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Warum wir es nicht schaffen, nachhaltiger zu leben

Politik

Warum wir es nicht schaffen, nachhaltiger zu leben

Wir wissen, dass die Klimakrise existiert und sich verschlimmert, ändern unser Leben aber kaum. Wieso bloss? Und wie kommen wir in die Gänge? Ein Interview mit der Basler Verhaltenspsychologin Zahra Rahmani.

Kaum jemand leugnet heute noch den Klimawandel. Wälder brennen, Städte stehen unter Wasser, Gletscher schrumpfen. Täglich gibt es neue Podcasts, Bücher, Talkrunden oder Zeitungsartikel, die auf die Folgen unseres Lebens für die Umwelt aufmerksam machen, die erklären, was wir jetzt tun müssten.

Gleichzeitig meldet der Flughafen Zürich Rekordzahlen. Der Anteil der Elektroautos dümpelt im tiefen einstelligen Bereich. Der Fleischkonsum stagniert auf hohem Niveau, ebenso der Schweizer Treibhausgasausstoss. Er liegt aktuell pro Kopf und Jahr bei 12 Tonnen CO2-Äquivalenten, so nennt man die Masseinheit für die gesammelten klimaschädlichen Gase. Um die Klimakrise zu entschärfen, muss er auf 0.6 Tonnen CO2-Äquivalente sinken.

Es ist ein Paradox – das Wissen über die notwendigen Handlungsschritte ist da, aber die meisten leben weiter wie bisher. Die Verhaltenspsychologin Zahra Rahmani forscht im Labor Psychologie der Nachhaltigkeit und Verhaltensänderung, einem Forschungsschwerpunkt der Fakultät für Psychologie der Uni Basel. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum Wissen und Verhalten oft auseinander- klaffen, wie wir in Bewegung kommen – und ob wir als Individuen überhaupt etwas verändern können.

annabelle: Zahra Rahmani, warum bloss schaffen wir es in dieser brenzli- gen Situation der Klimakrise nicht, unsere Gesellschaft umzugestalten?
Zahra Rahmani: Sie starten ja gleich mit einer der grössten und schwierigsten Fragen der Klimakrise! Ja, eigentlich ist es spätestens seit den 1980er-Jahren zweifelsfrei belegt, dass sich CO2 in der Atmosphäre ansammelt und die Erde erwärmt. Dennoch befinden wir uns heute, mehrere Jahrzehnte später, nicht auf einem ausreichend entschlossenen Weg, um die Emission so stark zu reduzieren, dass wir die vereinbarten Klimaziele ein- halten können. Ich glaube, in einem ersten Schritt ist es wichtig anzuerkennen, dass die Klimakrise eine sehr komplexe, globale Herausforderung ist. Eine, die grosse Transformationen er- fordert, immense Umbauten in der Industrie, der Politik und auch Veränderungen des individuellen Verhaltens.

Aber genau weil die Herausforderung so gross ist, müssten wir doch endlich in die Gänge kommen. Sind wir einfach zu faul?
Menschen sind Gewohnheitstiere, mit Faulheit hat das, denke ich, nichts zu tun. Gewohnheiten sind ein probates Mittel der Psyche. Sie helfen uns, uns grösseren Zielen zu widmen und Alltagssituationen nicht ständig neu be- werten zu müssen. Unser gewohntes Verhalten zu ändern, ist also grundsätz- lich schwierig, aber beim Klimawandel kommen weitere Barrieren hinzu.

Welche sind das?
Es sind einige, aber um eine wichtige zu nennen: In der Forschung sprechen wir vom Modell «Tragedy of the Commons», der Tragik der Allmende. Das Modell bezeichnet eine Patt-Situation: Ich tue nichts, weil ich nichts davon habe, als Einzige mein Verhalten zu ändern. Ich profitiere persönlich davon, weiterhin dieselbe Menge an Treibhausgasen zu emittieren und meinen Lebenswandel beizubehalten. Mein Verhalten kostet mich ja schliesslich nichts, die Auswirkungen werden von allen global getragen. Das führt dazu, dass es für Einzelne immer erst mal besser erscheint, sich zurückzuhalten und darauf zu warten, dass die anderen vorwärtsmachen. Nicht nur wir als Individuen funktionieren so, sondern auch Länder. Man zeigt auf die anderen und sagt: «Sollen die doch erst mal vorwärtsmachen!»

