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Wenn Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch im Netz werden

Politik

Wenn Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch im Netz werden

  • Text: Martina Merten; Fotos: Annamaria Bruni

Das Ausmass psychischer Störungen durch Cybersexmissbrauch von Kindern offenbart sich oft erst viele Jahre nach dem Verbrechen. Auf den Philippinen – der weltweiten Hochburg von Kinderprostitution im Internet – sind die meisten Opfer ein Leben lang auf sich allein gestellt. Immerhin für einige gibt es so etwas wie Hoffnung.

Schweiss ist auf Jen Jens Stirn zu erkennen. Winzige kleine Tropfen. Die Filipina sitzt auf einem einfachen Holzstuhl. Kerzengerade der Rücken. Den Hals irgendwie nach oben gestreckt. Leicht breitbeinig sitzt Jen Jen auf dem Stuhl, fast wie ein Junge. Lediglich die Haare der 14-Jährigen, sie haben etwas Mädchenhaftes. Sie sind mit einem pfirsichfarbenen Gummiband lose am oberen Kopf hochgebunden. Eine rot gefärbte Strähne blinzelt durch das Schwarz ihres Haares. Im Raum, in dem Jen Jen sitzt, hängen Gottesbilder. In einer Ecke steht ein kleiner Altar mit einem Kreuz darüber. An der Wand ein Ventilator, der immerhin die heisse Luft ein wenig verteilt. Der Blick aus dem Fenster lässt die Berge der Insel Cebu erkennen. Überall Palmen, wohin das Auge blickt. Vögel zwitschern.

«Hier oben, im Good Shepherd Home, inmitten der Natur, fühle ich Gott», sagt Jen Jen mit fester Stimme. Lange Zeit hat sie Gott nicht gespürt. Hinter ihr liegen Jahre der Dunkelheit. Der Kopfschmerzen. Der Depressionen. Der Selbstmordgedanken. Und immer wieder sei sie so müde gewesen. Jen Jen zieht an ihrem linken Zeigefinger, bis er laut knackt. Jennie Endriga, so lautet ihr richtiger Name, stammt eigentlich aus Manila, der Hauptstadt der Philippinen – einem Megamoloch, in dem sich nur Wohlhabende in angenehme Parallelwelten flüchten können.

Für die breite Masse mangelt es an allem. Mit ihrem Vater, einem Zimmermann, lebte sie zuletzt in einer einfachen Unterkunft ohne fliessendes Wasser. In ihren Erzählungen über die Jahre einer Kindheit, die keine war, kommt immer wieder eine liebevolle Grossmutter vor. Als sie starb, muss Jen Jen um die neun Jahre alt gewesen sein. Ihr Vater leidet an einer angeborenen Behinderung. Die Familie, die eigentlich in einem Land wie den Philippinen auch mittelbaren Angehörigen hilft, die zusammenhält, half nicht. Oft habe es nichts zu essen gegeben.

Wenn sie sich nicht auch ausziehe und ihm Bilder schicke, sei es unfair, schrieb ihr der Facebook-Freund

Irgendwann, sagt Jen Jen auf ihrem Stuhl hin und her rutschend, sei da dieser Freund aus den USA gewesen. Ein Facebook-Freund. Das Mädchen war gerade einmal zehn Jahre alt, als sie begann, mit ihm zu chatten. Wie bei den meisten philippinischen Kindern zählte das Handy schon damals zu ihren ständigen Begleitern. Telefone und Internet-Pakete kosten auf dem Archipel weniger als eine gesunde Mahlzeit. Selbst die Ärmsten der Armen besitzen ein Mobiltelefon. Der Freund, beschreibt Jen Jen ihren ersten Kontakt aus den USA, «war irgendwie wie ein echter Freund».

Wie ein Freund, den sie zuvor niemals gehabt habe. Schnell habe er mehr gewollt, als nur von ihr zu lesen. Er wollte sie sehen. Schickte Bilder von seinem Penis. Schrieb ihr: Wenn sie sich nicht auch ausziehe und ihm Bilder schicke, sei es unfair. Jen Jen machte zunächst, was er wollte, und schickte die Bilder. Denn einen Freund zu haben, einen richtigen, das war Jen Jen wichtig. Sie wollte wichtig sein für die eine Person. Für irgendjemand.

