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Wahlen im Kanton Schwyz: «Es gilt, Frauen langfristig aufzubauen»

Politik

Wahlen im Kanton Schwyz: «Es gilt, Frauen langfristig aufzubauen»

Lange Zeit hatte Schwyz den schweizweit tiefsten Frauenanteil im Kantonsparlament. Nun ist der Kanton einen Platz vorgerückt. Ein Grund zum Feiern sei das aber noch nicht, sagt Claudia Hiestand, Journalistin und Expertin für politische Gleichstellung.

annabelle: Claudia Hiestand, vor gut einem halben Jahr berichtete annabelle in einer grossen Reportage über die Hintergründe des tiefen Frauenanteils im Schwyzer Kantonsparlament. Nur 14 von 100 Sitze waren von Frauen besetzt – damit lag der Kanton schweizweit auf dem letzten Platz. Seit dem vergangenen Wahlsonntag ist die Bilanz etwas besser: Neu sind 20 Frauen im Parlament vertreten. Damit überholt Schwyz den Kanton Obwalden und rangiert aktuell auf dem zweitletzten Platz. Ein Grund zum Feiern?
Claudia Hiestand: Am Wahlsonntag selbst habe ich mich natürlich gefreut: Von den 14 amtierenden Kantonsrätinnen wurden zwar zwei abgewählt, aber acht Frauen haben neu den Sprung ins Amt geschafft. Das ist ein Erfolg. Doch sind noch immer 80 von 100 Sitzen im Kantonsparlament von Männern besetzt. Und das ist unschön.

2006 hatte Schwyz 24 Parlamentarierinnen – ein Rekord, den es noch zu knacken gilt. Welche Umstände hatten damals dazu geführt?
Im Wahljahr 2004 waren 18 Frauen gewählt worden. Dass wir 2006 24 Parlamentarierinnen hatten, lag daran, dass sechs Frauen im Lauf der Legislatur nachgerutscht sind. Schon vier Jahre später waren es 22, sechs Jahre später noch 18 Frauen. Es war also bloss ein kurzer Peak. 

Wie stark fällt bei Wahlen die Frauensolidarität ins Gewicht?
Nun, Frausein ist per se kein politisches Programm. Ich höre in Diskussionen oft, dass linke Frauen sagen: «Ich wähle sicherlich keine Bürgerliche», und umgekehrt: «Ich wähle sicherlich keine Linke.» Es wird sich zeigen, welche Rolle die Solidarität unter Frauen künftig spielen wird. Ich hoffe darauf.

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Die SVP hat ihren Frauenanteil neu von zwei auf vier Sitze sogar verdoppelt, die GLP hat ihren Frauenanteil von null auf zwei Sitze erhöht. Das könnte einen doch vorsichtig optimistisch stimmen.
Sehen Sie, der Punkt ist, dass man nicht einfach sagen kann: Im Kanton Schwyz gehts kontinuierlich vorwärts. Tatsache ist vielmehr, dass Schwyz keiner Regel folgt. Der Frauenanteil der einzelnen Parteien war stets schwankend. So gab es zum Beispiel Jahre, da verzeichnete die SVP von allen Parteien die meisten Frauen im Parlament, während die SP zeitweise nur eine einzige Frau in ihren Rängen hatte. Aktuell haben SP und Mitte mit je sechs Parlamentarierinnen die stärksten Frauenfraktionen.

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«Die Parteien wissen zwar, dass sie heute nicht mehr darum herumkommen, Frauen zu rekrutieren, doch stellen sie sich dabei ungeschickt an»

Man könnte nun einfach auch nüchtern feststellen: Der tiefe Frauenanteil hängt mit der Anzahl Frauen ab, die kandidieren. Kandidieren wenige, werden auch kaum Frauen gewählt.
Das ist so. Die Wahlchancen von Frauen steigen, je mehr Frauen kandidieren und je stärker sie auf den vorderen Listenplätzen vertreten sind. Doch gerade in dieser Hinsicht orte ich ein Versagen bei den Parteien. Im Jahr 2004 lag der Frauenanteil bei den Kandidierenden fürs Kantonsparlament bei knapp 24, heute bei rund 30 Prozent. Das sind sechs Prozentpunkte mehr innerhalb von 20 Jahren – das ist doch unerträglich wenig. Ausserdem sind die Frauen, die dann kandidieren, noch immer viel zu selten auf dem vordersten Listenplatz zu finden.

Wo genau verorten Sie das Versagen der Parteien?
Die Parteien wissen zwar, dass sie heute nicht mehr darum herumkommen, Frauen zu rekrutieren, doch stellen sie sich dabei ungeschickt an. Doch wenn ich das sage, kontern Wahlkampfleiter entrüstet: «Das stimmt nicht! Wir haben zehn Frauen gefragt, neun haben nein gesagt.» Ich kann es fast nicht mehr hören. Wenn Plan A nicht funktioniert, dann überlegt euch doch bitte mal Plan B!

