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Jimena (20):

Jimena (20): "Frauen entschuldigen sich für absolut alles"

Zum 8. März haben wir mit drei jungen Frauen aus der Schweiz über das Frausein gesprochen. Heute mit Jimena, 20, aus der Region Bern.

annabelle: Was beschäftigt dich gerade?
Jimena: Meine Berufswahl. Ich bin gerade im Propädeutikum, dem Vorbereitungsjahr für ein Kunststudium, und alle sind aktuell dabei, sich an Kunsthochschulen zu bewerben. Ich frage mich: Komme ich überhaupt rein an einer Kunstuni? Und was mache ich danach mit dem Studium? Zudem dauern die Bewerbungsprozesse lange, man wartet, alles ist ungewiss. Das überträgt sich auf mein Grundgefühl.

Kommt bei Gedanken über die Zukunft auch die Grundsatzfrage auf, was du mit deinem Leben machen möchtest?
Definitiv. Arbeit wird einen grossen Teil meines Lebens einnehmen und ich erlebe in meinem Umfeld viele Erwachsene, die nicht wirklich glücklich sind in ihrem Job. Das stimmt mich nachdenklich. Mir ist bewusst, dass meine aktuelle Entscheidung nicht für immer gelten muss und dass es auch später Möglichkeiten geben wird, sich zu verändern. Aber es ist trotzdem komisch, in der Situation zu sein, mich noch recht jung zu fühlen und dennoch schon Entscheidungen treffen zu müssen, die Auswirkungen auf den Verlauf meines Lebens haben.

Hängt das auch damit zusammen, dass dein Job auch Teil deiner Identität sein wird – oder denkst du, das trennen zu können?
Nein, überhaupt nicht, Kunst zu machen ist schon sehr mit mir als Person verbunden. Gerade weil nicht alle Menschen Kunst verstehen und respektieren. Besonders für ältere Generationen ist es schwer zu verstehen, dass ich etwas tun will, das mich glücklich macht und nicht zwingend reich. Da werde ich schon mit Vorurteilen konfrontiert. Die Leute haben direkt ein Bild von mir, wenn sie erfahren, was ich mache.

Schwingt da bei dir auch das Gefühl mit, dich beweisen zu müssen?
Ob ich gut genug bin, ist ein Gedanke, der bei vielem mitschwingt. Als ich angefragt wurde für dieses Interview war mein erster Impuls: Habe ich denn etwas zu sagen? Bin ich repräsentativ genug? Ähnliche Gedanken höre ich bei vielen Frauen raus. Bei Personen, die als Männer sozialisiert wurden, jedoch kaum. Das fällt mir auch beim Kunstmachen auf: Männer sind sich sehr sicher und schnell auf der Zielgeraden, während wir Frauen uns oft hinterfragen. Es frustriert mich, dass diese innere Stimme – ich nenne sie mal das Patriarchat – immer wieder sagt: Tja, vielleicht reicht es doch nicht.

In welchen Situationen hörst du diese innere Stimme?
Wenn ich zugeben muss, dass ich mal einen schlechten Tag habe. Oder in der Art und Weise, wie ich mich ausdrücke, da bin ich sehr vorsichtig. Ich fürchte schnell, zu grob, zu bossy zu wirken – statt stark und selbstsicher. Dann nehme ich mich zurück, wie viele in meinem Umfeld. Häufig höre ich auch, wie Frauen sich entschuldigen für absolut alles.

Wann ist dir das zum ersten Mal aufgefallen?
Selten in Momenten, in denen ich es unmittelbar erlebte – meist eher rückblickend. Im Gymnasium war ich in einem Umfeld, in dem wir oft über solche Themen diskutiert haben. Ich begann, Dinge zu hinterfragen, was mir in meiner Entwicklung sehr geholfen hat. Sah, was falsch lief – und läuft.

