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Sudanesische Friedensaktivistin Rabab Baldo:

Sudanesische Friedensaktivistin Rabab Baldo: "Ich glaube, Männer haben Angst vor den Stimmen der Frauen"

Rabab Baldo ist eine der prominentesten sudanesischen Friedensaktivistinnen. Mutig spricht die 60-Jährige über den Krieg, der seit zwei Jahren im Sudan herrscht, und darüber, was Frauen vor Ort tun, um das Blutvergiessen zu stoppen. Doch der Raum für Friedensaktivistinnen wird immer enger.

Inhaltshinweis: Gewalt, Suizid, sexualisierte Gewalt

 

annabelle: Rabab Baldo, bei einer Friedensdemonstration in der sudanesischen Hauptstadt Khartum sollen Sie sinngemäss zu einem jungen Soldaten gesagt haben: «Ich habe fünf Kinder geboren – und du glaubst nicht, dass ich Frieden bringen kann?» Was genau ist damals passiert?
Rabab Baldo: (lacht) Ich wurde mit anderen Frauen festgenommen und von Soldaten gefragt, warum wir demonstrieren. Ich habe ihnen erklärt, dass wir Frieden wollen, dass unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen sollen. Daraufhin lachte einer der Soldaten laut auf: «Wir Männer haben unserem Land keinen Frieden bringen können», sagte er. «Und ihr Frauen glaubt wirklich, dass ihr das könnt?» Ich antwortete ihm: «Wir Frauen haben euch zur Welt gebracht. Es gibt nichts Schwereres im Leben einer Frau als eine Geburt. Warum sollte es uns da nicht auch gelingen, Frieden zu schaffen?»

Wie hat der Soldat darauf reagiert?
Er schämte sich und sagte: «Du hast ja Recht». Es ist wichtig, den Männern die Macht der Frauen zu zeigen, damit sie verstehen, dass wir fähig sind, über Waffenstillstände und Frieden zu verhandeln. Denn die meisten Männer gehen immer noch davon aus, dass nur sie über Frieden reden können. Ausserdem traut man uns nicht zu, die Vertraulichkeit zu wahren, die ein solcher Prozess erfordert. Wir gelten als zu geschwätzig. Diese Haltung zieht sich durch alle Ebenen. Für die Konfliktparteien sind Friedensverhandlungen eine militärische Angelegenheit, eine reine Männerdomäne, in der Frauen keine Rolle spielen.

Das heisst: Männer mit Waffen reden mit Männern mit Waffen.
So ist es. Internationale Vermittler bemühen sich zwar, Frauen an die Verhandlungstische zu bringen. Und in vielen Fällen weltweit ist das auch gelungen. Aber im Sudan noch nicht. Und die Vermittler sind zurückhaltend. Sie wollen nicht riskieren, dass der Prozess scheitert, wenn sie Druck auf die Kriegsparteien ausüben, Frauen einzubeziehen. Es ist schon schwierig genug, die Kriegsparteien an einen Tisch zu bekommen.

Es gilt also wie so oft: Erst die Stabilität, dann die Frauen.
Genau, den Frauen wird immer gesagt, sie sollen warten. Sie werden allenfalls später in den politischen Prozess einbezogen. Das muss sich jetzt ändern. Denn wir haben seit Beginn des Kriegs keinen einzigen Tag erlebt, an dem die Waffen ruhten.

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"Das vorhandene Geld wird derzeit vor allem dafür verwendet, Soldaten zu bezahlen und junge Männer für den Krieg zu rekrutieren. Wer zurückkehrt, wird mit dieser bitteren Realität konfrontiert"