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«Ob wir es schaffen, hängt nicht am Individuum, aber trotzdem am individuellen Verhalten des Kollektivs»

Man kann auch auf die Industrie zei- gen und sagen: Solange die mehr oder minder unbehelligt umweltschädlich weiterproduzieren, spielt es doch gar keine Rolle, ob ich persönlich weniger oder anders konsumiere …
Das Gefühl ist verständlich, doch es entspricht nicht ganz der Realität. In der Forschung sprechen wir von zwei Ebenen, auf denen Veränderungen angestossen werden können. Jene der Nachfrage, das sind Anpassungen des Individuums. Und jene des Angebots, also Veränderungen in der Produktion. Viele Massnahmen entfalten erst ihre volle Wirkung, wenn sie von beiden Seiten angegangen werden. Wenn etwa E-Autos subventioniert werden, aber bei potenziellen Käufer:innen das Gefühl besteht, dass deren Reichweite zu gering ist, wird sich der Absatz nicht so positiv entwickeln, wie wenn parallel Massnahmen ergriffen werden, diese Befürchtung zu reduzieren.

Und wenn bloss ich als Einzelperson mein Verhalten ändere und gewisse Dinge nicht mehr kaufe, hat das einen Effekt auf die Industrie?
Durch Konsumentscheidungen haben wir einen Einfluss, die Industrie passt sich bekannterweise an die Nachfrage an. Aber Sie sprechen natürlich schon ein wichtiges Problem an. Den Umstand, dass man als einzelne Person unter mehr als acht Milliarden Menschen auf der Welt schlicht nur sehr wenig bewirken kann. Dass kann sich frustrierend anfühlen, wenn ich denke, ich kämpfe ganz allein gegen den Klimawandel. Es ist wichtig zu verstehen: Ob die Klimakrise bewältigt wird oder nicht, hängt nicht am Individuum, aber trotzdem am individuellen Verhalten des Kollektivs.

Und was bedeutet das?
Wenn sich ganze Gesellschaften oder nur schon Nachbarschaften, Schulklassen, Freundeskreise entscheiden, klimafreundlicher zu handeln, wirken sie gegen innen wie gegen aussen als Vorbilder. Solche sozialen Dynamiken setzen Trends, die dann mehr Leute aufnehmen können. Was ich also tun kann als einzelner Mensch: einerseits meinen persönlichen CO2 -Ausstoss reduzieren. Anderseits die Gruppen, in denen ich mich bewege, klimafreundlich mitgestalten, auch die Politik. Etwa indem ich Leute wähle, die sich fürs Klima einsetzen, indem ich klimafreundlich abstimme, an eine Demo gehe oder auch selbst Vorstösse in die lokale Politik einbringe.

Damit Menschen aktiv werden, müssen sie erst davon überzeugt sein, dass die Welt bedroht ist. Besteht dieses Bewusstsein heute?
Ja, es ist fast allen bewusst, dass die Klimakrise ein riesiges Problem ist mit potenziell katastrophalen Folgen. Und die meisten sind auch bestrebt, Emis- sionen zu reduzieren. Das zeigen Studien, in denen Proband:innen wiederholt zwischen zwei Optionen auswählen. Eine bietet einen finanziellen Bonus, aber verursacht Emissionen, die andere Option bietet keinen Bonus, ist aber CO2 -neutral. Die Mehrheit entscheidet sich für letztere Option. In den USA entscheiden nicht nur Anhänger:innen der Demokraten so, für die Klimaschutz ein wichtiges Anliegen ist. Sondern auch viele Anhänger:innen der konservativen Republikaner. Dieses Bewusstsein übersetzt sich im Alltag aktuell jedoch noch nicht in ausreichend stringentes klimafreundliches Verhalten.

Weshalb?
Menschen haben viele Ideale. Wir wollen uns CO2 -neutral verhalten, ebenso uns gesund ernähren, genug Zeit mit der Familie verbringen und Freundschaften plegen, uns ehrenamtlich betätigen, regelmässig die Zeitung lesen.

Ist unser Verstand denn nicht fähig, angesichts der drohenden weltbewegenden Veränderungen ökologisches Verhalten höher zu gewichten?
Für den einzelnen Menschen können die Auswirkungen seines klimarelevanten Verhaltens recht gering wirken. Das kann dazu führen, dass es mir in meinem Leben bedeutsamer erscheint, dass ich regelmässig joggen gehe oder jeden Abend Zahnseide benutze, als dass ich konsequent ökologisch lebe. Das habe ich zudem allein in der Hand und ich sehe viel schneller Erfolge. Der Verstand ist ausserdem ein Meister der Verdrängung. Gerade beim Klimawandel, der oft als abstrakt oder die Zu- kunft betreffend wahrgenommen wird, gelingt es besonders gut, daraus erwachsende Probleme wegzuschieben. Darum ist es umso wichtiger, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, in denen umweltfreundliche Verhal- tensweisen einfacher werden.

