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Cindy Sherman – Mac-abere Schminkkünste

Stil

Cindy Sherman – Mac-abere Schminkkünste

  • Text: Dietrich Roeschmann

Künstlerin Cindy Sherman inszeniert sich für das Kosmetiklabel Mac. Und wie macht sie das? Verstörend schön.

Schönheit ist nichts, worüber sich Cindy Sherman viele Gedanken machen würde. Wozu auch? «Das Schöne lässt sich nicht definieren, es kann alles sein und nichts», sagte sie kürzlich dem US-Fashionmagazin «V». Ein Gesicht ohne Makel? Gibt es nicht. Und wenn, dann wäre es selbst sein grösster Makel: die absolute Langeweile. «Jeder Mensch ist schön und hässlich zugleich. Wir sollten aufhören zu denken, dass das eine besser ist als das andere.»

Die Amerikanerin hat gut reden. Sie sieht blendend aus. Nicht dass sich die Leute auf der Strasse nach ihr umdrehen würden. Ihre Schönheit hat etwas Ungekünsteltes: eine schlanke Frau mit mädchenhafter Figur. Blonder Bob, heller Teint, freundliches Gesicht. In den wachen Augen liegt eine leise Ironie. Um sich fit zu halten, stand sie bis vor wenigen Jahren regelmässig im Boxring. «Schnell und aggressiv» nannte der Trainer ihren Stil. Sie selbst würde sich eher als schüchtern beschreiben. Zumindest im wirklichen Leben. Und tatsächlich: Tritt die 57-Jährige in der Öffentlichkeit auf, fällt es schwer zu glauben, dass ausgerechnet diese zurückhaltende Person seit über dreissig Jahren in immer neue, provozierende Rollen schlüpft, um uns mit der bösen Ahnung zu infizieren, dass das, was wir für unsere Identität halten, nichts anderes ist als ein blosses Produkt von Konventionen. Eine Kopie ohne Original.

Sie infiziert uns mit der bösen Ahnung, dass wir bloss Produkte von Konventionen sind

Cindy Sherman gehört heute zu den einflussreichsten Künstlerinnen der Gegenwart – und zu den sichtbarsten. Für ihre fotografischen Selbstinszenierungen steht sie sich seit Beginn ihrer Karriere ausschliesslich selbst Modell. Wie in der legendären Serie «Untitled Film Stills», die ihr mit gerade mal 25 zum internationalen Durchbruch verhalf. Mit minimalem technischem Aufwand, aber enormer Lust an Verkleidung und Inszenierung spielte Sherman hier die weiblichen Posen des Film noir durch: Gab den Loren-Typ in Kittelschürze, die Faust in der Hüfte. Inszenierte sich als Upper-Class-Lady in beunruhigenden Hitchcock-Settings oder als spitzbusige Bardot, die sich in engem Pulli kokett vor einer Bücherwand spreizt.

Die Serie schlug ein wie eine Bombe. Die kleinen Schwarzweissfotos schienen alles zu bündeln, was Anfang der Achtziger gerade gärte: der neue Kult der Künstlichkeit, die glamourösen Maskenspiele, wie sie von Disco bis New Wave zelebriert wurden, die Aufweichung der Grenzen zwischen Pop- und Hochkultur. Feministinnen feierten sie als passgenaue Kommentare zu ihren Theorien über Geschlecht, Rolle und Projektion. Die Künstlerin selbst fand das immer interessant – darauf festlegen lassen wollte sie sich nie. «Ich arbeite sehr intuitiv und denke nicht darüber nach, was ich mit dieser oder jener Arbeit sagen will», sagte sie dem US-Magazin «Artforum». «Ich will etwas tun, das die Leute verstehen, ohne vorher ein Buch darüber lesen zu müssen.» Nicht zufällig bedienen sich ihre Porträts oft der Bildsprache des Kinos, der Modefotografie oder populärer Ikonen alter Malerei.

