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Zeitgeist

Warum feiern Frauen eigentlich so peinliche Polterabende?

Claudia Senn
Claudia Senn

Redaktorin

Betrunkene Rudel, die kreischend und grölend die Innenstädte unsicher machen – ein Bild, das man eigentlich eher von Männern kennt. Warum sind mittlerweile die Frauen von der Idee genauso begeistert?

Die kurze Antwort auf die Frage heisst: Weil es im Leben nur wenige Gelegenheiten gibt, sich so ungehemmt und in netter Gesellschaft dem Vollsuff hinzugeben und die innere Proletin von der Leine zu lassen.

Die längere lautet: Eine Frau zu sein ist mitunter sehr anstrengend. Die ewige Empathie, das Lieb- und Hübsch- Sein, die Höflichkeit, das ganze Gekümmere – das zehrt! Deshalb bereitet es Frauen ein diebisches Vergnügen, hin und wieder ihr Benimmkorsett in die Ecke zu pfeffern, ohne dafür gleich mit Jobkündigung, Liebesentzug oder sozialer Ächtung abgestraft zu werden.

Weg mit der Tugend

Nicht nur das Gehirn von Männern, sondern auch jenes von Frauen beherbergt nämlich irgendwo links hinter dem rechten Schläfenlappen einen kleinen Neandertaler. Und der muss ab und zu mal raus, sonst bekommen wir Migräne oder Scheidenpilz. Dafür gibt es das reinigende Ritual des Polterabends. Im Grunde genommen ist es wie ein Wellnesstag, nur halt mit umgekehrten Vorzeichen.

Angeblich geht es ja darum, dass die Braut noch einmal die Sau rauslässt, bevor sie für immer im Kerker der Tugendhaftigkeit verschwindet. Was natürlich Bullshit ist. Die Ehe hat noch niemanden daran gehindert, das Alphabet der Todsünden rauf und runter zu deklinieren. Es gilt sogar die Maxime: je kitschiger die Hochzeit, desto tiefer der Absturz in den Sündenpfuhl.

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Zu viel gibt es nicht

Luftballons mit Liebesschwüren, güldene Kutschen und elaborierte Honeymoon-Trips sollten einem zu denken geben. Denn bald schon wird der Zuckerguss von der gnadenlosen Abrissbirne des Lebens zermalmt, und die Braut brennt mit ihrem Osteopathen durch oder eröffnet im Darknet einen Marihuana-Shop. Dann lieber eine bescheidenere Hochzeit und ein exzessiver Polterabend.

Bis ungefähr zur Jahrtausendwende feierten ihn nur Männer. Ein Irrtum der Geschichte – denn auch Frauen schätzen und brauchen hin und wieder eine gesellschaftlich akzeptierte Entlastungsorgie gegen das ewige Haltung- Bewahren. Saufen, grölen, rülpsen, kreischen, peinlich sein – ja, das ist der Brautjungfer Lust! Je vulgärer, desto besser. Vielleicht heuert sie sogar einen Stripper an oder lässt die Braut mit entblössten Brüsten in der Fussgängerzone um Geld betteln.

Tags darauf fragt sie sich dann, wie sie so tief sinken konnte. Bei Polterabenden geschehen immer Dinge, für die sich die Beteiligten hinterher schämen, das liegt in der Natur der Sache. Und Schuld ist nur der Neandertaler.

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