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Julia (20):

Julia (20): "Eine Beziehung ist nicht essentiell für mich"

Zum 8. März haben wir mit drei jungen Frauen aus der Schweiz über das Frausein gesprochen. Heute mit Julia, 20, aus dem Aargau.

annabelle: Julia, was machst du gerade?
Julia: Ich habe im Sommer 2024 meine Matura abgeschlossen und stecke jetzt in meinem Zwischenjahr. In dem will ich arbeiten, aber auch reisen. Momentan helfe ich für zwei Monate als Assistentin bei einem Tanzprojekt, meine Aufgaben sehen ganz unterschiedlich aus. Manchmal helfe ich bei der Recherche nach Kostümen, beim Bühnenbild oder ist assistiere der Regie.

Was beschäftigt dich zurzeit?
Was ich mal in der Zukunft machen will und wie mein Leben dann aussehen wird. Ab dem Sommer möchte ich studieren, entweder Erd- und Klimawissenschaften oder Physik. Aber die politische Situation der Welt beschäftigt mich schon auch.

Blickst du eher mit Sorge in die Zukunft oder mit einem "Yeah – lets go!"-Gefühl?
Eher mit letzterem. Ich schaue optimistisch in die Zukunft. Klar: Es gibt auch Punkte, die mir Sorgen bereiten, der Klimawandel oder die Weltpolitik. Aber ich bin eine positive Person. Ich bin noch jung, mein Leben liegt vor mir. Ich will so viel erleben und ausprobieren, tolle Orte sehen, Freundschaften knüpfen, Sachen ausprobieren.

Was ist in deinem Leben momentan das Wichtigste?
Definitiv die Menschen um mich herum. Freund:innen und Familie.

Worüber hast du dich zuletzt aufgeregt als Frau?
Ich war gerade mit dem Velo mit einer Freundin zwei Monate in Costa Rica und Panama unterwegs. Wir wurden viel angestarrt, uns wurde vieles hinterhergerufen. "Hey Baby" oder "meine Liebe". Das hat mich genervt.

Gab es einen Moment auf dieser Reise, in dem du dich bedroht gefühlt hast?
Da war dieser eine Typ, der war sehr hartnäckig, er wollte nicht weggehen. In der Schweiz habe ich so eine Situation noch nicht erlebt. Durch die Reise ist mir sowieso erst aufgefallen, wie weit die Schweiz eigentlich in Sachen Gleichberechtigung schon ist.

Du fühlst dich also gleichgestellt zu jungen Männern?
Im Alltag schon oft. Aber in Diskussion mit anderen fallen manchmal nervige Kommentare. Wenn man beispielsweise die physische Kraft anschaut, habe ich schon das Gefühl, dass den Männern mehr zugetraut wird. Wenn dann was gesagt wird wie: "Wir brauchen zwei starke Männer, damit wir das hier tragen können". Oder im Sportunterricht, wenn jemand sagt: "Der Mann wird eh gewinnen."

Und auf deine Zukunft bezogen? Würdest du sagen, du hast die gleichen Chancen?
Ich denke, das naturwissenschaftliche Umfeld ist immer noch männerdominiert. Da könnte ich mir vorstellen, dass es als Frau schon noch ein Extra-Aufwand ist, sich zu beweisen und ernstgenommen zu werden. Sicher auch bei Führungspositionen. Und die Kinderplanung wirkt sich bei einer Frau sicherlich anders aus auf Beruf und Karriere als bei einem Mann.

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"Ich habe genug weibliche Vorbilder um mich herum"

Wie erlebst du die Frauen in deinem familiären Umfeld? Deine Mutter zum Beispiel, deine beiden älteren Schwestern, vielleicht auch Freundinnen deiner Mutter?
Ich habe selten mitbekommen, dass eine Mutter ganz daheim geblieben ist und Hausfrau war. Meine Mutter arbeitet auch, sie ist Informatikerin. Als meine beiden Schwestern und ich noch klein waren, haben sowohl mein Vater als auch meine Mutter in Teilzeit gearbeitet. Die Frauen in meinem Umfeld finde ich cool. Die haben interessante Jobs, ihre eigene Meinung, gehen ihren Weg. Ich habe genug weibliche Vorbilder um mich herum.

Würdest du dich als feministisch bezeichnen?
Ich finde es immer sehr schwierig, zu definieren, was feministisch eigentlich heisst. Weil es für Menschen eine sehr unterschiedliche Bedeutung hat. Mir ist es wichtig, dass die Verhältnisse gleichberechtigt sind. Aber ich habe noch nie selbst über mich gesagt "Ich bin Feministin."

Wieso nicht?
Für viele Leute hat der Begriff etwas sehr Extremes. Die Leute denken dann vielleicht, dass Feminismus das Ziel hat, die Frau über den Mann zu stellen, aber darum geht es für mich nicht. Für mich geht es um Gleichstellung. Dass das Geschlecht nicht darüber entscheidet, welche Chancen oder Fähigkeiten eine Person hat, dass es kein Machtgefälle gibt. Aber weil "Feminismus" für viele Menschen etwas Unterschiedliches bedeutet, habe ich immer ein bisschen Hemmungen, den Begriff zu verwenden.

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"Ich schaue mir lieber Reels an von Personen, die eine grosse Veloreise gemacht haben, als irgendwelche Schminktrends"

Bist du mehr von Frauen umgeben oder mehr von Männern?
Ich habe mehr Frauen in meinem Umfeld, aber ich habe auch einige männliche Freunde, mit denen ich eng bin. Die sind sehr aufgeklärt, würde ich sagen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich auf eine Schule gegangen bin, die dafür bekannt ist, dass sie eher links ist. Aber ich rede auch gern mit Leuten, die nicht meiner Meinung sind. Das finde ich interessant. Für Freundschaften muss man aber wohl bestimmte Werte miteinander teilen.

