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Wie ich versuchte, mich meiner Spinnenphobie zu stellen

Wie ich versuchte, mich meiner Spinnenphobie zu stellen

Ihre Angst vor Spinnen macht unserer Autorin das Leben schwer. Sie beschliesst, sich ihrem achtbeinigen Angstgegner zu stellen: Drei Therapieansätze im Test.

Vor ein paar Jahren verbrachte ich einige Monate in einer europäischen Grossstadt. Das kleine Studio, in dem ich wohnte, war wunderschön, lichtdurchflutet. Es lag im Souterrain, davor ein grüner Sitzplatz, Schiebetüren. Fünf Minuten, nachdem ich meinen Koffer abgestellt hatte, entdeckte ich die erste Spinne, so gross wie meine Handfläche.

Jeden Tag sah ich mindestens drei auf dem Vorplatz oder in der Wohnung. Wenn ich nachts nach Hause kam und die Tür mit der Handy-Taschenlampe anleuchtete, um aufzuschliessen, krabbelten sie erschrocken in die Ritzen hinein.

Ich hatte Herzrasen, rief ständig verzweifelt meine damalige Freundin an. Ich schlief und lüftete nicht mehr. Ich befestigte Fliegengitter überall. Im Drogeriemarkt kaufte ich einen hochtoxischen Spinnenspray und vernichtete damit einige Exemplare so kaltblütig, dass ich mir selbst unheimlich wurde.

Ich habe Angst vor Spinnen, schon immer. Wenn ich von ihnen träume, springe ich im Schlaf auf, schalte das Licht an und schaue mich hyperventilierend um.

Der Gedanke, dass im nächsten Moment eine Spinne auf meinem Körper oder auch nur in meinem Blickfeld auftauchen könnte, verfolgt mich vor allem in besonders verletzlichen Momenten, vor dem Einschlafen oder unter der Dusche.

Bilder von Spinnen, die ironischerweise häufig in Artikeln über die diesbezügliche Phobie zu finden sind, gehen mir tage- und nächtelang nicht aus dem Kopf. Obwohl ich weiss: Spinnen sind in unseren Breitengraden komplett ungefährliche Tiere, die mir nichts Böses wollen.

Ein Experiment

Ich möchte ein Experiment wagen und mich meiner Angst stellen, die mich nervös, unselbstständig und unglücklich macht. Es kostet mich Energie, jeden Balkon, jedes Treppenhaus, jeden Garten nach potenziellen Feindinnen abzusuchen. Dazu kommt: Diesen Herbst verreise ich wieder für einige Monate allein.

Meine Unterkunft dieses Mal ist ein Zimmer in einem alten Haus am See. Ein Traum für Spinnen! Ich möchte nicht, dass jeder Aufenthalt ausserhalb meiner Stadtwohnung im dritten Stock zur Staatsaffäre wird.

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"Die Spinne ist zu einer Art kultureller Gegenspielerin für uns geworden, die für alles steht, wovor wir uns fürchten und ekeln"

Also lasse ich mich hypnotisieren, gehe zur Gruppentherapie und werde mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille selbst zur Spinne. Ich versuche, Empathie zu entwickeln: mit der Spinne, mir selbst und anderen Phobiker:innen, die oft verspottet werden – was das Gefühl von Hilf losigkeit und Kontrollverlust übrigens verstärkt, wie mir eine Psychologin später sagen wird.

Gemäss Zahlen des Universitätsspitals Zürich sind rund 15 bis 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung im Verlaufe ihres Lebens mindestens einmal von einer Angststörung betroffen. Spinnenphobie gehört mit Höhenangst und Klaustrophobie zu den häufigsten.

Sogar Babys zeigen Stressreaktionen

Warum haben so viele Menschen Angst vor genau diesen Tieren? Mögliche Erklärungen finde ich im Ratgeber «Keine Angst vor Spinnen» (Hogrefe Verlag, 2020). Eine argumentiert mit der Evolution: Spinnen und Reptilien leben seit Millionen von Jahren mit uns zusammen und waren für unsere Vorfahren gefährlich. Deshalb lösen sie bei vielen Menschen einen automatisierten Angstreiz aus. Dafür spricht, dass schon Babys neurologische Stressreaktionen zeigen, wenn sie Bilder von Spinnen sehen.

