
Wie ist es eigentlich, mit über 40 den Führerschein zu machen?
Ein Krankenhausaufenthalt ihrer Mutter bewegte Autorin Theresa Bäuerlein dazu, mit 43 den Führerschein zu machen. Wirklich gern Auto fährt sie aber nicht.
- Von: Theresa Bäuerlein
- Bild: Stocksy
Es fing damit an, dass meine Mutter mir auf Whatsapp schrieb, sie sei für eine «kleine Herzoperation» im Krankenhaus. Ich fiel aus allen Wolken, sie meinte, ich solle mir keine Sorgen machen. Ein Freund würde sie abholen. Meine Mutter ist über achtzig. Ich fand, eigentlich hätte ich sie abholen sollen. Noch wütender war ich auf mich selbst, weil ich das gar nicht gekonnt hätte, denn: Ich besass keinen Führerschein. In dem Moment wurde mir klar, dass ich das ändern musste.
Ich habe mein Leben in Grossstädten verbracht. Deswegen habe ich selten bereut, nicht autofahren zu können. Richtig schade fand ich es nur einmal: Als ich mit einer Freundin im VW-Bus die Pazifikküste in Kalifornien entlangfuhr und nie selbst ans Steuer konnte. Ich fühlte mich in der Rolle der ewigen Beifahrerin gefangen.
Zwei Monate nach dem Krankenhausaufenthalt meiner Mutter sitze ich im Nothelferkurs. Alle Anwesenden sollen Name und Alter sagen. «Ich bin Jonas und 18 Jahre alt», «Ich bin Tina und bin 17». Dann ich: «Ich bin Theresa und, äh, bin 43.» Die Teenager nicken freundlich. «Macht ja nichts», sagt Tina. Ich fühle mich wie ein ausgestopfter Elch in einer Herde junger Rehe.
"In meinem Kopf setzte sich fest: Es kann jederzeit knallen"
Vor mehr als zwei Jahrzehnten habe ich es schon einmal versucht und die Ausbildung abgebrochen. Ich habe Angst vor dem Autofahren, und bisher konnte mir noch niemand überzeugend erklären, dass ich damit falsch liege. Wer am Leben bleiben will, ist statistisch gesehen im Vorteil, wenn er Autos fernbleibt. Als Teenager hatte ich mehrere Unfälle mit meinem damaligen Freund, der immer zu schnell fuhr.
Verletzt wurde niemand ernsthaft. Aber in meinem Kopf setzte sich fest: Es kann jederzeit knallen. Jahrelang haben meine Füsse als Beifahrerin noch instinktiv mitgebremst. Diese Angst legte sich irgendwann; die vor mir selbst am Steuer blieb.
Als wir im Nothelferkurs im Takt von «Stayin’ Alive» an einer Puppe Herzdruckmassage üben, ist mir nicht klar, dass dies der grösste Spass ist, den ich während der Ausbildung haben werde. Den Rest der Zeit verbringe ich fluchend, etwa über die gefühlt 9000 Strassenschilder, die ich auswendig lernen muss. «Du bist keine 18 mehr, da funktioniert das Gehirn anders», konstatiert eine Freundin pragmatisch.
Daran denke ich jedes Mal, wenn ich in den Fahrstunden eine Vorfahrt übersehe. Wer kam eigentlich auf die Idee, dass es eine gute Idee sein könnte, mit drei kleinen Spiegeln abzuschätzen, ob man den Fahrstreifen wechseln kann, während von hinten Autos mit hundert Sachen heranbrausen?
Vor der praktischen Prüfung male ich mir Katastrophen aus, von falsch gesetzten Blinkern bis zum Auffahrunfall. Nichts davon passiert. Ich fahre einfach. Mittelgut, aber offenbar gut genug, dass der Prüfer am Ende sagt: «Ja, passt.» Ich kann es kaum glauben: Ich habe den Führerschein. Der Fahrlehrer macht ein Foto mit mir vor dem Fahrschulauto.
Gern fahre ich immer noch nicht. Aber: Letzten Sommer war ich wieder entlang der Pazifikküste unterwegs. Diesmal sass ich selbst am Steuer. Und das fühlte sich sehr, sehr gut an.