Seit zwei Jahren herrscht Krieg im Sudan. Im April 2023 eskalierte der Machtkampf zwischen De-facto-Staatschef Abdel Fattah Abdelrahman Burhan und seinem ehemaligen Vize Mohammed Hamdan Daglo, der Anführer der Rapid Support Forces, der RSF-Milizen. Nach UN-Angaben wurden Zehntausende Menschen getötet, über zwölf Millionen sind auf der Flucht, rund 25 Millionen, mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung, sind von Hunger bedroht. Armeechef Burhan und Dagalo kämpfen weiter um die Macht im Land. Doch nun soll die sudanesische Armee Khartum zurückerobert haben. Wie verändert das die Dynamik des Krieges?
Die sudanesischen Streitkräfte, SAF, haben tatsächlich militärische Erfolge in mehreren Gebieten erzielt. Doch eine militärische Lösung ist keine echte Lösung. Heute erobert die eine Partei ein Gebiet, morgen erobert es die andere zurück. So geht das schon lange hin und her. Trotzdem hat die Rückeroberung Khartums bei vielen Sudanes:innen, die in Flüchtlingslagern leben oder nach Ägypten geflohen sind, Hoffnung geweckt. Die Menschen sind traumatisiert und verzweifelt, viele haben kein Geld mehr. Also gehen sie jetzt das Risiko ein, nach Khartum zurückzukehren, obwohl sie wissen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist.

Wie sieht die Lage vor Ort aus?
Überall liegen Leichen und Munition auf den Strassen, was ein massives Gesundheits- und Umweltproblem verursacht. Zudem ist die Versorgungslage katastrophal. Die Krankenhäuser sind ausser Betrieb. Es gibt keine Schulen, kein Wasser, keinen Strom, die meisten Wohnhäuser sind zerstört. Die SAF und die Regierung müssten die zurückeroberten Gebiete säubern, die öffentliche Versorgung wiederherstellen, die Infrastruktur reparieren. Doch das vorhandene Geld wird derzeit vor allem dafür verwendet, Soldaten zu bezahlen und junge Männer für den Krieg zu rekrutieren. Wer zurückkehrt, wird mit dieser bitteren Realität konfrontiert.

Vor kurzem haben Sie erfahren, dass auch Ihr Haus in Khartum von Mitgliedern der RSF-Milizen zerstört wurde. Was hat diese Nachricht in Ihnen ausgelöst?
Sie brach mir das Herz. Wissen Sie, ich habe immer gesagt: Wenn ich in Rente gehe und mich jemand fragt: «Was hast du in deinem Leben gemacht, Rabab?», dann wollte ich antworten: «Ich habe dieses schöne Haus und diesen schönen Garten gebaut.» Jetzt ist es zerstört. Aber es geht mir nicht ums Materielle, sondern um die Erinnerungen, die mit dem Haus verbunden sind. Unsere Fotos, die Spielsachen unserer Kinder, alles ist weg. Sogar der Goldschmuck, den wir unter dem Dielenboden versteckt hatten. Die RSF haben ihn mithilfe von Metalldetektoren gefunden. Und sie haben die Bäume im Garten gefällt, um Feuer zu machen und für sich kochen zu können.

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"Das meiste Geld ging an hochrangige Führungspersönlichkeiten und an die Parteielite. Diese Ungerechtigkeit hat einen historischen Hass erzeugt"

Treten wir einen Schritt zurück: Die Gründe für den Bürgerkrieg sind in erster Linie Misswirtschaft und Korruption. Dabei könnte der Sudan ein reiches, florierendes Land sein.
So ist es. Der Sudan hat eine strategisch wichtige Lage am Roten Meer, verfügt über viel fruchtbares Land und enorme Bodenschätze, Erdöl, Eisenerze, Uran und Gas. Und er hat eines der grössten Goldvorkommen der Welt. Doch flossen die Einkünfte nie in die Zentralbank, sondern immer in private Taschen. Präsident Umar al-Baschirs, der unser Land von 1993 bis 2019 regierte, investierte vom ersten Tag an 85 Prozent des Staatshaushalts in den Sicherheitsapparat. Von den verbleibenden 15 Prozent gingen 10 Prozent an die «diplomatische Vertretung», etwa an Parlamentarier, bloss fünf Prozent flossen in Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft. Das heisst, das meiste Geld ging an hochrangige Führungspersönlichkeiten und an die Parteielite. Viele Leute wurden systematisch benachteiligt. Diese Ungerechtigkeit hat einen historischen Hass erzeugt. Deshalb entstehen immer wieder Konflikte.