Eine andere Erklärung: In unzähligen Filmen und Büchern sind Spinnen heimtückische Monster («Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf, «Harry Potter», «Herr der Ringe»), sie stehen für Zerfall, Tod, Gift. Durch diese jahrhundertelange schlechte Presse ist die Spinne zu einer Art kultureller Gegenspielerin für uns geworden, die für alles steht, wovor wir uns fürchten und ekeln.

Ein Beispiel dafür zeigt sich in der Taufe der berüchtigten Nosferatuspinne: Die bekam ihren Namen, weil die Zeichnung auf ihrem Rücken angeblich an einen Vampir erinnert. Als wollte man signalisieren: Dieses Tier ist ein Dämon. (Dabei, das werde ich später von einer Biologin lernen, ist sie weder gefährlicher noch aggressiver als andere einheimische Spinnenarten.)

Der hypnotische Zustand als Schlüssel

Ich habe das Gefühl, in tiefere Schichten meiner Psyche abtauchen zu müssen, um meiner Angst zu begegnen. In die, auf die ich selbst keinen Zugriff habe. Also besuche ich die zertifizierte Hypnotherapeutin Fatimah Saehrendt.

In ihrer Praxis in Bern erklärt sie mir, Hypnose sei kein fremder Zustand: «Wir erleben ihn in Tagträumen, vor dem Einschlafen, immer, wenn wir versunken in eine Tätigkeit sind», sagt sie.

Meine Angst vor Spinnen liege im Unterbewusstsein, und um das zu erreichen und zu verändern, sei der hypnotische Zustand der Schlüssel. Also platziere ich mich auf einer bequemen Liege, Saehrendt sitzt auf dem Stuhl neben mir.

Bevor die Hypnose beginnt, fragt Saehrendt mich, ob ich mit Plastikspinnen umgehen könne. Ich antworte «nja-jein», rückblickend betrachtet: ein Fehler. Denn jetzt zieht Saehrendt eine fürchterliche Plastikspinne aus ihrer Hosentasche. Ich zucke zurück, und sie packt sie rasch wieder weg. «Nach der Hypnose wird das leichter sein», sagt Fatimah Saehrendt.

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"Es sind Tiere wie alle anderen auch, und du hast keine Angst mehr vor ihnen. Sie sind dir egal"

Fatimah Saehrendt, Hypnosetherapeutin

Während sie mich mit Atem- und Entspannungstechniken in eine sanfte Trance redet, habe ich Angst, die Spinne in ihrer Tasche wäre Teil eines überraschenden Hypnosetricks. Je weiter ich in den Halbschlafzustand rutsche, desto grösser wird diese Angst.

Als Fatimah Saehrendt merkt, wie angespannt ich bin, schaffe ich es, zu sagen: «Ich habe Angst, dass Sie mich mit der Plastikspinne erschrecken». Meine Stimme klingt schläfrig und als wäre ich betrunken, was mich überrascht.

Fatimah Saehrendt antwortet sofort, dass sie so etwas niemals tun würde. (Als ich später aus meinem Zustand in die Realität zurückkehre, ist es mir peinlich, dass ich ernsthaft Angst davor hatte, eine ausgebildete Hypnotherapeutin würde mich wie in einem Teenie-Film mit einer Plastikspinne erschrecken.)

Nachdem wir das Missverständnis geklärt haben, bin ich entspannter. Gegen Ende soll ich meine Augen in regelmässigen Abständen öffnen und schliessen. Während ich sie geöffnet habe, bewegt Saehrendt Zeige- und Mittelfinger in schnellen Bewegungen vor meinem Gesicht hin und her und ich muss ihnen mit den Augen folgen.