Dass Frauen nicht wollen, ist in der Tat immer wieder zu hören.
Es gibt im Kanton Schwyz durchaus viele aussichtsreiche Kandidatinnen. Aber es genügt einfach nicht, erst drei, vier Monate vor den Wahlen damit zu beginnen, herumzufragen. Das ist meine grösste Kritik an den Parteien. Jetzt, da die Wahlen vorbei sind, müssten sie bereits wieder anfangen, ihre Fühler auszustrecken. Es gilt, Frauen langfristig aufzubauen, sie zum Beispiel mit einer Kommissionsaufgabe in ihrer Gemeinde zu betrauen, damit sie schrittweise und vielleicht sogar parallel mit dem Älterwerden der Kinder in die Politik reinwachsen können. Dazu könnte man ihnen eine erfahrene Politikerin als Mentorin zur Seite stellen, die Aufklärungsarbeit leistet. Denn vielen Frauen fehlt es an Informationen: Was erwartet mich überhaupt als Kantonsrätin? Was ist der Zeitaufwand? Wie viele Sitzungen finden pro Jahr statt?

«Viele Männer wären für ein politisches Amt ihrer Frau durchaus offen»

Interessant ist, dass derzeit gerade die Schwyzer FDP kaum Frauen nachzuziehen vermag. Sie gewann zu ihrem einzigen Sitz bloss einen weiteren dazu. Ausgerechnet die Partei, die mit Petra Gössi die erste Ständerätin des Kantons hat.
Petra Gössi wird oft und gerne als Beispiel für eine erfolgreiche politische Frauenkarriere herangezogen. Aber Gössi kann und konnte ihren Weg einfacher verfolgen, da sie keine Kinder hat und deshalb auch weniger familiäre Verpflichtungen erfüllen muss als die Kantonsrätinnen in Schwyz. Die sind meist berufstätig, haben Familie und müssen dazu noch ein politisches Amt unter einen Hut packen.

Aber es ist schon ein Phänomen: Eine Politikerin von nationaler Bedeutung wie Petra Gössi übt auf Frauen in ihrem eigenen Kanton kaum Strahlkraft aus.
Das könnte man so sagen, ja. Ich denke, sie funktioniert für die allermeisten Frauen in Schwyz einfach nicht als Beispiel – eben, weil sie die Herausforderung, Familie, Job und Politik zu vereinbaren, nicht prästieren muss.

Die schwierige Vereinbarkeit von Familie, Job und Politik – ist es das, was Frauen im Kanton Schwyz davon abhält, für ein politisches Amt zu kandidieren? Oder trauen sie es sich einfach zu wenig zu?
Wissen Sie, auch das kann ich langsam nicht mehr hören. Der tiefe Frauenanteil im Kanton Schwyz ist medial breit thematisiert worden. Mir ist aufgefallen, dass die Frau aus Schwyz dabei oft als wenig selbstbewusst dargestellt wird, als eine, die das Rampenlicht scheut. Das entspricht den Schwyzerinnen nicht. Ich finde es heikel, immer in dieselbe Kerbe zu hauen. Mit solchen einseitigen Schilderungen und Charakterzuschreibungen werden Vorurteile genährt, die nicht förderlich sind. Klar, die mangelnde Vereinbarkeit ist ein Puzzleteil in einem grossen Ganzen. Ich weiss aber, dass viele Männer für ein politisches Amt ihrer Frau durchaus offen wären. Frauen müssen für sich einstehen und sagen: «Bitte halte mir den Rücken frei, damit ich mich politisch engagieren kann.» Aber noch mal: Die Schlüsselfiguren sind die Parteiverantwortlichen und die Wahlkampfleiter. Sie gilt es zu sensibilisieren.

«Echte Gleichstellung erreichen wir erst, wenn wir die patriarchalen Strukturen überwinden»

Diese Aufgabe hat ja eigentlich das Frauennetz Kanton Schwyz inne. Es wurde mit dem Auftrag gegründet, die politische Gleichstellung voranzutreiben.
Richtig, und das ist an und für sich toll. Doch hatte es zur Folge, dass sich die Parteien im Kanton Schwyz lange Zeit auf das Frauennetz verlassen und sich nicht verpflichtet gefühlt haben, sich ebenso um die politische Gleichstellung zu kümmern. Das Frauennetz holte die Parteien einige Male an den runden Tisch und versuchte, sie einzubinden – ohne Erfolg. In den letzten Jahren haben sich die Parteien zwar vermehrt ins Zeug gelegt. Doch das reicht nicht aus.