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"Ich bin froh, in dieser Umbruchsgeneration geboren zu sein. Dass ich den Wandel mitgestalten kann"

Was bedeutet es für dich heute, eine Frau zu sein?
Es ist kompliziert. Da herrscht ein Ungleichgewicht zwischen meinen Idealen und der Realität. Ich träume von einer Utopie, in der es keine Frauenquote braucht und sehe aber im Hier und Jetzt: Es braucht sie, ohne geht es nicht. Das ist ermüdend. Aber ich sehe auch, dass wir uns weiterentwickeln, wenn auch in Mini-Schritten. Und bin froh, in dieser Umbruchsgeneration geboren zu sein. Dass ich den Wandel mitgestalten kann.

Was müsste sich ändern, damit sich das Hier und Jetzt mehr deiner Utopie angleichen könnte?
Das Wort Ausgleich umfasst eigentlich alles: Ausgleich zwischen uns allen als Menschen, unabhängig von Herkunft, Aussehen, Geschlecht. Ausgleich zwischen uns und dem Planeten, wie wir mit Lebewesen umgehen, mit verschiedenen Kulturen. Und schlussendlich ein ausgeglichenes Leben. Das umfasst auch, wie wir arbeiten – auch da müssen wir mehr Ausgleich finden. Es kann doch nicht sein, dass wir uns alle zu Tode arbeiten und am Ende weder happy noch reich sind. Da macht der Kapitalismus viel kaputt.

Bist du aktivistisch?
Die Frage finde ich schwierig zu beantworten, in der Gymi-Zeit war ich recht viel aktiver. Aktuell geht es mir mehr darum, mich selbst weiterzubilden. Zuzuhören, auch mal Gespräche führen, die vielleicht nicht so angenehm sind, bei denen ich aber auch was lernen kann – danach wähle ich auch Literatur und Medien aus, die ich konsumiere. Und auch die Menschen, die ich nah an mich ranlasse, helfen mir, mich weiterzuentwickeln.

Bezeichnest du dich als Feministin?
Ja, definitiv.

Was bedeutet Feminismus für dich?
Wenn ich Feminismus definieren soll, kommt mir zuerst Intersektionalität in den Sinn. Der Fokus lag zu lange auf weissen cis Frauen. Women of Colour, Menschen mit Behinderung und nicht-hetero Frauen fehlte es an Aufmerksamkeit – genauso wie dem Fakt, dass es im Feminismus nicht nur um Frauen geht. Wir profitieren alle davon, ganz klar auch Männer. Es geht doch nicht darum, ein Matriarchat zu bilden, sondern ein neues Miteinander.

Was hast du von zu Hause mitgekriegt in puncto Selbstermächtigung?
Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Und meine zweitnächste Bezugsperson war mein Grosi. Ich habe sehr selbstständige Frauen erlebt. Ich wurde in viele Entscheidungen miteinbezogen. Als ich noch sehr jung war, fand ich es manchmal auch nervig – aber ich mochte auch das Gefühl, Verantwortung zu bekommen. Es hat mich darin bestärkt, ernstgenommen zu werden. Zum Beispiel hat meine Mutter jeden Abend mit mir besprochen, was wir Znacht essen wollen, statt einfach für mich zu entscheiden.

Welche Werte hat dir deine Mutter sonst noch mitgegeben?
Meine Mutter ist jemand, die sehr offen in die Welt schaut. Sie sagte schon in meiner Kindheit immer: "Wenn du dann mal einen Freund hast oder eine Freundin…", was ich erst im Nachhinein und im Vergleich mit anderen zu schätzen lernte. Damals war das für mich einfach normal.

Wie geht dein heutiges Umfeld mit Queerness um?
Mein Schutzschild ist sicher, dass ich als Frau, die sich feminin präsentiert, als hetero gelesen werde. Dadurch erlebe ich im Alltag kaum Diskriminierung. Ich spreche aber auch sehr ausgewählt über meine Queerness. In meinen Freundschaften ist es komplett normal – ich bin dann nicht die queere Freundin, sondern einfach eine Freundin. Was eher aneckt, ist, dass ich eine non-binäre Partnerperson habe. Das ist für viele auch sprachlich ein Hindernis und ich bin da sehr beschützend und vorsichtig, mit wem ich darüber spreche.

