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Psychologin über Trauer ums Haustier:

Psychologin über Trauer ums Haustier: "Der Anblick des leeren Körbchens tut wahnsinnig weh"

Wenn für Büsi und Bello das letzte Stündlein schlägt: Psychologin Cordelia Noe weiss, was trauernde Tierhalter:innen tröstet - und wie man sich auf den Abschied vorbereitet.

annabelle: Cordelia Noe, laut einer US-Umfrage wollen siebzig Prozent der Millennials lieber ein Haustier als ein Kind. In europäischen Haushalten leben heute mehr Tiere als Kinder – Bello statt Baby?
Cordelia Noe: Ich denke, dass angesichts der Weltlage und der damit verbundenen fehlenden Sicherheit weniger Leute an einer klassischen Familienplanung interessiert sind. Ein Tier ist zwar auch eine Lebensentscheidung, aber eben ohne die Verpflichtungen, die ein Baby mit sich bringt – man kann sich an die Verantwortung rantasten, auch finanziell. So gehen "Dog Mums" und "Cat Dads" viral und die verwöhnen ihre Tiere nach allen Regeln der Kunst.

Was die Haustierbranche frohlocken lässt?
Und ob! Nahrungsergänzungsmittel für glänzendes Fell, entspannende CBD-Öle, Designer-Regenmäntelchen und Filet Mignon aus Biofleisch sind nur die Spitze des Eisbergs.

Läuft da nicht etwas aus dem Ruder?
Man darf zuweilen schon von überbesorgten Tierhalter:innen sprechen, Helikopter-Eltern gleich, die wöchentlich die Arztpraxen entern, um sich des Wohls ihrer Zöglinge zu versichern. Da geht es längst nicht mehr darum, dass der Hund nicht mehr fressen mag oder die Katze an der Pfote blutet. Es werden Diagnosen ergoogelt und gern auch mal persönliche Ängste aufs Haustier projiziert.

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"Tiere sind für Halter:innen oft emotionale Anker"

Sie haben sich als Psychologin auf Trauerbegleitung spezialisiert und bemerkt, dass niemand die Tierhalter:innen im Blick hat. Nun bieten Sie auf Ihrer Website ciao-miao.com Coachings an, die über den Verlust eines Haustiers hinweghelfen sollen. Ist es nicht übertrieben, um einen Hund zu trauern wie um einen Menschen?
Der Status von Haustieren als Familienmitglieder ist neu, entsprechend sind viele neue Services und Produkte auf den Markt gekommen – eine einfühlsame End-of-Life-Care ist da die logische Fortsetzung. Bislang aber existiert ein Gap zwischen dem Schmerz der Halter:innen nach einem Verlust und der Reaktion des Umfelds. Man kann bei Tiertrauer von einer aberkannten Trauer sprechen, weil die Mitmenschen sie oft nicht nachvollziehen können. "War ja nur eine Katze" oder "Kauf dir einfach einen neuen Hund" erschweren die Verarbeitung enorm. Wenn eine Katze 18 Jahre Teil des Lebens war, geht man nicht eine Woche später ins Tierheim oder zur Züchterin. In der Trauerbegleitung hat Tiertrauer bislang keinen Platz, das will ich ändern. Tiere sind für Halter:innen ja oft emotionale Anker und der Anblick des leeren Körbchens tut wahnsinnig weh.

Wie meinen Sie das?
Viele Menschen schaffen sich in Umbruchsituationen ein Tier an: Etwa nach dem Verlust eines Partners, bei unerfülltem Kinderwunsch oder wenn die Kinder ausgezogen sind. Man strukturiert den Tag nach den Gassigängen mit dem Hund, freut sich, dass daheim nicht nur die leere Wohnung auf einen wartet, und schnell wird das Haustier zum Familienmitglied, zu Freund und Partner. Wenn dieses Tier nun stirbt, kann das weit einschneidender sein, als wenn der Onkel entschläft, den ich nur zwei Mal jährlich zu Ostern und Weihnachten treffe.

Was brauchen Menschen, deren Tier gestorben ist?
Es hilft für die Verarbeitung enorm, wenn das Umfeld sagt: "Erzähl es ruhig noch einmal, ich höre dir zu." Da würde ich mir auch von Vorgesetzten mehr Einfühlungsvermögen wünschen. Man könnte Betroffene fragen, ob sie bei einem wichtigen Projekt Unterstützung brauchen, Kundenkontakt gerade gut tut oder Homeoffice helfen würde.