Der aktuelle Konflikt wird zusätzlich befeuert durch den Kampf ausländischer Mächte um sudanesische Bodenschätze. Kurz, er dreht sich um Geopolitik und Geoökonomie.
Genau. Katar und die Türkei, zum Beispiel, kooperieren im Kampf um Ressourcen und politische Einflussnahme mit der sudanesischen Armee unter Abdel Fattah Burhan. Russland wiederum bildet die RSF-Milizen aus und lässt sich diese Dienstleistung mit Tonnen von Gold bezahlen, die aus dem Sudan geschmuggelt werden. Ziel der Russen ist, ihre massiv sanktionierte Wirtschaft zu stützen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate sind am Gold interessiert, betrachten den Sudan aber vor allem als ihren landwirtschaftlichen Hinterhof, da sie Nahrungsmittel für ihre wachsende Bevölkerung produzieren müssen. Im Gegenzug für den Zugang zu Land und Häfen beliefern sie die RSF-Milizen mit hochmodernen Waffen.

Vor gut einem Jahr haben Sie zusammen mit 26 sudanesischen Frauennetzwerken und -organisationen die «Sudanese Women's Shuttle Diplomacy Initiative» lanciert. Ziel ist es, Aktivistinnen in verschiedene Länder zu entsenden, die sich dort für Frieden und Stabilität im Sudan starkmachen. Eines dieser Länder ist die Schweiz. Warum?
Wir haben analysiert, welche Länder die grössten Einflussmöglichkeiten auf die Bürgerkriegsparteien haben. Die Schweiz ist ein Land, das das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte respektiert; sie ist Sitz der UNO und des IKRK und setzt sich weltweit für die Rechte der Frauen ein. Gleichzeitig hat sie handfeste wirtschaftliche Interessen: Mit einem jährlichen Handelsvolumen von knapp 15 Milliarden Franken sind die Vereinigten Arabischen Emirate der wichtigste Handelspartner der Schweiz im Nahen und Mittleren Osten. So gelangt etwa auch immer wieder Gold aus dem Sudan über die Emirate in die Schweiz, da die Schweizer Gesetzgebung nur verlangt, den vorherigen Transitort zu deklarieren, nicht aber das Herkunftsland. Nicht umsonst ist die Schweiz das erste Land, das ich besuchte.

"Im Sudan kämpfen nicht nur Sudanesen, sondern auch Leute der russischen Wagner-Gruppe und Söldner aus anderen afrikanischen Ländern, sogar aus Kolumbien. Auch sie vergewaltigen"

Sie haben Vertreter:innen des Aussendepartements und des Parlaments getroffen. Welche Fragen haben Sie ihnen gestellt?
Zum Beispiel: Wie kann die Schweiz ihren wirtschaftlichen und diplomatischen Einfluss geltend machen, damit die Emirate den Krieg im Sudan nicht weiter anheizen, sondern ihre Einnahmen der sudanesischen Bevölkerung zugutekommen? Damit zum Beispiel Schulen und Spitäler wieder aufgebaut werden und Frauen ohne Gefahr gebären können.

Haben Sie Antworten bekommen?
Meine Gesprächspartner:innen haben ein ehrliches Interesse bekundet, etwas zu bewegen. Das gibt mir Hoffnung. Die Partnerschaft zwischen uns, dem Globalen Süden, und euch, dem Globalen Norden, besteht darin, dass wir uns an unsere gegenseitige Verpflichtung erinnern und alles tun, um sie umzusetzen.

Sie rufen auch dazu auf, Druck auf die Bürgerkriegsparteien auszuüben, damit die Gewalt an Frauen aufhört. Denn der Krieg im Sudan wird, wie Sie betonen, auf den Körpern der Frauen ausgetragen. Vergewaltigung ist zur allgegenwärtigen Kriegswaffe geworden.
Das ist leider so. Seit Beginn des Krieges sind die Milizen der RSF für die meisten Vergewaltigungen verantwortlich, aber inzwischen werden auch aus den von der sudanesischen Armee kontrollierten Gebieten Vergewaltigung gemeldet. Im Sudan kämpfen jedoch nicht nur Sudanesen, sondern auch Leute der russischen Wagner-Gruppe und Söldner aus anderen afrikanischen Ländern, sogar aus Kolumbien. Auch sie vergewaltigen. Die Kämpfer brechen in Häuser ein und vergehen sich an zweijährigen Mädchen ebenso wie an 80-jährigen Grossmüttern, selbst an Buben. Sexualisierte Gewalt ist Teil der Demütigung. Wer vergewaltigt wurde, hat in der Regel keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, keine rechtliche Handhabe, um Fälle anzuzeigen. Es gibt nicht einmal ein Meldesystem, um die Vergewaltigungen zu erfassen, da jede Form der Berichterstattung blockiert wird, um das Sammeln von Beweisen zu verhindern. Und selbst wenn es eines gäbe, würden es die wenigsten Frauen in Anspruch nehmen. Zu gross ist die Scham, zu gross das Stigma sexualisierter Gewalt – und die Angst, erneut vergewaltigt zu werden.