Aus Einmal-Ausziehen vor der Kamera und Bilder-Schicken wurden mehrere Male. Aus einem Wunsch, den der angebliche Freund äusserte, wurden viele. Aus einem Mann wurden zehn Männer innerhalb von drei Jahren. Es war die Zeit zwischen dem elften und vierzehnten Lebensjahr von Jennie Endriga. Ihr zweiter «Freund» kam aus Sri Lanka. Seine Wünsche, erinnert sich Jen Jen, schienen grenzenlos. Ohne Mass. Als Jen Jen wie viele Mädchen auf den Philippinen, die früh zu jungen Frauen heranwachsen, mit elf ihre Periode bekam und unter Regelschmerzen litt, interessierte ihn das nicht. Immer wieder kam die Drohung, alles öffentlich zu machen.

Um Fantasien in die Realität umzusetzen, schickte der Mann aus Sri Lanka Jen Jen regelmässig Sexspielzeuge. Es bereite ihm besondere Freude, wenn Jen Jen vor laufender Kamera den Vibrator in ihre blutverschmierte Vagina einführte oder während ihrer Regelblutung masturbierte. «Es war ihm egal, ob ich meine Tage hatte. Weinte. Wenn ich nicht tat, was er sich wünschte, beschimpfte er mich als Nutte, Schlampe, Schwein oder wertloses Stück Scheisse», erinnerte sich Jen Jen. Selbstmordgedanken kamen bei dem Mädchen auf. Fast ruhig wirkt Jennie Endriga, wenn sie von all diesen Dingen erzählt. Es ist schwer abschätzbar, welche Wunden der jahrelange Missbrauch hinterlassen hat und ob sie jemals heilen können.

Eines von fünf Kindern hat auf den Philippinen schon einmal sexuelle Gewalt erlebt

Das Haus, in dem sich Jen Jen befindet, liegt zwei Autostunden von der philippinischen Grossstadt Cebu, Hauptstadt der Inselgruppe der Visayas im Süden des Archipels, entfernt. Die vierzehn Mädchen, die einen Platz im Good Shepherd Home inmitten der Natur gefunden haben, sind zwischen elf und 22 Jahre alt. Sie alle sind Opfer sexueller Gewaltverbrechen geworden. Einige von ihnen, wie Jen Jen, vor der Webcam. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein seit vielen Jahrzehnten weltweit zu findendes Verbrechen. Die Philippinen haben sich innerhalb des vergangenen Jahrzehnts zum Hotspot einer besonders grausamen Form des Kindesmissbrauchs entwickelt: des virtuellen Sextourismus – in Fachkreisen «Online Sexual Exploitation of Children» (OSEC) genannt.

Eines von fünf Kindern, geht aus der nationalen Basisstudie von Unicef zu Gewalt gegen Kinder hervor, hat im Tropenparadies schon einmal sexuelle Gewalt erleben müssen. Im Jahr 2018 gingen bei philippinischen Strafverfolgungsbehörden rund 60 000 Berichte zu OSEC-Vorfällen ein – 20 000 mehr als noch im Jahr zuvor, heisst es von der Menschenrechtsorganisation International Justice Mission (IJM), die zwei Büros auf den Philippinen hat. Allein in den letzten drei Jahren hat sich das OSEC-Vorkommen auf den Philippinen verdreifacht, fand IJM in Kooperation mit der philippinischen Regierung, dem Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder und weiteren Partnern heraus. Wurden im Jahr 2014 43 von 10 000 IP-Adressen für die sexuelle Ausbeutung von Kindern genutzt, waren es 2017 bereits 149 von 10 000. Unter den ausschliesslich männlichen Kunden im Alter zwischen 40 und 72 Jahren kamen 34 Prozent aus den USA, 25 Prozent aus Schweden und 18 Prozent aus Australien, ergab die Untersuchung.

