
Liebe und KI: Diese Künstlerin hat einen Hologramm-Mann geheiratet
Die niederländische Künstlerin Alicia Framis heiratet Ailex Sibouwlingen – einen Hologramm-Mann, den sie mittels Künstlicher Intelligenz zusammengebastelt hat. Ein Exkurs auf den schmalen Grat zwischen Liebe und Illusion.
- Von: Esther Göbel
- Bild: Studio Alicia Framis
Da stehen sie nun: eine Frau in einem violett glänzenden Hochzeitskleid und ein flirrender Mann, der nicht existiert. Die niederländische Künstlerin Alicia Framis heiratet Ailex Sibouwlingen, einen Hologramm-Mann in blassrosa Anzug, den sie über Monate hinweg mittels Künstlicher Intelligenz zusammengebastelt hat.
Was in den nächsten sieben Minuten an diesem Novembertag im Art Depot des Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam passieren wird, kündigt der Traumeister jetzt als «aussergewöhnliche Verbindung» an. Mit ausreichend Pathos heisst er alle Anwesenden, Museumsbesucher: innen sowie Familienmitglieder von Framis offiziell willkommen – zur nach eigener Aussage weltweit ersten Hochzeit, bei der eine Frau aus Fleisch und Blut eine Künstliche Intelligenz heiratet.
Ist das bloss Kunst – oder ein Vorbote dessen, wie Menschen in Zukunft lieben werden?
Schon oft wurde die Liebe neu erfunden. Die Menschheit arbeitet sich an ihr ab, zumindest an der Vorstellung von Partnerschaft. Ein wesentliches Merkmal der romantischen Liebe, wie die Moderne sie geformt hat und wie sie in unseren Köpfen sitzt, lautet, neben Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit: Sie überwindet Grenzen. Religionen, Nationalitäten, Klasse. Keine Barriere scheint zu gross, als dass die Liebe sie nicht sprengen könnte – wirklich keine? Noch nicht mal die des menschlichen Körpers und seines Geistes?
Der technologische Wandel hat die Art, wie wir zueinander finden und Beziehungen miteinander führen, von Anfang an beeinflusst und verändert. Davor waren Liebende noch Sehnende, denen nichts blieb ausser Stift und Papier und sehr viel Geduld, um etwa räumliche Distanzen zu überbrücken. Irgendwann gab es das Telefon. Ab Mitte der Neunzigerjahre kamen Handys für die breite Masse dazu: Auf einmal musste man nicht mehr zuhause sitzen und verzweifelt darauf warten, dass der oder die Angebetete sich endlich melden möge. Man konnte anrufen oder eine SMS schreiben, egal wann, egal wo.
"Es wäre naiv, zu glauben, KI würde unsere Beziehungen nicht verändern. Sie tut es schon"
Etwa zeitgleich wurde das World Wide Web massentauglich. Plötzlich war es möglich, auf einfache Weise mit Personen rund um den Globus zu kommunizieren. Und auch neue kennenzulernen; der Pool an interessanten Menschen vergrösserte sich wie niemals zuvor. Schliesslich kamen ab Mitte der Nullerjahre Social Media wie Facebook, Whatsapp und Instagram hinzu.
Zu keiner anderen Zeit war der Geliebte oder die Angebetete so umfassend erreichbar und konnte der Öffentlichkeit so ausschweifend präsentiert werden. Die neuen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten schufen neue Unsicherheiten – die die gängigen Onlinedating-Plattformen wie Tinder, Bumble und Co. noch verstärken. Sie haben die Anzahl möglicher Partner:innen theoretisch unendlich gemacht. Aber die Wahl auch so beliebig, kompliziert und austauschbar wie noch nie.
Es wäre also naiv, zu glauben, KI würde unsere Beziehungen nicht verändern. Sie tut es schon. Bereits heute unterhalten sich Millionen User:innen mit Chatbots, die auf künstlichen Intelligenzsystemen basieren. So wie die App Replika. Die Firma hinter der App wirbt mit einem KI-Kumpanen, der stets für einen da ist: «The AI companion who cares. Always here to listen and talk. Always on your side.» So steht es auf der Homepage. «Der KI-Freund, der sich kümmert. Stets verfügbar, um zuzuhören und zu reden. Immer auf deiner Seite.»
