Das neue Heft ist da: Barbara Loop über das Verweigern
Ab heute liegt die neue Ausgabe der annabelle am Kiosk. Lest hier das Editorial von Chefredaktorin Barbara Loop.
- Von: Barbara Loop
- Cover: Claudia Vega; Collage: annabelle
Das strähnige Haar, die sumpfbraune Strickjacke und diese blauen Augen, durch die man glaubte, in seine Seele blicken zu können. Als Kurt Cobain mit Nirvana 1993 für MTV Unplugged in New York ein rein akustisches Set spielte, war ich noch ein Kind. «Come as you are, as you were, as I want you to be ...». Ich weiss noch, wie sich mir vor dem Fernseher sitzend eine Welt eröffnete und ich eine Ahnung davon bekam, wie «Teen Spirit» riecht.
Der Grunge der frühen Neunziger war verzerrte Gitarrenmusik, Melancholie und Verletzlichkeit, eine Haltung ohne Spannung, ein Lifestyle ohne Style und eine Ästhetik, die keine sein wollte. Cobain trug Flanellhemden, zerschlissene Jeans, darüber schon mal Frauenkleider, seine Frau und Hole-Sängerin Courtney Love dunklen Lippenstift und löchrige Strümpfe.
Dieser Look war anders als jener der Popgrössen aus den Achtzigern, die Designerklamotten trugen und Gel im Haar. Grunge war selbst in seiner Konsumkritik unambitioniert, anders als der Punk oder die Hippies weitestgehend unpolitisch, er zelebrierte den Rausch, die Authentizität und die Ziellosigkeit.
"Diesen Herbst feiert der Grunge sein modisches Comeback"
Diesen Herbst feiert der Grunge sein modisches Comeback – wir haben ihm im neuen Heft eine Modestrecke gewidmet. Es gehört zu den schönsten Dimensionen der Mode, dass sie der Suche nach den Freiräumen, die jeder Subkultur zu eigen ist, Ausdruck verleiht – und diese im ständigen Rezyklieren und Zitieren sichtbar hält. Dass das Modebusiness damit jene Räume vereinnahmt und der Verkaufslogik unterwirft, ist die Kehrseite der Medaille.
Zum ersten Mal brachte Marc Jacobs den Grunge-Look für das Label Perry Ellis auf den Laufsteg. Das war 1992, Paris war schockiert, Jacobs seinen Job los. Doch ein Shooting des Fotografen Steven Meisel für die «Vogue» machte die Kollektion legendär und den Designer zum Star.
Marc Jacobs soll Courtney Love und Kurt Cobain ein paar Stücke aus der Kollektion geschenkt haben. «Wissen Sie, was wir damit gemacht haben?», so die Sängerin Jahre später in einem Interview. «Wir haben sie verbrannt.»
Ich lege Ihnen ausserdem das Interview mit Mathias Plüss in der aktuellen Ausgabe ans Herz. Seit 15 Jahren gabs kaum eine annabelle ohne «Plüss’ Punkte», jetzt erscheint sein gesammeltes Wissen als Buch. Kostprobe gefällig? «Ein erwachsener Mensch verliert im Schnitt jede Sekunde eine Hirnzelle, bildet aber nur alle zwei Minuten eine neue.»
Plüss schafft es immer wieder, mit wenigen Worten die Welt zu erklären, fast wie mir als Kind die Songs von Kurt Cobain.