Wo endet ein gesundes Verhältnis zum Haustiertod?
Wenn jemand nach zwei Jahren immer noch regelmässig weint, weil der Hund gestorben ist, wird in Gesprächen meist klar, dass hinter der Trauer andere Themen stehen – unerfüllte Lebensvisionen oder alte Verluste, die nicht richtig verarbeitet wurden. Häufig hat das Tier eine Lücke gefüllt, die nach dem Tod wieder aufklafft. Ich hatte schon Klient:innen, denen das Leben nach dem Tod des Haustiers so wertlos erschien, dass Suizidfantasien aufkamen.

Nicht nur der Tod des geliebten Tiers, sondern auch der Weg dahin kann schwierig sein. Da steht man eines Tages in der Tierarztpraxis und muss seinen Vierbeiner einschläfern lassen.
Ja, die wenigsten wissen, was auf sie zukommt, und knabbern danach teils jahrelang an Schuldgefühlen. "War es zu früh? Habe ich zu lange gewartet?" Das hängt eng mit der bedingungslosen Loyalität zusammen, die wir bei Tieren so schätzen. Selbst wenn wir nur kurz den Müll rausbringen, wedelt der Hund beim Wiedersehen vor Freude mit dem Schwanz. Und dann sollen ausgerechnet wir diejenigen sein, die entscheiden, wann sein Leben endet?

Wie bereiten Sie Menschen darauf vor?
Vortrauern kann ein hilfreiches Puzzlestück sein. Während dieser Phase gehen wir den gesamten Prozess miteinander durch. Wir besprechen, wie man die letzten Tage verbringen will, den exakten medizinischen Ablauf und was danach kommt. Übrigens tragen auch Tierärzt:innen eine immense Last.

Inwiefern?
Sie sind es, die die letzte Spritze setzen, und das in einem Moment, der für die Halter:innen zutiefst emotional und oft auch verunsichernd ist. Sie sind selber betroffen, kennen das Tier manchmal lange und haben es mit einem tiefst erschütterten Menschen zu tun. Ich coache auch Tierärzt:innen und Praxisteams darin, einen Selbstschutz aufzubauen. Und versuche ihnen aufzuzeigen, wie hilfreich es sein kann, organisatorische Fragen mit den Halter:innen in einem Vorgespräch zu klären. Soll das Tier nach dem Einschläfern ins Krematorium gebracht werden oder nochmal nach Hause? Wer organisiert das? Wer begleitet einen nach dem Einschläfern raus? Niemand möchte danach durchs Wartezimmer laufen, wo alle anderen mit ihren Tieren sitzen.

Sie bieten auch Coachings für trauernde Kinder an. Gelten für sie spezielle Regeln?
Kinder gehen meist souverän mit dem Tod um. Das Problem ist eher die Kommunikation der Eltern. Trauer und Tod sind brutal stark tabuisiert, und viele Erwachsene tun sich schwer, offen darüber zu sprechen. Dabei ist Ehrlichkeit wichtig. Sterbe-Synonyme wie «einschlafen» können kontraproduktiv sein, weil sie bei Kindern Ängste auslösen können – etwa, dass ein schlafendes Familienmitglied genau wie Bello auch nicht mehr aufwacht. Wichtig ist auch, die Kleinen aktiv einzubeziehen.

Wie tut man das?
Vielleicht möchten sie dem Tier etwas basteln und mitgeben oder am letzten Tag vor dem Einschläfern etwas Besonderes zusammen machen – etwa dem Hund Chicken-Nuggets gönnen, die er sonst nie bekommen hätte. Das gibt Kindern das Gefühl, Teil des Abschiedsprozesses zu sein – und das tut übrigens auch Erwachsenen gut. Ich stelle immer auch allen die Frage: Was hast du von deinem Tier gelernt? Oder: Was hat dich an deinem Tier beeindruckt?

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"Abschiedsrituale spielen eine wichtige Rolle"

Warum?
So werden schöne Erinnerungen heraufbeschworen, die helfen, den Fokus vom Verlust hin zu den positiven Momenten zu lenken. Neulich hat mir eine Klientin während des Coachings gesagt: "Ich habe meine Katze total bewundert, obwohl sie ein richtiges Arschloch war. Sie war fies, illoyal, hat nur gemacht, was sie wollte. Ich fand das cool und beeindruckend. Es inspiriert mich, denn in meiner Rolle als Mutter lebe ich diese Haltung so gar nicht."

Welchen Stellenwert haben Beerdigungsrituale?
Abschiedsrituale spielen eine wichtige Rolle. Nicht jede:r kann sein Tier im Garten begraben, oft organisiert die Tierarztpraxis eine – kostenpflichtige – Kremation oder die Abgabe in eine Tierkörper-Sammelstelle. Als Halter:in ist man da selten direkt beteiligt und erhält beispielsweise nach einer Kremierung nur die Asche in einem Gefäss zurück. Deshalb ist es wichtig, ein persönliches Ritual zu gestalten, etwa mit Freund:innen oder der Hunderunde. Solche Momente machen den Abschied greifbarer und unterstützen dabei, den Verlust zu akzeptieren.