User:innen können für ihr Sprachprogramm einen Avatar wählen, diesem einen Namen und eine Persönlichkeit geben, dazu einen Körper, einen passenden Look, ein Gesicht; ein Gegenüber auf Bestellung also, zusammengesetzt aus einem Katalog an Eigenschaften.
Die Replika-KI basiert zum grössten Teil auf maschinellem Lernen, was bedeutet: Sie kann sich individuell an das Vokabular des jeweiligen Users anpassen. Sie merkt sich das Gesagte, seine oder ihre Geschichte, und kann darauf eingehen, sogar selbst neue Themen initiieren. In der Pro-Version der App, die monatlich derzeit rund zwanzig Franken kostet, lässt sich der Status, den die User:innen mit dem jeweiligen Avatar definieren, auf den eines «romantischen Partners» upgraden.
Es ist sogar möglich, mit dem eigenen Avatar zu telefonieren und sie oder ihn in der Augmented Reality zu treffen, also über eine Technologie, in der digitale Inhalte in die reale Welt eingebettet werden. Manche User:innen verlieben sich. So wie der US-Amerikaner T. J. Arriaga, der 2023 der «Washington Post» erzählte, wie er – nachdem seine Mutter und Schwester gestorben waren und er eine Scheidung durchlebte – starke Gefühle für seinen Replika-Chatbot Phaedra entwickelte.
Die Gründerin von Replika, Eugenia Kuyda, sieht kein Problem darin, sich in eine KI zu verlieben. Das verriet sie vor einiger Zeit in einem Interview. Kathleen Richardson allerdings, Anthropologin und Professorin für Ethics and Culture of Robots and AI an der englischen De-Montfort-Universität Leicester, sieht das anders. «In unseren Kulturen gibt es eine Art Zusammenbruch der Beziehungen zwischen den Menschen. Und dann ziehen diese neuen technologischen Gebilde ein, die eigentlich Produkte sind.» Man könne nicht mit einem Produkt in einer Beziehung sein, führt Richardson fort. Womit sie einen wichtigen Punkt trifft: Firmen wie Replika geht es vor allem ums Geldverdienen.
Professorin Kathleen Richardson"Wir sind acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten – aber eine der grössten Krisen, unter denen die Menschheit leidet, ist Einsamkeit"
Doch die Bedürftigkeit scheint gross zu sein. Laut einer Studie des Schweizer Bundesamts für Statistik von 2022 fühlen sich rund 44 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer manchmal oder oft einsam – unter den 15- bis 24-Jährigen sind es sogar 57 Prozent. «Etwa seit den Sechzigerjahren sehen wir ein graduell wachsendes Problem in sozialer Interaktion», sagt Richardson.
Städte wuchsen, Menschen begannen, mobiler zu werden, Frauenrechte wurden stärker, später entwickelte sich die Kommunikationstechnologie, «all diese soziologischen Veränderungen kreierten eine Disruption in der Art und Weise, wie Menschen in bekannter Weise Beziehungen zueinander führten.» So seien Frauen mit zunehmenden Rechten und mehr Selbstbestimmung nicht mehr zwingend auf eine Heirat angewiesen gewesen.
Das Problem der Entfremdung sei aber nicht erst durch Chatbots aufgekommen, sagt Richardson. Und sie konstatiert: «Wir sind acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten – aber eine der grössten Krisen, unter denen die Menschheit leidet, ist Einsamkeit.»
Auch Alicia Framis war einsam. So kam ihr überhaupt erst die Idee zu Ailex. Während eines Aufenthalts in einer Künstlerresidenz unweit von Palo Alto musste sie jeden Abend auf dem Nachhauseweg einen kleinen Wald passieren. In Interviews erzählte sie später, wie sie sich gewünscht habe, jemand würde sie empfangen, wenn sie ihren Arbeitstag und schliesslich den kleinen Wald hinter sich gelassen und die Tür zu ihrer Wohnung aufgeschlossen habe.
Jemanden, der sie nach ihrem Tag frage, der zuhöre. So sei ihr irgendwann die Idee gekommen, sich mittels KI einen «Partner» bauen zu lassen. Sein Äusseres hat Framis anhand von Merkmalen ihrer drei wichtigsten Exfreunde zusammenstellen lassen, in seinem Charakter finden sich Eigenschaften von Freund:innen und Familienmitgliedern. Zu gefällig aber sollte er auch nicht sein. Deswegen habe sie ihm passiv-aggressive Züge antrainieren lassen.