Die Maskeraden sind der Beweis für die zahllosen Metamorphosen, die das Make-up ermöglicht

Viele ihrer Fotoserien sind heute längst Klassiker: die «Centerfolds», für die sie sich 1981 in traumatisierte Teenager verwandelte, die drastischen Horrorszenarien der «Disaster Pictures», die Kaufmannsfrauen und zickigen Renaissance-Prinzessinnen der «History Portraits». Cindy Sherman begründete damit nicht nur ihren eigenen kommerziellen Erfolg. Manche sagen, ohne die riesige Fangemeinde ihrer Sammler wäre der plötzliche Boom der Fotografie auf dem Kunstmarkt der Neunziger undenkbar gewesen. Das aktuelle Künstlerranking des Wirtschaftsmagazins «Capital» listet die Amerikanerin auf Platz 4. Erst im Mai wurde eine ihrer Arbeiten bei Christie’s für 3.9 Millionen Dollar versteigert – die bislang teuerste Fotografie der Welt. Kein Wunder, dass die für Februar 2012 angekündigte Retrospektive der Fotografin im New Yorker Moma schon jetzt erste Wellen schlägt. In den USA wird es ihre erste grosse Werkschau seit eineinhalb Jahrzehnten sein.

Eine spektakuläre Vorbotin dieses Ereignisses ist nun eine ungewöhnliche Kooperation der Künstlerin mit dem Kosmetiklabel Mac. Drei Motive hat Cindy Sherman für das kanadische Make-up-Unternehmen fotografiert. Nach Herzenslust durfte sie sich dafür aus dem aktuellen Mac-Sortiment bedienen. Ende September geht die Kampagne in den USA an den Start. Einen Monat später werden sich die inszenierten Porträts in Europa zwischen die Hochglanzseiten der Modemagazine mischen und dort ihre ganz eigene Geschichte der Verwandlung erzählen. Die Star-Künstlerin als Markenbotschafterin auf Beauty-Mission? Keineswegs. Stattdessen lächelt uns Sherman mal als irre Brünette mit Engelslocken entgegen, das Katzengesicht geschminkt wie eine Kabuki-Heroine auf Glücksdrogen, mal als depressive Florida-Rentnerin im grellen Clownkostüm. Auch eine Endfünfzigerin ist mit von der Partie. Die aufgespritzten Lippen sind grotesk überschminkt. In ihren Augen flackert eine Mischung aus Verzweiflung und Erschöpfung – als kämpfte sie unter der Botox-Maske um den letzten Rest Jugend.

Die Mac-Serie ist nicht die erste Auftragsarbeit, die Cindy Sherman realisiert hat. Schon 1993 posierte sie für Comme des Garçons vor der eigenen Kamera. Später besetzte sie sich in einer Balenciaga-Strecke für die französische «Vogue» als durchgeknalltes Fashionvictim im Herbst ihres Lebens. Auch für Marc Jacobs stand sie Modell, zusammen mit dem Trash-Fotografen Juergen Teller. Dank Shermans Make-up-Künsten sahen die beiden am Ende aus wie ein anämisches Teenager-Zwillingspaar auf Junkfood-Entzug.

Dennoch bedeutete die Mac-Kampagne für Sherman eine völlig neue Herausforderung. «Ich wollte, dass diese Porträts nicht im Entferntesten den Bildern ähneln, die man normalerweise in der Make-up-Werbung findet», sagt sie. Also unterlief sie die Erwartung durch Übererfüllung. Ein kluger Coup: Die bizarren Maskeraden sind der beste Beweis für die unendlichen Metamorphosen, die das Make-up ihr ermöglicht. Und ganz nebenbei liefert Sherman damit auch eine Erklärung für den eigentümlichen Sog ihrer Bilder. «Als Teenager war ich besessen von Make-up», sagt sie. «Später, im College, als Schminken plötzlich als uncool galt, habe ich angefangen, meine Leidenschaft privat in ironischen Maskeraden auszuleben. Ich entdeckte mein Gesicht als Leinwand.» Heute nutzt sie diese virtuos wie keine Zweite. Fällt ihr ein bestimmter Frauentyp auf der Strasse auf oder ein Role Model in der Werbung, versucht sie die kleinen Manipulationen, mit denen diese Frauen an ihrem Selbstbild arbeiten, auf ihr eigenes Gesicht zu übertragen. Die Resultate sorgen für eine absurde Erfahrung: Schauen wir in Cindy Shermans Gesicht, müssen wir immer damit rechnen, uns selbst zu begegnen.

Cindy Sherman: A Retrospective. Museum of Modern Art, New York, 26. Februar bis 11. Juni 2012

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1.

Sherman als irre Brünette…

2.

…und als grell-depressive Florida-Rentnerin: Sie bediente sich exzessiv aus dem Mac-Sortiment