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"Männern die Welt zu erklären ist nicht mein Bildungsauftrag"

Hast du in anderen Situationen Diskriminierung erfahren?
Sexualisierung, von sehr jung an. Mit zehn oder elf fühlte ich mich zum ersten Mal auf eine negative Art sehr bewusst in meinem Körper. Ich war im Sommer mit meiner Mutter im Zug, weiss noch genau, welche Kleidung ich trug: kurze Shorts und ein T-Shirt. Der Mann vis-à-vis von mir hat mich die ganze zehnminütige Fahrt lang angestarrt. Da wurde mir klar, dass ich nicht mehr als Kind wahrgenommen werde von Männern. Und es wurde immer mehr, je älter ich wurde. Ich ziehe gerne kurze, farbige Kleider mit Ausschnitt an. Von Frauen kriege ich Komplimente, Männer schreien mir Kommentare nach oder laufen mir sogar hinterher. Und das Schlimme daran: Egal welcher Frau ich das erzähle, sie hat immer mindestens dasselbe oder sogar noch übergriffigeres Verhalten erlebt.

Sind das eher ältere Männer oder auch Gleichaltrige?
Oft Männer um die dreissig. Von Männern in meinem Alter werde ich kaum angesprochen – und wenn, dann meist respektvoller.

Wie erlebst du gleichaltrige Männer generell?
Die meisten meiner Freunde sind trans Männer oder queer. Mit cis hetero Männern habe ich wenig Austausch, auch weil ich es anstrengend finde, meine Werte immerzu erklären und verteidigen zu müssen. Natürlich sind Diskussionen wichtig, aber Männern die Welt zu erklären ist nicht mein Bildungsauftrag.

Wir haben vorher über deine Mutter gesprochen. Wie siehst du sie heute?
Sie ist meine engste Bezugsperson, immer noch. Sie ist mein einziges Elternteil, meine nächste Familie. Ich wohne auch noch zu Hause. Wir haben ein sehr schönes Verhältnis, ich kann recht offen mit ihr darüber reden, wie es mir gerade geht, wie es ihr geht. Aber das Thema Loslassen, Gehenlassen ist zurzeit sehr präsent – das kennen wohl viele Teenager mit ihren Eltern. Wir sind sehr auf Augenhöhe. Aber es gibt auch Momente, in denen ist sie ganz klar noch meine Mama und sehr behütend.

Kannst du deine Mutter auch als Frau sehen, losgelöst von ihrer Mutterrolle?
Ja, vor allem dann, wenn mir etwas nicht so positiv auffällt. Dann mache ich automatisch einen Schritt zurück und betrachte die Situation wie von aussen. Gerade wenn es ums Körperbild geht, weil ich da ganz andere Ansichten habe und mit den Medien, die ich konsumiere, auch anders sozialisiert wurde. Sie war in den Neunzigerjahren zwanzig; bei den Frauen dieser Generation hat der "Heroin Chic" mit seinem dünnen Schönheitsideal definitiv bleibende Schäden hinterlassen. Dass ich mich dann abgrenze und sie als Frau sehe und weniger als meine Mutter, ist sicher auch Selbstschutz, damit sich das nicht auf mich überträgt – weil ich es ja eigentlich besser weiss und anders sehe. Aber auch in positiven Momenten: Wenn sie auf dem Sofa sitzt und stundenlang mit ihren Freundinnen telefoniert oder am Wochenende tanzen geht.

Der International Women’s Day am 8. März findet 2025 unter dem Motto "For ALL Women and Girls: Rights. Equality. Empowerment." statt und richtet das Augenmerk besonders auf die Ermächtigung der jungen Generation.

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Victor Brunner

“Frauen entschuldigen sich absolut für alles”, müssen sie nicht, stimmt auch nicht. Warum stellen Frauen Frauen als dumme Huscheli dar?