Sie sagen, es braucht ein ganz grundsätzliches Umdenken. Was meinen Sie damit?
Unser politisches System gründet auf einem patriarchalen Mindset. Es wurde von Männern für Männer gemacht und schloss von Anfang an gesellschaftliche Gruppen wie Frauen oder auch Menschen mit Migrationshintergrund aus. Wenn Frauen es heute in die Politik schaffen, unterwerfen sie sich den geltenden Spielregeln und tragen dieses patriarchale System bewusst oder unbewusst mit. Echte Gleichstellung erreichen wir erst, wenn wir die patriarchalen Strukturen überwinden. Doch gerade im Kanton Schwyz wird krampfhaft an diesen Strukturen festgehalten, daran, dass politische Macht ein Privileg der Männer bleibt.

Nennen Sie uns ein Beispiel dieser geltenden Spielregeln?
Das Festhalten an den bestehenden Dominanzverhältnissen zeigt sich etwa daran, dass wichtige und berechtigte Frauenanliegen systematisch zurückgewiesen werden. Ein besonders plakatives Beispiel hierfür ist das Ansinnen der Parlamentarierinnen, die Kantonsratssitzungen vom Mittwoch auf einen anderen Tag zu verschieben, weil der Mittwoch mit seinem schulfreien Nachmittag für Kantonsrätinnen mit Familienpflichten ungünstig ist. Das Ansinnen aber wurde abgeschmettert, mit der Begründung, der Mittwoch habe sich bewährt. Die Sitzungen finden also nach wie vor am Mittwoch statt. 

«Letztes Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, das flächendeckend bezahlbare Kitas garantieren soll. Das wird jetzt umgesetzt»

Wie reagieren männliche Parlamentsmitglieder auf Kritik von weiblicher Seite?
Oft mit heftiger Empörung, vor allem, wenn sie von links kommt. SP-Alt-Kantonsrätin Karin Schwiter etwa, missbilligte vor einigen Jahren in einem Leserbrief, dass während einer Debatte im Kantonsrat ein herablassender Frauenwitz gefallen war, der mit viel Gelächter quittiert wurde. Auch SP-Kantonsrat Elias Studer äusserte sich im vergangenen Jahr in einer Schwyzer Lokalzeitung besorgt über das schwelende Klima toxischer Männlichkeit im Parlament. Sowohl Schwiter wie auch Studer wurden belächelt, aber auch vehement angegriffen. «Was fällt dir ein, uns öffentlich infrage zu stellen!», lautete der Grundtenor in den Leserbriefspalten. Beide Ereignisse machen deutlich, wie gering die Bereitschaft mancher Parlamentarier ist, ihr Verhalten und ihre diesem Verhalten zugrunde liegende Denkweise zu reflektieren.

Was ist nötig, um wahre Gleichstellung zu erreichen?
In erster Linie eine kollektive Anstrengung. Das heisst, wir müssen als Gesellschaft unser Denkmuster verändern. Dafür braucht es ehrliche Selbstreflexion darüber, welche Privilegien wir haben und wie diese Privilegien unser tägliches Leben beeinflussen. Ausserdem müssen wir lernen, Empathie zu entwickeln, um zu verstehen, wie bestimmte Strukturen und Privilegien die Lebensrealität all jener Menschen beeinflussen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt sind. Und diese Benachteiligung gilt es anzuerkennen. Ich plädiere aber auch dafür, dass Eltern, Erziehungsberechtigte und Lehrpersonen ihre Bemühungen verstärken, stereotype Denkmuster zu durchbrechen und ein Bewusstsein für diese Themen zu schaffen.

Mit anderen Worten: «Don’t fix the women, fix the system.»
Genau!

Welches sind in der aktuellen Legislatur zentrale Anliegen, die die Kantonsrätinnen anstossen sollen?
Unter anderem sicherlich die Schaffung eines Gleichstellungsbüros. Fünf Versuche sind schon unternommen worden, immer von Frauen, jedes Mal wurden sie abgeschmettert. Der letzte Vorstoss war 2022. Aber ich glaube nicht, dass – abgesehen von den Linken – die Parlamentarierinnen das Thema Gleichstellungsbüro für diese Legislatur auf dem Radar haben. Da sie kaum überparteilich zusammenarbeiten, sprich sich nicht an einen Tisch setzen und sich überlegen, welche Vorstösse sie gemeinsam einbringen könnten, gibt es auch keine gemeinsamen Anliegen.

Das hört sich jetzt eher pessimistisch an. Eine gute Nachricht gibt es aber: Der Kanton Schwyz hat bezüglich der Kitaplätze vorwärtsgemacht. Dies ist unter anderem auch dem Umstand zu verdanken, dass viele Kräfte im Parlament letztlich zusammengespannt haben.
Das stimmt. Letztes Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, das flächendeckend bezahlbare Kitas garantieren soll. Das wird jetzt umgesetzt und sehr vielen Entlastung bringen – Frauen wie Männern.

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