Sie setzen die Vergewaltigungen an sudanesischen Frauen mit Völkermord gleich. Warum?
Weil mit den Vergewaltigungen häufig darauf abgezielt wird, dass Frauen bestimmter ethnischer Gruppen keine Kinder bekommen können. Oft werden Frauen mit einer Waffe vergewaltigt, um ihre inneren Organe zu verletzen. Das ist ein systematischer Plan zur Vernichtung – ein Genozid.

"Oft werden junge Mädchen zwangsverheiratet – um sie vor Vergewaltigungen zu schützen"

In den von der RSF-kontrollierten Gebieten soll es auch zur Versklavung von Frauen kommen. Was sind dieHintergründe dafür?
Es handelt sich um eine für den Sudan neue und sehr beunruhigende Tendenz, die in hohem Masse rassistisch motiviert ist. Denn die RSF-Milizen, die sich grösstenteils als Araber bezeichnen, entführen, versklaven und missbrauchen gezielt Schwarze Frauen, um ihre Gemeinschaften zu erniedrigen und sie mittelfristig aus dem Land zu vertreiben. Darüber hinaus beobachten wir einen weiteren Trend, der ebenso beunruhigend ist: Immer häufiger werden junge Mädchen zwangsverheiratet – um sie vor Vergewaltigungen zu schützen.

Mädchen werden zu ihrer eigenen «Sicherheit» verheiratet?
Unter Umständen sogar an RSF-Kämpfer. Wir wissen von Vätern, die mit Kämpfern verhandelt haben, als diese in ihr Haus eindrangen. Sie sollen ihnen angeboten haben, den Imam zu rufen, um eine Heirat zu arrangieren, bevor sie das Mädchen vergewaltigen. Denn Vergewaltigung gilt als «Zina», als ausserehelicher Geschlechtsverkehr, und der ist eine schwere Sünde. Dass ihre Tochter eine «sexuelle Beziehung» ausserhalb der Ehe haben könnte, ist für die meisten Familien eine unerträgliche Vorstellung.

Gehen die Kämpfer auf diesen Deal ein?
Das geschieht tatsächlich, ja. Da sie allein oft nicht genug Geld haben, um das Brautgeld zu bezahlen, tun sich zwei Kämpfer zusammen. Das heisst, ein Mädchen wird mit zwei Männern verheiratet. Die Mädchen haben keine Wahl und auch keine Stimme. Viele sind dadurch so traumatisiert, dass sie sich das Leben nehmen.

Das ist ein Paradox: Die Eltern meinen es im Prinzip gut. Sie versuchen, ihre Tochter vor dem Schlimmsten, der Sünde, zu verschonen.
Natürlich. Und wenn du Angst hast, tust du alles, um dich und deine Familie zu schützen. Die Väter wissen: Wenn die RSF kommen, töten sie alle Männer. Also verheiraten sie ihre Tochter, um mit dem Gedanken sterben zu können, das Richtige getan zu haben. Ein ähnliches Phänomen sahen wir während des Darfur-Konflikts, der 2003 begann. Eltern liessen ihre Töchter beschneiden, um sie vor Vergewaltigungen zu schützen. Denn noch immer gelten unbeschnittene Mädchen als «schlechte» Mädchen, die Männer geradezu einladen, sie zu vergewaltigen. Aus diesem Grund nahm FGM, die Genitalverstümmelung von Mädchen, damals massiv zu.

