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Gemüsezucht ohne Licht? Dieses Start-up revolutioniert das Indoor-Farming

Gemüsezucht ohne Licht? Dieses Start-up revolutioniert das Indoor-Farming

Wie wird unser Ernährungssystem zukunftsfähig? Ein Start-up aus New York hat eine radikale Idee: Pflanzen, die komplett ohne Licht wachsen – möglich dank moderner Indoor-Farming-Technologie.

Pflanzen brauchen zum Wachsen vor allem eines: Licht. Ein Start-up aus New York City und Forschende der Universität von Kalifornien entwickeln nun eine Methode, um Pflanzen im Dunkeln gedeihen zu lassen. Ganz ohne Beigeschmack ist der Ansatz nicht. Denn um die Photosynthese auszuschalten, wird beim Saatgut vorab die Genschere angesetzt.

Tobias Peggs ist dennoch überzeugt. Der 52-jährige Brite empfängt in einem Co-Working-Space in Brooklyn. Einst wurden auf diesem Werftgelände Kriegsschiffe gebaut. Jetzt arbeiten hier – inmitten von knallbunten Sesseln, viel Glas und offenen Stahlträgerkonstruktionen – zahlreiche Firmen zu Energiewende, nachhaltigen Materialien oder eben: revolutionären Anbaumethoden für die Landwirtschaft.

Peggs, selbst kein Landwirt, sondern Softwareentwickler und Experte für künstliche Intelligenz, ist Co-Gründer und Geschäftsführer der Firma Square Roots. Gemeinsam mit dem Unternehmer Kimbal Musk rief er sie 2016 ins Leben. Ihr Hauptgeschäft: alle Dienstleistungen rund um vertikale Farmen.

Bei dieser Methode werden Pflanzen statt draussen auf dem Feld in mehreren Etagen übereinander in einem Gebäude kultiviert. Anbau und Ernte sind dadurch losgelöst von äusseren Umweltbedingungen sowie ganzjährig auf kleiner Fläche und mit weniger Wassereinsatz möglich. Eine sparsame und gezielte Verwendung von Chemikalien schont zudem überdüngte Felder, Flüsse und Meere.

Schon jetzt wirkt sich die Klimakrise auf die Landwirtschaft aus. Steigende Temperaturen und mehr Extremwettereignisse beeinflussen das Pflanzenwachstum. Dürren, Überschwemmungen oder Hitzewellen führen häufiger zu Ernteausfällen. Geringere Erträge bedeuten höhere Lebensmittelpreise.

Auch deswegen liegen grosse Hoffnungen auf der vertikalen Landwirtschaft. Deren Vorteile – grössere Erträge, kürzere Transportwege und eine Schonung der Ressourcen – sind wissenschaftlich belegt. «Das Indoor-Farming ist aber kein Allheilmittel», betont Peggs. Es soll konventionelle Anbaumethoden wie einen Mosaikstein ergänzen.

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"Die Samen werden mithilfe der Genschere CRISPR-Cas9 so verändert, dass das Umschalten auf die Photosynthese ausbleibt"

Doch der Energieaufwand von vertikalen Farmen ist enorm, und das ist ein Knackpunkt für Budget und Klimabilanz: In den Gebäuden wachsen Pflanzen unter künstlicher Beleuchtung, denn die Photosynthese funktioniert am besten unter rotem und blauem Licht: dort sind die Erträge am grössten. «Die Folge: Etwa vierzig Prozent der Gesamtkosten für den Betrieb einer Indoor-Farm entfallen auf die Beleuchtung», sagt Peggs.

Würden die Pflanzen hingegen im Dunkeln wachsen, liessen sich diese Kosten einsparen. Somit könnte Vertical Farming auch in industrieschwächeren Ländern wirtschaftlich rentabel werden. Das traditionelle Landwirtschaftssystem werde in diesen Regionen durch Klimakrise und Bevölkerungswachstum besonders strapaziert, erklärt Peggs. Weniger Energie für die Beleuchtung bedeute ausserdem eine bessere Klimabilanz.

Square Roots, das unter anderem mit rund 4.4 Millionen US-Dollar von der Bill & Melinda Gates Foundation gefördert wird, erforscht die Dunkel-Methode hauptsächlich an der Gänserauke, auch Schotenkresse oder Acker-Schmalwand genannt. Sie ist ein Unkraut und für den Verzehr eigentlich zu bitter, doch in der Forschung gilt sie als Modellpflanze und ist entsprechend gut untersucht.

Aber können Pflanzen überhaupt im Dunkeln wachsen? Ja, denn das tun sie zu Beginn ihres Lebens sowieso, erklärt Tobias Peggs. Stecken die Samen noch unter der Erdoberfläche, nehmen sie die notwendigen Nährstoffe durch ihr Wurzelsystem auf. Erst wenn der Keimling durch die Oberfläche bricht, geht diese Fähigkeit verloren, und die Pflanze wandelt ihre Energie mittels Photosynthese um.

Diese anfängliche lichtunabhängige biochemische Funktion macht sich die Forschung zunutze: Die Samen werden mithilfe der Genschere CRISPR-Cas9 so verändert, dass das Umschalten auf die Photosynthese ausbleibt, und die Pflanzen ihre Nährstoffe dauerhaft über das Wurzelsystem aufnehmen.

Die Gänserauke ernährt sich von Acetat, einer essigähnlichen Flüssigkeit, die reich ist an kohlenstoffhaltigen Verbindungen, und die ihr über die Bewässerung zugeführt wird. «Als ich das erste Mal im Stockdunkeln in einer unserer Farmen stand, die Taschenlampe meines Smartphones angeschaltet habe und sah, dass die Pflanzen gut gewachsen sind, war ich völlig baff», erzählt Peggs.

Ein wenig dürre Kresse macht jedoch niemanden satt. Deshalb laufen bereits erste Experimente mit Tabak, einer Pflanze, die etwa so viel Biomasse produziert wie Salat. Inwiefern Nährwert und Geschmack vom lichtlosen Heranwachsen beeinflusst werden, lasse sich noch nicht sagen, erklärt Peggs. Da die Pflanzen alle notwendigen Nährstoffe über das Acetat bekommen, werde der Nährwert vermutlich derselbe sein. Beim Geschmack hingegen werde es komplizierter. Zudem müssen Textur, Morphologie und Ertrag zusammenpassen wie ein gutes Gericht. Langfristig will Peggs nährstoffreiche Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Maniok lichtlos produzieren.

Doch werden mindestens drei Jahre vergehen, bis Dunkel-Gemüse im Supermarkt erhältlich ist. Die Zulassung in den USA dürfte kaum Probleme bereiten. Da keine fremden Gene in die DNA der Testsamen eingepflanzt werden, sind die Hürden der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA relativ gering. In der Schweiz jedoch besteht bis Ende 2025 ein Moratorium für den Anbau von genveränderten Organismen, das gilt auch für die relativ neue Gen-Editierung.

Trotzdem: Gemäss eines Berichts des Marktforschungsinstituts Fortune Business Insights wird sich der gesamte Vertical-Farming-Markt bis 2032 fast verzehnfachen. Bleibt bloss noch abzuwarten, ob sich dabei auch die Dunkel-Produkte am Markt durchsetzen werden. Die grösste Herausforderung: Werden die Kund:innen Gemüse kaufen, deren Gene im Labor verändert wurden?

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