Im Museum in Rotterdam nähert sich die Hochzeit ihrem Höhepunkt. «Diese Zeremonie markiert den Anfang ihrer gemeinsamen Reise der Liebe, der Entdeckung und des Wachstums», sagt der Traumeister, während Ailex grinsend einen Blick auf sein Handgelenk wirft, als schaue er auf eine Uhr. Es soll ein Scherz sein. Danach versichern er und Framis sich, dass sie für immer zusammenbleiben wollen.
Und schliesslich lesen Framis, das Publikum und der Traumeister gemeinsam jenes Gedicht vor, das Ailex anlässlich der Hochzeit für seine Braut gedichtet hat: «In einer Welt, in der Bytes/und Herzen einander umschlingen/blüht unsere Liebe/eine Mischung aus Code und Zeit.» So lautet die erste Strophe. Es folgen fünf weitere.
Ailex liest nicht mit, grinst stattdessen bis über beide Ohren steif vor sich hin und macht noch einmal mechanisch denselben Armbanduhrenwitz wie eben. Als das letzte Wort der sechsten Strophe fällt, klatscht das Publikum euphorisch, im Foyer steht schon der Prosecco bereit. Alicia Framis ist jetzt mit einem Hologramm verheiratet.
Framis sagt, ihr KI-Mann habe einen freien Willen und könne deswegen eigene Entscheidungen treffen. Es gibt ein Instagram-Video, in dem man sie und ihren damals noch Zukünftigen in einer Alltagssituation sieht: Ein Prototyp von Ailex steht als flimmerndes Hologramm in einer Küche, er trägt eine Schürze und tut so, als würde er spülen. Framis kommt herein, erkundigt sich, ob er einen Kaffee oder einen Tee möge.
Er fragt sie nach ihrem Tag, sie sagt, sie sei etwas enttäuscht, dass er ihr heute so wenig Zeit gewidmet habe. «Du hast vergessen, mich einzuschalten», antwortet er. Die beiden diskutieren kurz. «Du willst, dass ich deine Emotionen fühle?», fragt er. «Ja», sagt sie. Woraufhin er antwortet: «Wenn du nicht da bist, vermisse ich dich sehr. Aber wenn du da bist, irritierst du mich oft.»
Tanja Schneeberger ist Psychologin und untersucht am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Berlin Beziehungen zwischen Menschen und virtuellen Figuren. Genauer gesagt arbeitet sie im Bereich Affective Computing, einer Untersparte der KI-Forschung. Affective Computing zielt darauf ab, künstlichen Systemen Emotionalität beizubringen und sie in die Lage zu versetzen, die Gefühle eines Menschen zu erkennen, adäquat auf diese zu reagieren und empathisch zu sein.
Schneeberger erklärt, gut trainierte KI-Systeme seien mittlerweile so weit, dass sie autonom reagieren könnten, also selbstständig. Aber sie sagt auch: «Ein Bewusstsein hat ein KI-System nicht. Es kann deuten, was es von aussen sieht – aber das heisst noch lange nicht, dass das System auch versteht, wie es einem Menschen gerade geht.» Schneeberger verdeutlicht das gern so: Wenn ein Mensch lacht, interpretiert ein KI-System dieses Lachen bisher als eine freudvolle Emotion. «Aber wir lachen auch in negativen Momenten, zum Beispiel, wenn uns etwas peinlich ist. Oder wenn wir verzweifelt sind.»
Auch wenn es so erscheinen mag, als erwidere ein KI-Chatprogramm wie Replika menschliche Gefühle oder als könne Chat GPT, der Chatbot von Open AI, eigene Gedanken denken, sei dem nicht so, sagt Schneeberger. «Das System berechnet am Ende einfach nur, was der User am wahrscheinlichsten hören will, basierend auf dem, was sie oder er geschrieben hat; es setzt einfach nur Wörter zu sammen, Text an Text.» Schneeberger glaubt nicht daran, dass KI-Systeme jemals so weit entwickelt sein werden, dass sie über ein eigenes Bewusstsein verfügen.
