
UEFA Women's Euro 2025: Warum bin ich bloss so ergriffen?
Unsere Autorin wird bei der Fussball-Europameisterschaft, die heute Abend startet, emotional. Dann erkennt sie: Das hat einen guten Grund.
- Von: Stephanie Hess
- Bild: Sébastien Ross (SFV)
Ich gehe an einer Getränkewerbung in der Bahnhofsunterführung vorbei, die wichtige Fussballerinnen aus Europa zeigt: Riesige Porträts von sehr ernst schauenden Frauen, sie sehen aus wie Superheldinnen. In meiner Brust beginnt es zu kribbeln, ich frage mich kurz, was das ist und merke dann: Ich bin ergriffen.
Im Frühling sass ich mit meiner kleinen Tochter – sie trug ein viel zu grosses Fanshirt – beim Halbfinal der Schweizer Meisterschaften der Frauen auf der Tribüne. Schon da wallte diese Bewegtheit in mir auf. Meine Tochter stellte mir Fragen zu den Spielerinnen, fieberte mit. Nach dem Spiel liefen wir zusammen mit vielen anderen aufs Feld. Ich schoss Fotos, die Spielerinnen knieten sich zu meiner Tochter hinunter, legten den Arm um sie und lachten in die Kamera. Als ich mich dafür bedankte, schnürte es mir die Kehle zu.
Ist es nicht etwas paternalistisch?
Später fragte ich mich: Warum bloss bin ich so ergriffen? Dass Mädchen und Frauen dasselbe tun können wie Buben und Männer, auf kurz geschnittenem Rasen wie in Teppichetagen, erscheint mir grundsätzlich in keiner Weise aussergewöhnlich. Und ist es nicht etwas paternalistisch, über professionelle Sportlerinnen in Rührung zu geraten?
Als ich für meine Kinder Sticker der Euro-Fussballerinnen am Kiosk kaufen will, sagt der Verkäufer: «Sie sind die dritte Person heute, die danach fragt. Ich verstehe es auch nicht, aber die haben wir nicht. Sie müssen an einen anderen Kiosk gehen. Kurz spreche ich mit ihm und einem anderen Verkäufer darüber, dass an diesem Tag die Schweizer Auswahl bekannt gegeben werden soll, wir werfen uns ein paar Spielerinnennamen zu – und schon wieder bin ich bewegt.
"Rührung entsteht durch einen Moment der Begegnung mit etwas, das über das Individuelle hinausweist"
Warum bringe ich dieses Gefühl nicht los? Der Philosoph Walter Benjamin beschreibt Rührung als Gegenteil von Klarheit: weil die Tränen in den Augen den Blick trüben. In einem Artikel lese ich dann aber, dass Rührung entsteht durch «einen Moment der Begegnung mit etwas, das über das Individuelle hinausweist». Und ich erkenne, als ich mir schliesslich die Tränen aus den Augen wische, plötzlich, weshalb ich so emotional werde.
Ein langer, holpriger Weg
Über Jahrzehnte hinweg haben sehr vielen Pionierinnen auf Fussballplätzen, in Vereinsvorständen und Verbandsgremien dafür gekämpft, dass Frauen im Fussball anerkannt werden.
Der Weg bis zu diesem Punkt, dass sie heute wie Heldinnen gefeiert werden können, dass man Sticker mit ihren Gesichtern darauf kauft und tauscht, dass man ihnen zujubelt, dass eine Women’s Euro in der Schweiz überhaupt entsteht, in dieser Grösse, mit dieser medialen Präsenz, war lang und holprig. Und er ist noch nicht zu Ende.
"Fussball ist nicht die Welt. Aber er ist unter anderem ein Abbild der Gesellschaft"
Aber was man sagen kann: Aus einer Männerbastion ist auch eine Frauenbastion geworden. Und wie es scheint, ist dabei niemand zu Schaden gekommen. Im Gegenteil, die Fangemeinde wächst, die Anzahl der spielenden Personen auch.
Fussball ist nicht die Welt. Aber er ist unter anderem ein Abbild der Gesellschaft. Und darum kann diese Women’s Euro einen Beweis dafür sein, dass wir uns – obwohl derzeit Backlash-Tendenzen sehr stark in eine andere Richtung deuten – als Gesellschaft tatsächlich fortbewegen können.
Was diese Ergriffenheit also in Tat und Wahrheit ist? Die Beglückung über die Erkenntnis, dass Veränderung möglich ist – und die tiefe Bewunderung für all jene Frauen, für alle Menschen, die dazu beigetragen haben.