Hirnregionen neu verknüpfen

Sie spricht davon, wie ich Spinnen begegne – und ihnen gleichgültig gegenüberstehe: «Es sind Tiere wie alle anderen auch, und du hast keine Angst mehr vor ihnen. Sie sind dir egal.» Die Übung mit den Finger- und Augenbewegungen stammt aus einer Form der Traumatherapie namens EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Sie soll Hirnregionen neu verknüpfen, negative Erfahrungen neu besetzen.

Nach der Hypnose fühle ich mich gelöst, aber auch erschöpft. Ich frage Fatimah Saehrendt, ob ich die Plastikspinne nochmal sehen darf. Sie zieht sie aus ihrer Hosentasche und legt sie mir vorsichtig auf die Hand. Ich schaue sie an. In mir passiert nichts. Ich bin völlig ruhig.

Auf dem Weg nach Hause schreibe ich in den Gruppenchat mit meinen zwei Mitbewohnerinnen folgende Nachricht: Ich bin völlig fertig, habe es aber geschafft, eine Plastikspinne auf der Hand zu halten.

Saehrendt meinte zu mir beim Abschied, ich solle möglichst bald einer echten Spinne begegnen, damit mein Unterbewusstsein das Gelernte anwenden kann. In den kommenden Wochen bleibe ich jeweils ein paar Sekunden stehen, wenn ich die Tiere an einer Hausfassade, in einer Unterführung, am Flussufer sehe. Ich atme tief durch und sage mir: Sie sind egal.

Angstträume habe ich aber immer noch. In offensichtlichem Widerspruch zu Fatimah Saehrendts Gleichgültigkeits-Programmatik denke ich jetzt, natürlich allein schon wegen dieses Textes, mehr denn je über Spinnen nach.

Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich in fast hypnotischem Zustand (!) durch Wikipedia-Artikel über verschiedene Spinnenarten klicke, die Brasilianische Wanderspinne, die Riesenvogelspinne, weil ich glaube, dass das Wissen mir Kontrolle und somit Sicherheit gibt. Irgendwann stelle ich fest, dass ich am Abend nach solchen Tagen jeweils besonders schlecht einschlafen kann.

Kurs mit Spinne

Der «Grundkurs Spinnenangst», den ich einige Wochen später besuche, findet am Psychotherapeutischen Zentrum der Universität Zürich statt, im schicken Zürichberg-Quartier. Wir – sieben Frauen, ein Mann, zwei Kursleiterinnen – schreiben mit Edding unsere Namen auf Blätter, falten sie und stellen sie vor uns auf.

Die Leitung des Kurses übernehmen Jana Spranger, Biologin, und Corina Passini, Psychologin und Psychotherapeutin. In der Einführung erklärt Passini, dass der ganze Raum vorher nach Spinnen abgesucht worden sei und es keinerlei Überraschungseffekte gebe.

Wir Teilnehmer:innen tauschen erleichterte Blicke. Passini sagt: «Das grösste Hindernis habt ihr bezwungen, indem ihr überhaupt hier seid.» Die Kurse finden alle paar Monate statt, und bei jeder Durchführung komme es vor, dass einzelne angemeldete Personen nicht teilnehmen.

Zuerst erzählen wir der Reihe nach, warum wir uns gerade jetzt mit unserer Angst auseinandersetzen wollen. Eine wurde von ihrem Freund hergeschickt, einer ist vor Kurzem in eine Erdgeschosswohnung gezogen. Eine hat Angst, dass sie beim Autofahren eine Spinne entdeckt und vor Schreck einen Unfall baut.

"Wir schwitzen alle wahnsinnig. Immer wieder atmet jemand tief ein und aus"

Corina Passini erklärt uns die so genannte Angstkurve: Wenn wir der Spinne begegnen, steigt die Angst zuerst steil an. Wir bekommen Schweissausbrüche und wollen kämpfen («Ich muss das Ding töten!»), flüchten («Ich muss das Haus, die Stadt verlassen!») oder erstarren («Die Spinne wird mich angreifen und ich kann nichts tun»). Wenn wir es schaffen, diesen Moment auszuhalten und nicht auf der Höhe der Angst auszusteigen – den Raum zu verlassen, Hilfe zu holen –, entspannt sich der Körper irgendwann wieder.