Im Good Shepherd Home nah der Stadt Cebu – dem neuen Zuhause von Jen Jen – versuchen Heimleiterin Flori Lie und Schwestern vom Guten Hirten, die regelmässig zu Besuch kommen, einen festen Ablauf für die Tage der Mädchen vorzugeben. Dazu zählt der Besuch der nah gelegenen Dorfschule, das Aufräumen der Zimmer im zweiten Stock, Gespräche mit einer Psychologin, die ab und an zu Besuch kommt. Oder aber das Kochen und Backen. Sie helfe inzwischen gern in der Küche mit, sagt Jen Jen. Es gebe ihr irgendwie Struktur. In der Küche des alten Hauses im spanischen Stil mit den knarrenden Dielenböden riecht es nach Bananenbrot. Auf dem Küchentisch steht eine grosse Schüssel mit Suman – Klebreis, der in einem hohlen Stück Bambus gedämpft worden ist. Im Ofen steht eine weitere Schlüssel. Im geräumigen, asphaltierten Innenhof des Hauses stehen Velos, auf denen die Mädchen die rund 150 Meter bis zum Tor auf- und abfahren dürfen. Links und rechts des Weges wachsen Aloe-Vera-Pflanzen. Eine Vielzahl an Palmen ragt über das Gartenbeet. Es ist friedlich. Wenngleich begrenzt.

Ein Tropfen auf dem heissen Stein

Die meisten Opfer von sexuellem Missbrauch vor Webcams bleiben bislang auf sich gestellt. Von denjenigen, deren Missbrauch wie bei Jennie Endriga bekannt wird, schaffen es immerhin einige hundert, einen Platz in einer Rehabilitationseinrichtung zu bekommen, erzählt Clara Nemia C. Antipala. Gemessen an den hohen Missbrauchszahlen im Land sei dies noch immer ein Tropfen auf den heissen Stein, weiss die Leiterin des Assessment- Zentrums für Opfer von Cybersexmissbrauch von Minderjährigen in Cebu-Stadt. In das Assessment- Zentrum bringen Polizisten der Sondereinheit «Verbrechen gegen Kinder» und für die Regierung tätige Sozialarbeiter die Kinder direkt im Anschluss an ihre Rettung.

Der Rettung von missbrauchten Kindern gehen monatelange polizeiliche Ermittlungen voraus, erklärt Nino Lawrence Ibo. Der Mann mit dem freundlichen Gesicht ist Vize-Chef der polizeilichen Sondereinheit auf der Insel Cebu. Seiner Einheit sind drei Büros und neun Offiziere unterstellt. Er ist für 38 Städte auf den Philippinen zuständig und kooperiert mit Strafverfolgungsbehörden aus aller Welt. Täglich werden zugespielte Informationen überprüft, eigene Undercover- Ermittlungen durchgeführt und Durchsuchungsbefehle beantragt. Der Schritt in das Assessment-Zentrum krönt die harte, anspruchsvolle Arbeit der Einheit.

Das Assessment-Zentrum in der Stadt Cebu ist eines von landesweit lediglich zwei Einrichtungen, in der sich Experten ein genaueres Bild vom Missbrauch des jeweiligen Kindes machen sollen. «Optimalerweise soll das Assessment der Kinder die Dauer von zwei Wochen nicht überschreiten», berichtet Leiterin Antipala. Danach bekommen die Kinder mit etwas Glück einen Platz in einem der privaten oder staatlichen Rehabilitationszentren, die es auf den Philippinen gibt. Manche Kinder, insbesondere Jungen, bleiben allerdings länger hier. «Für sie gibt es bislang keine Nachsorge», sagt Antipala.