Was halten Sie von Erinnerungsprodukten?
Eines meiner Lieblingsthemen, aber auch eines, das mich regelmässig auf die Palme bringt: Es gibt unzählige Angebote, für die man in der Trauerphase besonders empfänglich ist: Pfotenabdrücke, abgeschnittene Locken oder sogar Diamanten aus der Tierasche. Das kann grundsätzlich eine tolle Sache sein, was aber oft übersehen wird, ist die emotionale Energie dieser Erinnerungsstücke. Ich bin nicht übermässig spirituell, aber wenn man etwa erst beim Einschläfern einen Pfotenabdruck macht, verknüpft man diesen untrennbar mit dem traurigen Abschied. Lieber zwischendurch schöne Fotos machen, mal gemeinsam Hände und Pfoten in den Kopierer stecken oder nach einem schönen Spaziergang ein Lieblingsstöckchen mitbringen und in einen Balkonkasten stecken. Ich selbst entwickle mit Künstler:innen Erinnerungsstücke, dazu gehören auch Urnen, aber weg von kitschiger Goldpfotenästhetik. Nächstes Jahr wollen wir auf der Mailänder Designmesse unsere «Objects of Loss» präsentieren.

Welche Rolle spielt Technologie in der Tiertrauer?
Es gibt Plattformen, auf denen man Abschiedsbriefe posten oder virtuelle Blumen verschicken kann. Das finde ich spannend und oft tröstend, kritischer sehe ich KI-Avatare von verstorbenen Tieren – das hält die Trauer fest. Instagram-Accounts, die während des Lebens eines Tieres aufgebaut wurden, schaffen eine Community, die im Verlustmoment unterstützen kann. So wie bei Franz Josef, dem Cockapoo.

Franz Josef?
Die Besitzer haben fast täglich auf Instagram Fotos gepostet – Franz im Urlaub, Franz in Italien, Franz beim Spazierengehen. Und plötzlich kam letztes Jahr der Post, dass Franz gestorben ist. Die Reaktionen waren überwältigend: Tausende Kommentare, Beileidsbekundungen, Anteilnahme. Das kann Hinterbliebenen wirklich helfen.

Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, sich auf Tiertrauer zu spezialisieren?
Schon als Sechsjährige habe ich mit meiner Freundin Regenwürmer, Käfer und sogar kleine Vögel beerdigt – mit Skateboards und Klobürsten als Werkzeuge. Tiere waren für mich immer ein grosses Thema. Ich bin mit Hund aufgewachsen und zu meiner Familie gehört neben Mann und Sohn auch heute wieder eine Hündin – mir war schon immer bewusst, wie sehr man sein Herz an ein Haustier hängen kann.

Hast du Suizidgedanken, machst dir Sorgen um deine psychische Gesundheit, willst mit jemandem reden oder kennst du Betroffene, die Hilfe benötigen? Hier findest du Hilfe:

Erwachsene können über die Telefonnummer 143 die Dargebotene Hand kontaktieren oder finden Hilfestellung auf der Website 143.ch. Die Angebote sind vertraulich und kostenlos.

Crisis support in English: heart2heart.143.ch

reden-kann-retten.ch

Opferhilfe Schweiz

Für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, auch per SMS, Chat, E-Mail oder im Internet unter 147.ch

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Yvonne

Meine Katze starb 2015, mein Kater 2017. Ich habe 16 bzw. 18 Jahre mit ihnen gelebt.
Ich habe alle Katzensachen, also Spielzeug, Höhle in der Wohnung gelassen.
An ihnen mochte ich, das an ihre Zuneigung keine Bedingung geknüpft war und das sie so entspannt waren. Dadurch das ich bereits 2 mal Krebs hatte ( 2020/2021) wird kein nächstes Haustier einziehen. das würd ich verantwortungslos finden, falls der krebs wiederkommt. Ich würde ihnen dann nicht mehr gerecht werden können und sie optimal versorgen können. Ich beneide Menschen, die Tiere zu Hause haben und mit ihnen leben.
Ich vermisse das Streicheln von Fell.

Ursula Ensmann

Finde eine Patentante oder Patenonkel, die noch nicht die Zeit haben eine Katze zu halten. Suche mit ihnen eine einsame Katze die Liebe braucht, Vielleicht bekommst Du zuerst Krebs oder die Katze überquert die Regenbogenbrücke. Fange morgen an und verzichte nicht auf die Liebe deines Tieres