Das Programm für den Nachmittag ist eine schrittweise Annäherung an die Tiere. Jede Person geht so weit, wie sie möchte: Wir schauen uns Fotos an, dann tote Spinnen, zuletzt eine einzelne Zitterspinne und eine Winkelspinne in einer Box.

Sie rät uns, präsent zu bleiben, die Angst zuzulassen. Und für die Begegnung mit Spinnen im Alltag rät sie, den Prozess zu verlangsamen: Erst das Glas drüber. Dann durchatmen, Pause machen. Den Karton erst später drunter schieben

Spinnen sind Einzelgängerinnen

Die Biologin Jana Spranger erzählt uns, Spinnen seien wahnsinnig wichtig für unser Ökosystem, da sie unter anderem Insekten fressen, die Krankheiten auf den Menschen übertragen können. Sie sind Einzelgängerinnen, das heisst, wir können nicht von einer Spinne im Haus auf die Präsenz ganzer Horden schliessen.

Ausserdem beruhigend: Die zierliche Zitterspinne, die oft an Zimmerdecken hängt und relativ harmlos aussieht, kann die zwei grössten Spinnenarten der Schweiz, die Winkel- und Nosferatuspinnen, töten. Und: Spinnen sind sehr saubere Tiere. Man kann beobachten, dass sie sich nach Berührungen mit Menschen sorgfältig putzen.

Nachdem wir uns Bilder (riesig auf DIN A3!), tote Spinnen und eine feingliedrige, lebende Zitterspinne angeschaut haben, bringt Corina Passini in einer kleinen, mit Moos und Grünzeug gefüllten Box eine lebendige Winkelspinne – schwarzbraun gemustert, daumennagelgrosser Körper, Durchmesser einer Kaffeetasse – namens Oma herein. Jana Spranger öffnet die Box und entlässt Oma in eine nach oben hin offene Plastikkiste auf einem Tisch in der Mitte des Raums.

Den Namen trägt sie offenbar wegen der grossen Zahl ihrer Nachkommen, worüber ich lieber nicht zu viel nachdenken möchte. Jedes Mal, wenn Oma versucht, die Wand der Kiste hinaufzuklettern und zu entfliehen, mache ich einen Sprung. Dann lenkt Spranger sie sanft mit einem Stück Karton wieder in die Box zurück. Wir schwitzen alle wahnsinnig. Immer wieder atmet jemand tief ein und aus.

Die Fressfeinde der Winkelspinne, erklärt Spranger, während Oma hektische Runden in der Kiste dreht, sind unter anderem Vögel. «Wenn ihr sie fangen wollt, versucht, euch möglichst nicht vogelartig zu verhalten, also keine hektischen Bewegungen zu machen, keinen Wind erzeugen, keine Schatten über die Spinnen fallen lassen», sagt Spranger, «sonst gerät sie in Panik und bewegt sich schneller.» Die Faustregel: Wenn wir uns ruhig bewegen, ist auch sie ruhiger.

Wir werden ermutigt, Oma mit einer Plastikschachtel und einem Stück Karton einzufangen. Als ich es versuche, klebt sie gerade an der inneren Kistenwand. «Sanft herunterschubsen», rät Spranger mir, «sie läuft immer weg von der Berührung, also tipp sie am besten oben an.» Ich erschaudere, als ich mich Oma nähere.

Mit dem Karton stupse ich sie an, und als sie sich bewegt, versuche ich hektisch, die Schachtel über sie zu stülpen. «Langsam», ermahnt Spranger mich gutmütig, «denk daran, nicht wie ein Vogel zu sein».

Also versuche ich, mit Gänsehaut und pochendem Herzen jede Bewegung in Zeitlupe auszuführen: Oma nochmals anstupsen, warten, bis sie auf dem Boden der Kiste gelandet ist. Die Schachtel über sie stülpen. Auf der Seite anheben, die am weitesten weg von ihr liegt. Den Karton sanft unten durchschieben, bis sie draufklettert. Schachtel gut festhalten, daran denken: Spinnen haben nicht die körperlichen Fähigkeiten, unter dem Rand durchzukrabbeln.