Noch nicht einmal Dreijährige werden vor Kameras zu sexuellen Akten mit ihren Geschwistern gezwungen

Was als Assessment bezeichnet wird, folgt einem vorgegebenen Muster: Zunächst findet ein 45-minütiges Gespräch mit dem betroffenen Kind statt. «Einige Opfer reden unmittelbar vom Missbrauch. Andere, insbesondere die Jüngeren, begreifen nicht wirklich, was mit ihnen geschehen ist», berichtet die Sozialarbeiterin des Zentrums, Brenda B. Abilo. Auch erzählten die Kinder nicht immer die Wahrheit. Denn es ist eine Wahrheit, die schwer zu ertragen ist. Die Wahrheit ist: Noch nicht einmal dreijährige Kinder werden vor laufender Kamera zu sexuellen Akten mit ihren Geschwistern gezwungen. Kleinkinder – Mädchen wie Jungen – müssen mit der Mutter oder Tante die Fantasien der Männer hinter dem Bildschirm ausleben. Kleine Mädchen müssen den Penis des Bruders in den Mund nehmen. Oder auch – in einem besonders schlimmen Fall – vor laufender Kamera ihr eigenes Grab schaufeln.

Dem Erstgespräch folgt eine Fallkonferenz. An dieser nehmen Vertreter der Sonderkommission der lokalen Polizei, auf Cybersexprostitution spezialisierte Anwälte und ein für den Fall zuständiger Sozialarbeiter des Ministeriums für Soziale Wohlfahrt und Entwicklung teil. Sie stufen den Grad des Missbrauchs ein und versuchen, für das betroffene Kind eine geeignete Nachsorgeinstitution wie das Good Shepherd Home in den Bergen Cebus zu finden. Zuletzt untersucht eine Ärztin das Kind. Erst seit Kurzem, berichtet Sozialarbeiterin Abilo stolz, gibt es im ersten Stock einen gesonderten ärztlichen Untersuchungsraum. Bei gravierenden Verletzungen, zum Beispiel im Genitalbereich, überweist die Ärztin die Kinder ins lokale Spital; meist litten sie jedoch ausschliesslich unter Blasenentzündungen, sagt Abilo. Urologische Probleme durch sexuellen Missbrauch, verursacht durch anhaltenden Stress und muskuläre Spannung, seien häufig.

Jennie Endriga kann sich an ihre inneren Verletzungen nicht mehr erinnern, die sie bei ihrer Ankunft im Good Shepherd Home hatte. Vielleicht will sie es auch nicht. Was sie zeigt, sind ihre vielen kleinen Schnitte an beiden Unterarmen. Andere wolle sie nicht verletzten, sagt sie mit Bestimmtheit. Nur sich selbst. Das Trauma des Geschehenen zeigt sich bei vielen Opfern an einer starken Tendenz, sich selbst Leid zufügen zu wollen. Selbstverletzungen zählen zu den häufigsten Folgen für die mentale Gesundheit der Opfer, sagt Rose Basence, Therapeutin im Victoria Children’s Home, einer anderen Rehabilitationseinrichtung für Missbrauchsopfer in der Stadtgemeinde Subic im Norden der Philippinen. «Auch Depressionen und aggressive Episoden gegenüber anderen kommen oft vor», fügt sie hinzu. Häufig herrsche in Einrichtungen für Missbrauchsopfer eine aufgeladene Stimmung, ohne dass die Mädchen genau benennen könnten, was geschehen ist.

Zum Trauma des Geschehenen kommt zusätzlich das Trauma der Rettung. Dieses zweite Trauma, erklärt Sozialarbeiterin Amazing Grace Salitrero, die für die auf OSEC-Opfer spezialisierte C.U.R.E. Foundation auf den Visayas arbeitet, offenbare sich am Schock der Kinder über die Trennung vom Ort, an dem sie sich einst so sicher fühlten. «In achtzig Prozent der Fälle befinden sich die Mittäter für ein solches Verbrechen in der Familie der Mädchen», erläutert der Holländer Bart van Oost, der gemeinsam mit seiner Frau die in den Bergen Cebus gelegene C.U.R.E. Foundation leitet. «Denn meist ist die Mittäterin die Mutter der Kinder», berichtet van Oost.