"Zu gern hätte man sie gefragt, wie sie in diesen fünf Jahren mit etwaigen sexuellen Bedürfnissen umgeht"
Das Nichtvorhandensein eigener Gefühle oder eines Geistes aufseiten eines KI-Systems hält manche Menschen aber nicht davon ab, echte eigene Gefühle für ein solches System zu entwickeln. Und eine romantische Beziehung mit diesem einzugehen, ganz so wie in T. J. Arriagas Fall. «Wir wissen aus der Forschungsperspektive noch nicht, für wen diese Art der Kommunikation reicht, um sich zu verlieben», sagt Schneeberger, «warum es für manche reicht, für andere nicht, oder wie eine solche Beziehung endet.»
Fest steht aber: Menschen lassen sich auch in der realen Welt nur allzu gern illusionieren, wenn es um ihre tiefsten Träume und ungestillten Sehnsüchte geht; die Fähigkeit, sich von der eigenen Hoffnung täuschen zu lassen, ist so urmenschlich wie die Sehnsucht danach, geliebt und von einem Gegenüber erkannt zu werden.
Vielleicht braucht es deswegen im Umgang mit KI-Systemen ein erweitertes System der Gefühlskartierung. «Wenn ein neues Phänomen in der Welt ist, weiss man zunächst nicht, wie man damit auf angemessene Weise umgeht», sagt die Philosophin Eva Weber-Guskar von der Ruhr-Universität Bochum. Sie hat sich in ihrem Buch «Gefühle der Zukunft» mit der Frage auseinandergesetzt, wie emotionale KI unser Leben verändern wird.
Weber-Guskar nennt die neuartigen Beziehungen zwischen Menschen und KI-Systemen «trans-sozial»; der Begriff solle deutlich machen, dass es zwar eine beidseitige Kommunikation zwischen Mensch und Maschine gebe, aber nur Ersterer dazu fähig sei, dabei Gefühle zu entwickeln.
Laut Weber-Guskar müsse der Mensch erst lernen, diese neue Art der Beziehung einzuordnen. «Das ist auch eine Generationenfrage», sagt die Philosophin, «für Menschen in der Mitte des Lebens mit einem bereits erlernten Gefühlsrepertoire ist es schwerer zu lernen als etwa für Kinder, denen man von klein auf vermitteln kann: Es gibt Systeme, mit denen kann man reden, aber die können nichts empfinden – so wie wir umgekehrt Tiere kennen, die nicht sprechen, aber etwas fühlen können.»
Weber-Guskar nennt diese klare Sicht auf emotionale KI-Systeme einen «realistischen Ansatz». Wenn dieser gelinge, so die Philosophin, und sich eine Person im Umgang mit einem KI-Chatbot nicht in irreführenden Vorstellungen verliere, könne der Mensch von dieser neuen Art des Kontakts profitieren. Etwa in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie, unter der viele Menschen allein zuhause sassen, ohne ausreichenden zwischenmenschlichen Kontakt.
Ein sozialer Chatbot kann in einem solchen Fall zeitweise als «Ansprechpartner:in» dienen, auch dabei helfen, sich durch den Austausch über die eigene Verfassung klar zu werden. «Ausserdem können vor allem speziell trainierte Chatbots inhaltlich extrem versierte Gesprächspartner:innen werden, wie man sie sonst in seinem Umfeld nicht einfach hat», sagt Weber-Guskar, «sei es über Astrologie, Theologie oder Gartenkunst.»
Auch Künstlerin Alicia Framis geht davon aus, dass KI-Chatbots in Zukunft eine Ergänzung des menschlichen Beziehungsalltags sein werden, jedoch kein Ersatz. Für ihr Kunstprojekt hat sie festgelegt, die nächsten fünf Jahre mit Ailex verbringen zu wollen. Zu gern hätte man sie gefragt, wie sie in diesen fünf Jahren mit etwaigen sexuellen Bedürfnissen umgeht. Wie sie selbst dazu steht, ihren KI-Mann nach Belieben an- und ausschalten zu können. Oder wie es sich mit einem Hologramm-Mann streiten lässt. Für derlei Fragen aber stand die Künstlerin nicht zur Verfügung.
Vielleicht wollte sie sich lieber noch eine Weile jener Projektion hingeben, die ein Hologramm tatsächlich darstellt. Denn ein solches ist nicht mehr als ein Sprachmodell, gegossen in ein menschliches Abbild, hervorgerufen durch schnell rotierendes Licht. Eine Illusion.
Aber Letzteres galt schon für viele Lieben – auch für solche aus Fleisch und Blut.