Als ich es geschafft habe und Oma durch das Plastik betrachte, fühlt sie sich fast an wie meine Komplizin in einer Challenge, die wir gemeinsam bewältigt haben. Eine Teilnehmerin macht ein Foto von mir mit der Spinne. Vorsichtig, fast zärtlich entlasse ich sie zurück in die Kiste.

Ich, die Spinne

Die nächste Station meiner Reise in die Welt der Spinnen führt mich einige Tage später in einen dunklen Wald. Ich sitze auf einem Baum und sehe vor mir zwei von meinen insgesamt acht langen, haarigen Beinen. Ich krabble über die holprige Rinde, komme aber nur umständlich voran.

Ich höre Zirpen und Knistern, Waldgeräusche. Es ist Nacht. Ich spüre Windstösse auf mir, und als ich mich zu den Luftströmen umdrehe, sehe ich vor mir einen Nachtfalter herumschwirren, den ich gerne verspeisen möchte. Ich versuche ihn zu schnappen, doch ich bin zu langsam, er fliegt mir davon.

"Es ist schön, dass es Tiere gibt, die wir nicht auf Anhieb verstehen"

Barbara Schuler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Ich nehme die Virtual-Reality-Brille ab und befinde mich in einem kühl beleuchteten Seminarraum an der Zürcher Hochschule der Künste. Ich sitze auf einem Drehstuhl, um mich herum stehen Ventilatoren.

Was ich gerade als Test-Besucherin erlebt habe, ist eines von 17 «digitalen Experimenten», die in der Sammelausstellung «Museums of the Future» seit Ende August 2025 im Museum für Gestaltung Zürich zu sehen sind. Das Experiment heisst «Spinne sein».

Bevor ich die Brille aufsetzte, zeigte mir die Initiantin des Projekts, die Designerin Barbara Schuler, auf einem Bildschirm einen kleinen Film über die Spinne, die ich gleich sein würde. Sie heisst Vierfleck-Zartspinne und lebt auf Bäumen. Sie ist, inklusive Beine, nur drei Zentimeter klein (sympathisch!) und kann ihre Beute via Sprung fangen (weniger sympathisch). Ihren Namen hat sie vom charakteristischen Muster auf dem Hinterleib.

Barbara Schuler arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule der Künste im Bereich Knowledge Visualization. Das bedeutet, sie befasst sich damit, wie wissenschaftliche Inhalte visuell erzählt werden können – zum Beispiel mit Hilfe von Virtual Reality. Ihr Projekt «Spinne sein» hat sie mit einem Team unter der Leitung von Niklaus Heeb, Leiter der Fachrichtung Knowledge Visualization, und in Zusammenarbeit mit Umweltpsycholog: innen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften entwickelt.

Barbara Schuler liebt Spinnen. Als sie eine Nosferatuspinne bei sich zu Hause entdeckte, ging sie erstmal richtig nahe ran und machte ein Foto. Danach lebten die beiden friedlich zusammen. Sie fände es schön, sagt sie, dass es Tiere gäbe, die wir «nicht auf Anhieb verstehen, an denen wir uns reiben, die uns herausfordern». Ich schreibe mir den Gedanken auf: die Spinne als kultureller Gegenspieler, aber diesmal auf positive Art?

Auf die Idee zu ihrem Projekt kam Schuler, weil sie ständig Nachrichten zum Artensterben und der Biodiversitätskrise las. «Solche Zahlen und Fakten allein vermitteln keine Empathie. Wenn wir nichts über die Tiere wissen, die aussterben, warum sollten wir uns für sie einsetzen?»

Ich denke an süsse bedrohte Wildbienen, die Pflanzen bestäuben. Schuler spricht weiter: «Für Bienen beispielsweise setzen sich schon viele Leute ein. Ich wollte für ein Tier sensibilisieren, das uns nicht auf den ersten Blick sympathisch ist – das aber genauso unter dem Verlust seiner Lebensräume leidet.»

Hört das Herzrasen irgendwann auf?