Viele Mütter von Missbrauchsopfern sind van Oost zufolge selbst in jüngeren Jahren missbraucht worden. Das Gefühl für Normalität sei ihnen früh abhandengekommen. Auch seien Mütter in der philippinischen Gesellschaft oft diejenigen, die das Geld für die Familie aufbringen müssen, so van Oost. Oft hielten die Ehen im katholischen Land trotz Verbots einer Scheidung nicht lang. Der Mann sucht sich eine andere Partnerin und gründet mit ihr eine neue Familie. Die Frau bleibt mit dem gemeinsamen Nachwuchs allein zurück. Oft ohne Unterhalt. «Für viele geht es um das nackte Überleben», weiss van Oost aus seinen Jahren auf dem Archipel.

Oft ist die Mutter des Kindes, manchmal eine ganze Gemeinde in das «Geschäft» involviert

Jen Jen ging es nicht um Geld, als sie begann, sich vor der Kamera auszuziehen. Auch hatte ihre Mutter – anders als in vielen anderen Fällen – nur indirekt mit dem späteren Missbrauch zu tun: sie machte sich, als das Mädchen nur wenige Jahre alt war, aus dem Staub. Die erste grosse Enttäuschung im Leben eines noch jungen Menschen. Nach dem Tod der Grossmutter, der einzigen Person in Jen Jens Leben, die ihr – so scheint es – das Gefühl von Selbstwert vermittelte, schien sich die Abwärtsspirale nicht mehr aufhalten zu lassen. Manchmal ist nicht nur die Mutter der Missbrauchsopfer, sondern eine ganze Gemeinde in das «Geschäft» involviert, weiss John Tanagho. Tanagho leitet seit mehr als fünf Jahren das Büro von IJM in Cebu-Stadt. Seine Organisation ist nicht nur den Tätern aus aller Welt auf der Spur, hilft bei der Rettung von Opfern und versucht die Nachsorge von Kindern wie Jen Jen zu verbessern.

Die Philippinen als Hotspot für Cybermissbrauch

Sie versucht auch Erklärungen dafür zu finden, warum die Philippinen zum globalen Hotspot für Cybermissbrauch von Minderjährigen geworden sind. Die Erklärungsansätze sind vielfältig: Internet World Statistics zufolge hat mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung – also mehr als 67 Millionen Filipinos – Zugang zum Internet. Web-Kameras sind günstig. Das Geschäft wirkt auf die breite Masse an ärmeren Menschen lukrativ. Pro «Show» erhalten die Vermittler Tanagho zufolge zwischen hundert und mehreren Hundert US-Dollar. Durch die auf den Philippinen allgegenwärtige Infrastruktur an Geldtransfer-Instituten wie Money Transfer oder Western Union können auch Personen ohne eigenes Bankkonto Geldüberweisungen entgegennehmen. Das Strafmass ist im Vergleich zu anderen Ländern weltweit gering.

IJM und die Sondereinheit der Polizei auf den Visayas sind Mitglied im 2019 entstandenen «Philippine Internet Crimes Against Child Center» in Manila. Ziel des Zentrums soll sein, die Arbeit aller an der Bekämpfung des Verbrechens tätigen Institutionen zu bündeln und zu koordinieren. Auch internationale Strafverfolgungsbehörden wie die australische und die britische Polizei sind Mitglied des Konsortiums. Bereits 2010 gründete die philippinische Regierung das «Inter Agency Council Against Child Pornography». Zu den Mitgliedern des nationalen Konsortiums zählen zahlreiche Ministerien des Landes sowie die International Justice Mission, Save the Children und Unicef.

Neue Technologien erschweren die Nachverfolgung

Trotz deutlicher Fortschritte im Kampf gegen Cybersexprostitution, Herausforderungen bleiben, beschreibt Tanagho: «Ständig gibts neue Technologien. Verschiedene Personen teilen sich eine IP-Adresse. Passwörter herauszubekommen bleibt ein Hindernis, die Zentren, in denen Geld aus aller Welt überwiesen werden kann, geben den Sender nicht bekannt, in Reha- Einrichtungen herrscht Personalmangel.» Leicht ist es nicht. Nicht nur das: Einrichtungen wie die, in der Jen Jen einen Platz erhalten hat, sind rar.

