei Hexen in «Macbeth» etwa, als Sie sechs Jahre alt waren. Von da an haben Sie viele Hexen und mystische Frauen dargestellt, warum fühlen Sie sich zu diesen Rollen hingezogen?
Weil sie die Lizenz haben, schrecklich, hässlich und furchteinflössend zu sein. Man kann so bösartig sein, wie man möchte, und wird dafür sogar noch gefeiert. Schon als Kind liebte ich es, mich furchtbar hässlich zu schminken, mit dunklen Augenringen.
Glauben Sie, dass Mädchen nicht genug mit Hässlichkeit zu tun bekommen?
Ich denke, es ist sehr gut für Mädchen, ihre hässliche oder, sagen wir, ungezähmte Seite zu entdecken. Ich finde es wichtig, ihnen möglichst früh eine Perspektive jenseits des Perfektseins zu eröffnen. Sie fangen schon viel zu früh an, sich anzupassen.
Die Beziehung zwischen Hexentum und Frausein ist komplex, Frauen wurden historisch schon immer dafür bestraft, anders zu sein. Was tragen Sie zu diesem Erbe bei?
Ich denke, wenn man als Frau das Anderssein voll auslebt, bringt man uns als Gesellschaft weiter. Als Schauspielerin ist es einfach, anders zu sein, es ist ja im Grunde mein Job. Aber ich versuche, ein Stück davon auch ins wahre Leben mitzunehmen.
Anjelica Huston"Niemand sonst scheint Hexen spielen zu wollen, ich habe das Monopol!"
Amerikaner:innen im Besonderen: Horrorfilme sind in den USA immer populär und Halloween wird wochenlang zelebriert. Können Sie erklären, woher diese Faszination rührt?
Womöglich, weil so viel der amerikanischen Kultur darauf basiert, perfekt und hübsch zu sein. Sobald man den Leuten die Möglichkeit gibt, wirklich hässlich zu sein und das Gegenteil auszuleben, ist das sehr aufregend, weil es sich so verboten anfühlt.
Wie kommt es, dass Sie so häufig Hexen spielen?
Nun, ich habe mir wohl mit Morticia Addams (in «The Addams Family», Anm. d. Red.) selbst den Stempel aufgedrückt und ich fühle mich auf sonderbare Weise zu den Hexen hingezogen. Sie wollen zu mir kommen, also nehme ich sie dankend an. Niemand sonst scheint Hexen spielen zu wollen, ich habe das Monopol. (lacht)
Sie begegnen all Ihren Hexen mit viel Spielfreude. Welche hat es Ihnen besonders angetan?
Ich habe Morticia Addams immer geliebt, aber nichts geht über die traditionelle Hexe mit Hut und Besen. Ich habe gerade einen Animationsfilm namens «La Befana» gemacht, über eine italienische Hexe, das hat mir gefallen, denn sie war eine lustige Hexe. Ich spiele Hexen gerne, weil sie Frauen wie Männer gleichermassen begeistern. Jeder liebt es, erschreckt zu werden.
Wie viel Hexe steckt in Ihnen selbst?
Oh, viel. Eigentlich bin ich von Kopf bis Fuss Hexe.
Ihre Familie hat die McCarthy-Ära in den Fünfzigern und die sogenannten Hexenjagden auf Kulturschaffende erlebt. Sehen Sie Parallelen zwischen dieser Zeit und dem heutigen kulturellen Klima?
Ja, die Leute lieben es, einen Sündenbock zu haben, für alles, was falsch läuft. Sie brauchen immer ein Objekt für ihren Hass. Wir mussten damals mit unserer ganzen Familie das Land verlassen und sind nach Irland gezogen. Ach, ich weiss nicht, ob ich Parallelen sehe.
Nun, auch heute ist die freie Meinungsäusserung bedroht, es gibt Tendenzen zur Zensur und es herrscht ein Klima der Angst.
Ja. (schweigt lange) Lassen Sie uns lieber über Hexen sprechen. Hexen haben einen festen Platz in unserer Gesellschaft. Man benutzt sie als Projektionsfläche für seinen Ärger oder seine Sorgen. Wenn man mir sagt, ich sei eine Hexe, ist das für mich aber ein Kompliment.
Sie haben Hollywood im Wandel der Jahrzehnte erlebt. Was hat sich für Frauen in der Branche verändert, und was hat sich nicht genug verändert?
Wir haben heute mehr Macht. Früher mussten wir uns für alle möglichen Dinge entschuldigen, zum Beispiel für unsere eigene Stärke. Heute werden wir öfter als komplexe Menschen wahrgenommen, die auch unschöne Seiten haben dürfen. Aber wir könnten noch viel weiter gehen. Wir sollten uns noch viel weniger dafür entschuldigen, wer wir sind.
Berühmte Frauen wie Sie sagen oft, dass sie im Leben nichts bereuen. Gibt es etwas, das Sie anders gemacht hätten, mit dem Wissen, das Sie heute über das Leben haben?
Ich denke, ich hätte dasselbe getan – aber früher. Ich wäre weniger ängstlich gewesen und hätte eher meine Position behauptet und nach dem gestrebt, was ich wirklich wollte. Vor allem hätte ich mich nicht für meine Kraft entschuldigt.
Hexen entschuldigen sich nie, oder?
Nein.
Anjelica Huston"Was früher in Hollywood besser war? Die Filme!"
Wenn Sie Ihrem 30-jährigen Ich eine Sache über die Liebe sagen könnten, was wäre das?
Ich würde sagen: Sei nicht so ängstlich. Die Männer mögen es, sich ein wenig zu fürchten.
Was war früher in Hollywood besser als heute?
Die Filme. (lacht) Und die gute alte Art, Filme zu schauen. In einem Kino mit warmem Popcorn auf dem Schoss.
Sie haben kürzlich offenbart, dass Sie Krebs überstanden haben. Wie hat die Diagnose Ihre Sicht auf das Leben verändert?
Nun, ja, es hat viel verändert. Der Krebs hat mir aber auch die Angst genommen. Wenn ich etwas will, gehe ich jetzt und hole es mir. Ich verschwende keine Zeit mehr mit faulen Kompromissen.
Was ist eine Versuchung, auf die Sie absolut nicht verzichten wollen, egal in welcher Lebensphase?
Ich denke, es ist Schlaf. Ich gehe spät ins Bett und schlafe lange.
Wie eine Hexe?
Wie eine Hexe.
Das «John Wick»-Spin-off «Ballerina» läuft ab 5. Juni im Kino.