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«Denkt ja nicht, dass wir aufgeben!»

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«Denkt ja nicht, dass wir aufgeben!»

  • Interview: Barbara Loop; Fotos: Vera Hartmann

Im Ringen um eine gerechtere Welt nimmt es die Berner Clean-Fashion-Pionierin Christa Luginbühl (42) mit den Mächtigen auf – mit den Textilkonzernen genauso wie mit den Agrarmultis und Pharmariesen.

annabelle: Christa Luginbühl, sind Sie furchtlos?
Christa Luginbühl: Nein, keineswegs (lacht). Warum?

Bei Ihrer Arbeit für die NGO Public Eye, ehemals Erklärung von Bern, haben Sie die heiligen Kühe unseres Landes im Visier: Banken, Rohstoffhändler, Schokoladen- und Textilindustrie.
Die Dichte der gewichtigen Akteure ist hierzulande enorm: Nestlé etwa ist ein grosser Player in der Lebensmittelindustrie, Glencore im Rohstoffhandel, Syngenta im Handel mit Saatgut und Pestiziden. Im Unterschied zu anderen Organisationen setzen wir in der Schweiz an, wo die Unternehmen, aber auch die Politik und die Konsumentinnen etwas verändern können, das auf die Gerechtigkeit weltweit einen Einfluss hat.

Mit Ihrer aktuellen Kampagne für bezahlbare Medikamente lehren Sie die Pharmamultis Roche und Novartis das Fürchten. Bei all den Ungerechtigkeiten in der Welt, die von der Schweiz mitgetragen werden: Warum nehmen Sie grad diese in den Fokus?
Manchmal muss man Kampagnen lancieren, um für ein Thema zu sensibilisieren. In diesem Fall aber fällt unsere Arbeit in der Politik wie in der Öffentlichkeit auf fruchtbaren Boden, weil die Problematik auch in der Schweiz angekommen ist. Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Netzwerken wissen wir schon lang, wie eingeschränkt der Zugang zu teuren Medikamenten in vielen Ländern ist. Doch auch bei uns kommen etwa Krebsmedikamente, die mehrere 100 000 Franken kosten, aber erwiesenermassen wirksam sind, nur nach hohen administrativen Hürden zum Einsatz – das ist eine versteckte Rationierung. Es stellt sich die Frage, wie viel ein Menschenleben kosten darf. Aber das ist die falsche Frage. Wir müssen darüber reden, ob ein lebenswichtiges Medikament überhaupt so viel kosten darf. Die Pharmaindustrie rechtfertigt die Preise mit Forschungs- und Entwicklungskosten, aber Profitmargen von zwanzig Prozent und mehr sprechen Bände.

Ihre Gegner sind mächtig. Wie nervös macht Sie das?
Bei all unseren Kampagnen ist die Vorbereitung sehr wichtig, die seriöse Recherche, das Checken von Fakten, die Wahl der Partner. Die Gegenseite will den Kampf aber oft auf einer persönlichen Ebene austragen, um einen zu verunsichern, ganz besonders, wenn man eine Frau ist. Das kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: Einschüchterungsversuche, Schmeicheleien, taktische Ränkespiele. Darauf darf man sich nicht einlassen. Ich führe mir vor Augen, dass es nicht um mich geht, dass ich eine Sache und die Interessen von benachteiligten Menschen vertrete. Ich stecke es nicht so leicht weg, wenn mich jemand am Telefon eine halbe Stunde lang anschreit. Aber verglichen mit Menschen, die in anderen Ländern für ihr Engagement Gewalt und Repression fürchten, habe ich einen Schoggijob. Nicht ich bin furchtlos, sie sind es.

Sie kämpfen seit mehr als zwei Jahrzehnten gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Wann haben Sie sich zum letzten Mal so richtig empört?
Ich empöre mich täglich, abzustumpfen ist überhaupt nicht mein Problem (lacht). Ein Kollege aus Kambodscha erzählte mir kürzlich, er sei aufgrund seines Einsatzes für die Textilarbeiterinnen wegen sozialer Un- ruhestiftung angeklagt und werde bei seiner Rückkehr womöglich verhaftet. So etwas wird mich auch nach fünfzig Jahren Arbeit für NGOs nicht kalt lassen.