Landesweit gibt es nur einige wenige Einrichtungen, in denen Opfern von sexuellem Missbrauch gezielt therapeutische Hilfe angeboten wird. Die meisten der rund zehn namhaften Einrichtungen sind in privater Hand und werden, wie das Beispiel van Oost zeigt, von Ausländern geführt. Staatliche Einrichtungen sind überfüllt und unterbesetzt. Psychologen, die gezielt auf Traumabehandlung spezialisiert sind, kommen, wenn überhaupt, nur tageweise, berichtet Father Shay Cullen, der im Norden der Philippinen nah der Stadt Olongapo die Einrichtung PREDA aufgebaut hat, die unter anderem auch das Rehabilitationszentrum für Missbrauchsopfer Victoria Children’s Home betreibt.

«Manchmal will ich nicht aufwachen, weil das Träumen so schön ist»

Immerhin, seit etwa zwei Jahren existiert landesweit ein Manual, nach dem Psychologen und Sozialarbeiter bei der Behandlung der Opfer vorgehen können. «Trauma Informed Philippine Psychotherapy for Children and Adolescents» lautet der Titel des rund zwanzigseitigen Dokuments. Wissenschafter der kalifornischen Azusa-Universität haben es gemeinsam mit Wissenschaftern der Universität der Philippinen in Manila und der International Justice Mission – einer Menschenrechts- NGO – erarbeitet. In rund zwölf Sitzungen, so lautet die Vorgabe, sollen Sozialarbeiter und Psychologen im Gespräch mit den Mädchen herausfinden, was sie an das Geschehen erinnert, wie sie am besten damit umgehen können und wie sie sich künftig vor Übergriffen schützen.

Das finale Ziel solle sein, über das Trauma reden zu können, ohne den Schmerz immer wieder neu zu durchleben, erklärt Sozialarbeiterin Amazing Grace Salitrero. Jennie Endriga kann über das Geschehene reden. Sie wirkt klar, redet schnell. Wie stark der innere Schmerz dabei ist, lässt sich nur erahnen. Auf der Rückseite ihres schwarzen T-Shirts steht «I am precious» drauf – ich bin wertvoll. Ob sie sich wirklich wertvoll fühlt, weiss sie nicht. «Manchmal will ich nicht aufwachen, weil das Träumen so schön ist», erzählt sie später am Tag, als die Sonne schon langsam dabei ist unterzugehen. Sie träume dann von ihrer Grossmutter. «Sie sieht mich wie ich die Schule abschliesse. Und wie es mir gut geht.»

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Ein ausgepolstertes Zimmer, in dem Kinder schreien, um sich schlagen – oder einfach nur weinen dürfen.

2.

Kinder laufen oft aufgrund häuslicher Gewalt von ihren Familien weg und landen auf der Strasse, wo sie leichte Beute für Zuhälter und Menschenhändler werden.

3.

Nach ihrer Pensionierung zieht es viele ausländische Männer auf die Philippinen – wo sie dann Stammgäste sind in den örtlichen Bars.

4.

Eltern fehlt oft das Geld, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Bei Anlaufstellen von NGOs wie der Virlanie Foundation erhoffen sie sich Unterstützung.

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Zum Jubiläum eine heisse Girls-Challenge: 10-Jahr-Feier im Club Atlantis in Angeles City.

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Nicht im Spotlight: Das Leid vieler Mädchen.

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Das jüngste Kind im Rehabilitätszentrum für Missbrauchsopfer ist etwa fünf Jahre alt. Seinen Geburtstag kennt es nicht – weil seine Eltern ihn nie gefeiert haben.

8.

Marlene war fast ihre gesamte Kindheit lang Sex-Sklavin – heute engagiert sie sich für die philippinische PREDA-Stiftung, der auch sie ihre Rettung verdankt.