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«CO2 zu besteuern, wird von vielen Fachleuten als wichtigstes politisches Instrument eingeschätzt»

Wie könnten solche Rahmenbedingungen denn aussehen? Muss die klimaschädliche Wahl schlicht teurer werden?

Nicht nur, manchmal reicht ein geprüftes Label auf einem Produkt oder ein Hinweis über dessen CO2 -Ausstoss, dass es weniger nachgefragt wird. Aber der finanzielle Hebel ist in der Tat sehr wirkmächtig. CO2 zu besteuern, wird von vielen Fachleuten als wichtigstes politisches Instrument gegen den Klimawandel eingeschätzt. Heute ist es eher umgekehrt: Die Vermarktung von Schweizer Fleisch wird mit Bundesgeldern mitfinanziert und Fluggesellschaften bezahlen in der Schweiz keine Mineralölsteuer – so werden Fliegen und Fleischkonsum künstlich vergünstigt. Die eigentlichen Preise werden nicht abgebildet. Genauso wenig wie die Umweltschäden.

Sie sprechen die Kostenwahrheit an, im Umweltkontext auch True Cost genannt. Treibhausgase und andere Umweltschäden wie Bodenverschmutzung oder Biodiversitätseinbussen, die beim Produzieren entstehen, werden im Produktpreis nicht berücksichtigt.
Genau. Bezöge man diese mit ein, würde klimaschädliches Verhalten plötzlich viel mehr kosten als umweltfreundliches.

Das Problem ist dann jedoch, dass Reiche sich den verschwenderischen Lebenswandel weiterhin leisten könnten, während finanziell schwächere Menschen ihr Leben ändern müssten.
Ja, wenn man etwa Fleischkonsum, Fliegen oder Autofahren mit höheren Abgaben belegt, ist es wichtig, gleich- zeitig etwa die Preise für General- abonnement, Europa-Züge und pf lanzliche Nahrungsmittel zu senken. Ein vieldiskutiertes Umverteilungsmittel wäre es, das Geld aus einer CO2 -Steuer gleichmässig an alle Bürger:innen zu verteilen. Da reichere Menschen viel mehr Emissionen verursachen als ärmere, würden die Mehrkosten für Letztere ausgeglichen.

Denken Sie, Verbote, etwa von Inlandflügen, wären hilfreich?
Das ist eine politische Frage, zu der ich mich nicht aus wissenschaftlicher Sicht äussern kann. Verbote sind sicher wirksam, weil sie unerwünschtes Verhalten nahezu unmöglich machen. Aber die individuelle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ist ein hoher Wert und Massnahmen sollten möglichst breit von der Bevölkerung getragen werden. Idealerweise werden Inlandf lüge durch schnelle, günstige und bequeme Zugreisen von selbst obsolet.

Wo sehen Sie die wichtigsten Ansätze für Veränderungen?
Wichtig ist sicher die Wissens- und Auf klärungsebene. Es existieren oft falsche Annahmen, etwa dass regional produzierte Produkte oder das Licht auszumachen das Klima schützen. Das ist nicht in einem solchen Ausmass der Fall, wie sich das viele vor- stellen. Durch unser Verhalten bei Wahlen oder indem wir unser Kapital in nachhaltige Wertpapiere anlegen, haben wir einen viel grösseren Ein- fluss. Wichtig ist auch, dass die Verantwortungsbereitschaft steigt.

Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Lange gab es auf staatlicher Ebene Forderungen, China müsse als bevölkerungsreichstes Land zuerst vorangehen beim Klimaschutz. Das tut es jetzt und baut die erneuerbaren Energien in enormem Tempo aus. Auch bei der Wiederaufforstung ist China Vorreiter. Da müssen westliche Länder anschliessen und ebenfalls mehr Verantwortung übernehmen. Tun wir es nicht, wäre das nicht nur für das Klima fatal, wir verpassen auch zukunftsweisende Entwicklungen.

Wenn ich ab morgen klimafreundlicher leben will: Welches sind die wirksamsten Verhaltensänderungen?
Ich sage Ihnen nichts Neues: Klimafreundlich abstimmen, nur noch selten fliegen, wenig Fleisch und Milchprodukte konsumieren. Entfalten diese Verhaltensweisen eine kollektive Dynamik, wird Klimaschutz Bestandteil des Alltags, dann kann der gesellschaftliche Wandel gelingen.

Für eine Auswahl an weiteren, nachweislich klimafreundlichen Verhaltensänderungen: takethejump.org

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