Wie annabelle feiert auch Public Eye einen runden Geburtstag. Die wohl bedeutendste Menschenrechtsorganisation der Schweiz startete vor fünfzig Jahren als Erklärung von Bern. Was hat sich in den knapp zehn Jahren, in denen Sie dort arbeiten, verändert?
Ich konnte beobachten, wie stark andere Organisationen, die von öffentlichen Geldern oder firmennahen Stiftungen mitgetragen werden, unter Druck kamen. Insbesondere seit der Finanzkrise sind Regierungen in Europa immer weniger gewillt, wirtschaftskritische Kräfte zu unterstützen. Wir finanzieren uns daher bewusst zu über achtzig Prozent aus Mitgliederbeiträgen und privaten Spenden. Zudem hat die Macht der Kommunikationsabteilungen stark zugenommen. Es gibt heute kaum eine grosse Firma ohne ethische Leitlinien. Sich nicht davon einlullen zu lassen, die Standards und ihre Umsetzung kritisch zu hinterfragen, zu analysieren und zu kommentieren, ist eine Herausforderung.

Sie waren acht Jahre lang Verantwortliche von Clean Clothes Campaign, einem internationalen Netzwerk mit Fokus auf die Missstände in der Textilindustrie, dem auch Public Eye angehört. In dieser Zeit ist das Bewusstsein für die Problematik gewachsen, Fair Fashion wurde zum geflügelten Wort. Haben sich die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken verbessert?
Sogenannt nachhaltige Produkte haben gewiss ihre Bedeutung als Vorreiterprojekte. Aber wenn 99 Prozent des Angebots herkömmlich, das heisst unökologisch und ausbeuterisch produziert werden, hilft die eine grüne Socke im Sortiment wenig. Sie schadet sogar, weil sie das Gewissen beruhigt und so das Niveau der Fairness und Nachhaltigkeit im Massenmarkt auf einem tiefen Stand zementiert.

Es scheint fast aussichtslos, in dieser Industrie etwas zu verändern. Wie zermürbend ist das?
Seit zehn Jahren kämpfe ich für Existenzlöhne bei den Zulieferern von internationalen Markenfirmen, und noch immer werden keine anständigen Löhne bezahlt. Früher hat es mich empört, dass sich die Situation kaum verbessert. Heute empöre ich mich noch immer, weiss aber, dass es Zwischenschritte braucht. Meine Maxime: Denkt ja nicht, dass wir aufgeben, nur weil es lang dauert! Ich habe meine Langatmigkeit trainiert.

Was lässt Sie abends zufrieden einschlafen?
Kleine Erfolge und nicht alltägliche Begegnungen sind wichtig, sonst wird man desillusioniert, zynisch oder abgelöscht. Der Anruf einer Nonne etwa, die nicht wusste, wo sie eine fair und ökologisch produzierte Skijacke findet. Dann gibt es natürlich auch gewichtigere Erfolge: Wenn wir Mitglieder unseres internationalen Netzwerks aus dem Gefängnis holen oder wenn wir nach vier Jahren Arbeit ein wichtiges Abkommen etablieren können, wie den Abfindungsfond für die Hinterbliebenen der über 250 Menschen, die 2012 beim Brand einer Fabrik in Pakistan ums Leben kamen.

Wie konsumiert man Kleidung nachhaltig?
Ziel muss es sein, dass man sich als Konsumentin nicht nur passiv verführen lässt, sondern wieder eine aktive Entscheidungsrolle einnimmt. Die Entwertung von Kleidung hat mit Fast-Fashion-Retailern wie H&M oder Zara extrem zugenommen. Gigantische Werbebudgets kurbeln den Überkonsum zusätzlich an. Uns fällt gar nicht mehr auf, wie absurd die Versprechen der Werbung oft sind. Converse hat seine Turnschuhe etwa mit «Always Unique» beworben. Aber Einzigartigkeit erkauft man sich natürlich nicht mit einem Turnschuh, den jeder Zweite trägt. Man sollte also danach fragen, wieso einen das Produkt anspricht und welches Bedürfnis man damit befriedigen will. So kommt man zu einem aktiven Konsumentscheid, das halte ich für enorm wichtig. Denn wenn man nur nach moralischen Richtlinien konsumieren will und gute von schlechten Produkten unterscheidet, läuft man Gefahr, dass man diese Regeln zu umgehen versucht. Das ist nur menschlich.

Sie haben zu Beginn dieses Gesprächs gesagt, dass Sie nicht furchtlos sind. Wovor fürchten Sie sich?
Im Hintergrund meiner Arbeit für Public Eye steht immer die Frage «Was tolerieren wir als Gesellschaft und was nicht?». Wenn diese Wertedebatte auf Gleichgültigkeit stösst, fürchte ich das tatsächlich.