Es ist Hochsommer. Nachts reissen meine Mitbewohnerinnen und ich die Balkontür und alle Fenster unserer Dreizimmerwohnung auf. Spinnen kommen rein, klar. Ich versuche, cool zu bleiben. Aber dann entdecke ich eine beim Staubsaugen hinter meiner Heizung, direkt neben meinem Bett. Ich schaffe es nicht, Glas und den Karton zu holen, sondern reagiere aus Reflex. Ich sauge die Spinne ein und schäme mich.

"Wenn wir die Angstkurve oft genug durchmachen und merken, dass nichts Schlimmes passiert, kann es besser werden"

Corina Passini, Psychologin

Ich telefoniere nochmals mit Corina Passini, der Psychologin aus dem Grundkurs Spinnenangst. Ich frage sie: Hört das Herzrasen irgendwann auf? «Wenn wir die Angstkurve oft genug durchmachen und merken, dass nichts Schlimmes passiert, kann es besser werden. Aber es dauert, und man muss dranbleiben», sagt Passini.

Wenn ich es also regelmässig schaffe, Spinnen zu begegnen, sie nach draussen zu bringen, zu erleben, dass ich die Kontrolle über die Situation habe und ihr nicht ausgeliefert bin – dann gerät mein Körper beim Anblick der Spinne irgendwann nicht mehr so sehr in Aufruhr.

«Bei Spinnen wird der Lerneffekt erschwert dadurch, dass sie überraschend auftauchen können. Aber Erschrecken und eine Phobie sind nicht das Gleiche. Die wichtige Frage ist, ob man sich nach dem Erschrecken wieder beruhigen kann», sagt Passini. Ich notiere mir: Erschrecken ist okay.

Dann habe ich noch eine andere Frage: Stimmt es, dass mehr Frauen als Männer sich vor Spinnen fürchten? Aus dem Kurs könne sie den Eindruck bestätigen, antwortet Passini, das Verhältnis von Männern zu Frauen sei dort meist etwa 9:1. Sie erklärt: «Gründe für die Entstehung einer Phobie sind komplex und bei jeder Person unterschiedlich.

Typischerweise orientieren sich Kinder stark an ihren Eltern, teils identifizieren sie sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil und erlernen das entsprechende Angstverhalten von ihnen.» Was dazukommt: Für Frauen sei es gesellschaftlich viel akzeptierter, über eigene Ängste und Probleme zu sprechen. Vermutlich gebe es also eine unbekannte Dunkelziffer von Männern, die Angst haben, das aber nicht nach aussen hin zugeben.

Für den weiteren Umgang mit meiner Angst rät mir Passini, mich nicht zu überreizen (Stichwort: Wikipedia). Um Angst zu überwinden, muss man sich mit ihr beschäftigen. Aber vermutlich, denke ich jetzt, auch nicht zu sehr. Vielleicht ist es ein wenig wie bei Liebeskummer, irgendwann muss man sich vom Objekt des Schmerzes und der Obsession lösen. Oder wie Fatimah Saehrendt mir während der Hypnose sagte: Die Tiere sind egal.

Die Zitterspinne soll bleiben

Am gleichen Abend entdecke ich in unserer Küche eine fragile Zitterspinne. Mir fällt ein, was ich im Grundkurs gelernt habe: Zitterspinnen können grössere Spinnen töten! Ich weiss, dass meine Mitbewohnerinnen das Tierchen aus Rücksicht auf mich sofort entfernen würden, wenn sie es sehen.

Deswegen schreibe ich in unseren WG-Chat: Können wir die Zitterspinne, die in der Küche hängt, behalten? Eine meiner Mitbewohnerinnen reagiert mit dem Emoji, das Tränen lacht. Was ist denn mit dir passiert, fragt die andere zurück. Nun, tippe ich, ich vertraue dem Prozess.

Die Virtual-Reality-Experience «Spinne sein» ist noch bis 1. Februar im Rahmen der Ausstellung «Museums of the Future. 17 digitale Experimente» im Museum für Gestaltung Zürich zu sehen.

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