Im Jahr 2020 hat der Sudan FGM verboten – als erstes Land Afrikas. Hält das Verbot trotz Bürgerkrieg?
Der Sudan hat bereits 1947 ein Gesetz gegen Genitalverstümmelung eingeführt, doch wurde es nie wirklich umgesetzt. Denn einige Ärzt:innen und Hebammen, insbesondere in ländlich abgelegenen Gebieten, haben diese Praxis weiterhin ausgeübt. In letzter Zeit ist die Zahl der Genitalverstümmelung jedoch zurückgegangen. Das ist wohl auch auf den anhaltenden Konflikt zurückzuführen, da die Hebammen über keine Gesundheitseinrichtungen mehr verfügen. Sie können aus diesem Grund aber auch keine Geburtshilfe mehr leisten – weshalb viele Frauen bei der Geburt sterben.

"Die Frauen stellen sich vor die Männer und reden mit ihnen; erinnern sie daran, dass sie seit der Zeit der Grossväter friedlich zusammengelebt haben"

Sie sind seit 1990 im Sudan als Friedensaktivistin und Mediatorin tätig. Können Sie ein paar konkrete Beispiele nennen, wie Frauen als Vermittlerinnen zwischen Konfliktparteien wirksam sind?
Sudanesische Frauen sind oft schon auf dem Grassroots-Level aktiv, selbst wenn sie keine formale Bildung haben. Bricht zum Beispiel ein Konflikt zwischen zwei ethnischen Gruppen aus, weil ein Angehöriger der einen Gruppe einen Angehörigen der anderen Gruppe getötet hat, greifen die älteren Frauen ein, um das Blutvergiessen zu stoppen. Denn jeder Kämpfer ist ein Sohn, und Söhne hören auf ihre Mütter. Die Frauen stellen sich vor die Männer und reden mit ihnen; erinnern sie daran, dass sie seit der Zeit der Grossväter friedlich zusammengelebt haben. Sie erklären ihnen, dass Rache nicht hilft, sondern den Kreislauf des Tötens endlos fortsetzt.

Und das funktioniert?
Ja, das tut es. In einigen Gebieten des Bundesstaats Kordofan im Süden des Landes haben Frauen so die Rekrutierung junger Männer durch die sudanesische Armee und der RSF gestoppt. «Wenn ihr euch gegenseitig umbringt, verlieren wir alle», sagten sie. «Wir werden nichts gewinnen.» Es gelang ihnen, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ich habe auch gesehen, dass Frauen an verschiedenen Orten zwischen 12 und 15 Uhr einen Waffenstillstand ausgehandelt haben, um auf den Markt zu gehen und ihre Produkte zu verkaufen: Gemüse, Zucker, Kleidung und Kunsthandwerk. Dank des Waffenstillstands konnten sie ihre Familien ernähren und die Dorfgemeinschaften versorgen, unter anderem auch über die Notküchen der Organisation Emergency Response Rooms. Wir nennen diese Märkte «Friedensmärkte».

Wie haben sie es geschafft, diesen temporären Waffenstillstand auszuhandeln?
Nun, Tatsache ist, dass alle Mitglieder der bewaffneten Gruppen in dieser Region auf die eine oder andere Weise miteinander verwandt sind. Die Frauen haben diese sozialen Bindungen genutzt, um den Waffenstillstand durchzusetzen – was mit ein Grund dafür ist, dass die Region vor einer Hungersnot bewahrt werden konnte. Solche Erfahrungen könnten in Friedensverhandlungen eingebracht werden.

"Das Regime kontrolliert jede unserer Bewegungen, auch im Internet und auf den digitalen Kanälen, etwa auf Whatsapp. Sie klinkt sich sogar in Zoom-Calls ein"

Welches sind die nächsten Schritte in der «Sudanese Women's Shuttle Diplomacy Initiative»?
Wir haben noch einige Länderbesuche vor uns und werden dann einen Fahrplan entwickeln, der Strategien zur Beendigung des Krieges, zur Bekämpfung von Militarisierung und Hassrede und zur Förderung einer Kultur des Friedens, der Inklusion und der Gerechtigkeit im Sudan beinhalten soll.