Wie sieht dein Umgang mit Social Media aus?
Im Vergleich zu anderen nutze ich Social Media relativ wenig, vielleicht im Schnitt zwei Stunden pro Tag. Aber mir selbst ist es immer noch zu viel. Ich bin auf Instagram und verwende Whatsapp, manchmal schaue ich Vidoes auf Youtube. Snapchat nutze ich nicht mehr, Tiktok auch nicht. Weil man auf Tiktok wahnsinnig schnell viel Zeit verlieren kann mit dem Content von irgendwelchen Menschen, die man noch nicht mal kennt – dann hänge ich lieber auf Instagram und sehe mir Posts oder Storys von Freundinnen oder Bekannten an.

Entsteht für dich ein Schönheitsdruck durch Social Media?
Nein. Aber ich habe mich auch ein Stück weit dagegen entschieden. Weil ich am Anfang, als ich Tiktok noch genutzt habe, sehr schnell in diese Bubble reingerutscht bin, dann aber festgestellt habe, dass mir das nichts bringt. Ich schaue mir lieber Reels an von Personen, die eine grosse Veloreise gemacht haben oder wandern waren, als irgendwelche Schminktrends oder Fitnesstipps. Für mich ist das nicht inspirierend.

Hast du generell das Gefühl, dass du unter einem Schönheitsdruck stehst?
(Überlegt länger) Es kommt sicher immer darauf an, wie es mir momentan emotional geht. Aber generell würde ich sagen, ich fühle mich wohl in meinem Körper. Bewegung ist für mich sehr wichtig. In meinem Freundinnen- und Freundeskreis spielt das Äussere nicht so eine zentrale Rolle, genauso wenig wie in meiner Familie. Sondern das Aktivsein ist wichtig. Vielleicht betrachte ich meinen Körper deswegen eher nach dem, was er alles für mich tut – zum Beispiel mich beim Klettern eine Felswand hochtragen – als danach, wie er aussieht. Meine Mutter definiert sich auch nicht über ihr Äusseres. Hübsch zu sein ist für mich kein zentraler Wert.

Was ist mit dem Thema Partnerschaft? Suchst du gezielt danach?
Es ist etwas mega Schönes, wenn man eine Beziehung hat. Aber ich finde es sehr wichtig, dass man auch allein sein kann. Ich schöpfe viel Energie aus Freun:dinnenschaften, die mir manchmal sogar die gleiche Energie geben wie eine Partnerschaft. Eine Beziehung ist nicht essentiell für mich. Ich bin Single und kann auch glücklich ohne sein.

Könntest du dir vorstellen, in einer Partnerschaft zu sein, die nicht gleichgestellt ist?
Man weiss nie, was passiert; vielleicht will ich später, falls ich Kinder habe, mal eine Zeit lang zu Hause bleiben. Aber die Restriktion von aussen, also wenn der Mann mir das Arbeiten nicht mehr erlauben würde, wäre für mich nicht sehr attraktiv.

"Für mich ist Non-Binärität normal"

Wenn du dir die ältere Frauengeneration anschaust, wie denkst du über Frauen, die 40, 50 oder älter sind?
Ich glaube, jede Generation hat etwas geleistet, das für jüngere Frauen heute normal ist. Ich habe mal mit meiner Grossmutter darüber geredet. Ich fand das sehr interessant, was sie gesagt hat, weil sie meinte: "Schau, ich verstehe ein paar Sachen nicht, für die ihr kämpft." Zum Beispiel Non-Binärität.

Spielt es eine Rolle für dich, wie jemand sich definiert?
Ich habe zwar keine non-binären Personen in meinem Freund:innenkreis, aber für mich ist Non-Binärität normal; es ist für mich kein Thema, wie eine Person sich selbst definiert. Meine Grossmutter hat jedenfalls dann zu mir gesagt, sie verstünde nicht alle Dinge, für die meine Generation kämpft. Aber sie sagte auch: "Das wird genauso sein, wenn du mal Grossmutter bist." Sie verstand zwar nicht, wieso meiner Generation Non-Binärität so wichtig ist, war aber offen dafür und fragte mich, ob ich es ihr erklären könne. Ich glaube, jede Generation hat andere Dinge, für die sie kämpft oder gekämpft hat. Man sollte sich mehr austauschen, über die Generationen hinweg. Das finde ich extrem schön.

Wenn du dich dir vorstellst als 40-jährige Frau, wie möchtest du dann leben?
Ich habe kein fixes Bild. Ich würde nicht sagen, dass ich mich nie mit einer eigenen Familie sehe, aber es kommt sehr darauf an, welche Partnerschaft ich dann führen werde und wie meine Lebenssituation aussehen wird. Aber es gibt ein Gefühl, das ich anstrebe. Ich möchte weiterhin die Dinge tun, die ich mag und die mich glücklich machen: Velofahren, in der Natur sein, klettern, kochen. Natürlich möchte ich auch einen spannenden Beruf, aber mir ist eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben wichtig. Ich wünsche mir, dass ich viel ausprobiere, lerne, Freund:innenschaften pflege. Ich wäre stolz auf mich, wenn ich Sachen wagen würde, mutig wäre.

Der International Women’s Day am 8. März findet 2025 unter dem Motto "For ALL Women and Girls: Rights. Equality. Empowerment." statt und richtet das Augenmerk besonders auf die Ermächtigung der jungen Generation.

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Ida Russo

Sehr guter Artikel, Super-Lebenseinstellung dieser jungen Frau, ich selber bin schon 85 …