Das klingt jetzt sehr idealistisch. Viele Menschen sind pessimistisch und befürchten, dass wir – angetrieben von der Trump-Administration in den USA – auf einen dritten Weltkrieg zusteuern.
Nun, ich glaube fest daran, dass sich die Dinge zum Besseren wenden können. Und sie werden sich verändern. Aber ja, wir leben gerade in einer disruptiven Zeit. Besonders alarmierend ist der Hass, der über die sozialen Medien verbreitet wird. Er radikalisiert insbesondere junge Menschen und heizt Konflikte weltweit an. Gleichzeitig führt er dazu, dass sich immer mehr Menschen davon abwenden, was in der Welt geschieht. Und für uns Friedensstifter:innen und Vermittler:innen vor Ort wird der Raum immer enger. Das Regime kontrolliert jede unserer Bewegungen, auch im Internet und auf den digitalen Kanälen, etwa auf Whatsapp. Sie klinkt sich sogar in Zoom-Calls ein. Zudem werden Hasskampagnen gegen uns im Netz verbreitet. Männer erfinden Geschichten, um uns zu belästigen und unseren Ruf zu zerstören. Melden wir diese Hasskampagnen bei der Polizei, wird uns bloss geraten, den öffentlichen Raum und die politischen Prozesse zu meiden. Ich glaube, Männer haben Angst vor den Stimmen der Frauen.

Sie haben bei einer Veranstaltung gesagt, dass junge Frauen heute weniger gewillt sind, sich für den Frieden zu engagieren. Können Sie das näher erläutern?
Sie ziehen sich zurück, weil die Situation für sie schlicht zu gefährlich ist – gefährlich ist sie aber auch für junge Männer. Doch noch immer sind viele junge Frauen sehr mutig. Sie setzen sich für Menschenrechte ein, für die Versorgung der Notleidenden, leisten humanitäre Hilfe. Um uns zu schützen, haben wir ein Netz von Safe Spaces errichtet, auf das wir jederzeit zurückgreifen können. Oft aber bezahlen diese jungen Frauen ihren Mut mit dem Leben oder werden getötet, weil sie für eine Haltung eintraten, die nicht im Einklang mit der Agenda der SAF und der RSAF stand.

Milizenführer Hamdan Dagalo hat kürzlich in einer Rede gesagt, der Krieg sei noch nicht zu Ende, sondern habe gerade erst begonnen. Wie schätzen Sie diese Aussage ein?
Ich fürchte, er hat Recht. Der Krieg war bisher bloss eine Art Training. Jetzt geht er erst richtig los. Beide Seiten haben sich moderne Waffen beschafft, mit denen sie die Kämpfe in die Länge ziehen können. Im Moment erleben wir eine Eskalation der Racheakte zwischen den RSF-Milizen und der sudanesischen Armee. Trauriges Beispiel dafür ist das Massaker, das Milizen der RSF vor gut zwei Wochen in einem Flüchtlingslager in Darfur verübt haben.

Wie oft haben Sie in den letzten Jahren daran gedacht, aufzugeben?
Nie. Ich habe mich vor langer Zeit dazu entschlossen, die Stimmen jener Menschen hörbar zu machen, die keine Stimme haben. Deshalb werde ich niemals aufgeben. Das ist mein Lebensmotto. Und letztlich ist es mir lieber, ich werde bei meiner Arbeit erschossen, als eine junge Frau, die ihr Leben noch vor sich hat.

Rabab Baldo (60) hat in Deutschland Raumplanung studiert und setzt sich seit den 1990er Jahren für nachhaltige Friedenslösungen und Geschlechtergerechtigkeit ein. Sie ist seit 2005 für verschiedene UNO-Organisationen tätig und unter anderem Mitglied von FEMWISE – the Network of African Women in Conflict Prevention and Mediation sowie des globalen Netzwerks Feminists Connecting for Peace.

Im August 2024 reiste sie mit einer Frauendelegation aus dem Sudan zu den Friedensgesprächen nach Genf. Für ihr Engagement und ihr strategisch kluges Handeln wurde sie im April mit dem Preis 2025 der Somazzi-Stiftung in Bern ausgezeichnet. Rabab Baldo ist verheiratet und hat fünf Kinder. Derzeit lebt sie mit ihrer Familie in Kairo.

Du willst mit jemandem reden oder kennst du Betroffene, die Hilfe benötigen? Hier findest du Hilfe:

Erwachsene können über die Telefonnummer 143 die Dargebotene Hand kontaktieren oder finden Hilfestellung auf der Website 143.ch. Die Angebote sind vertraulich und kostenlos.

Crisis support in English: heart2heart.143.ch

reden-kann-retten.ch

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