
Food ist die neue Fashion: Warum gesundes Essen zum Statussymbol wird
Fashionbrands inszenieren ihre Mode mit Lebensmitteln, Influencerinnen kochen in Haute-Couture. Was das über unsere heutige Zeit aussagt.
- Von: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Courtesy of Fila
Kürzlich war ich in Venice Beach in einem sehr hippen Café mit eigener Bäckerei. Ich lebe derzeit in den USA, dem Land des schlechten Brotes, und habe mich wahnsinnig über ein Körnerbrot gefreut, das ich in der Auslage entdeckt hatte. Grinsend brachte ich es zur Kasse und traute dort meinen Ohren nicht. Die Konversation verlief ungefähr so: Verkäufer: «26 Dollar bitte». Ich: «Pardon, 26 Dollar? Ist das Brot aus Gold?» Verkäufer: «Nein, aber da sind super viele gesunde Kerne drin.» Ich kaufte an diesem Tag kein Brot.
Nun kämpfen die USA derzeit besonders mit steigenden Preisen, Eier etwa kosten seit dem letzten Jahr 84 Prozent mehr. Aber auch in der Schweiz sind die Lebensmittelpreise in den letzten drei Jahren gestiegen. Sieben Prozent durchschnittlich, Produkte wie Speisefette und Öle sogar bis zu knapp 30 Prozent. Das Leben mit seinen vermeintlich alltäglichen Produkten wird teurer – aufgrund der allgemeinen Inflation, steigender Energiepreise oder anhaltender Lieferengpässe. Und was ist plötzlich überall in diversen Kampagnen und Social-Media-Beiträgen der High-Fashion-Labels zu sehen? Lebensmittel.
Letzte Woche eröffnete in Los Angeles die neue Jacquemus-Boutique. Man sah dort neben wenigen Kleidungsstücken und Accessoires vor allem einen Berg erlesener Bananen.
Jacquemus hat bereits mit seiner À-Table-Kampagne 2023 seine Mode mit Kirschen und Baguettes inszeniert, gleich taten es ihm Etro, Loewe, Rhode Skin oder Marc Jacobs. Das Pariser Kreativstudio Studio Balbosté hat aus dem Trend gleich ein ganzes Business gemacht: Es kreiert kulinarische Erlebnisse für Events von Luxusbrands. Meistens ist nichts davon zum Essen, sondern reine Dekoration.
Nun war Essen schon immer symbolisch aufgeladen, von holländischen Stillleben über Elsa Schiaparellis Lobster-Kleid bis hin zum Bacon-Kitsch der 2010er – aber die emotionale Bedeutung hat sich verschoben. «In einer Zeit, in der der Zugang zu gutem Essen selbst zum Luxus wird, verstricken sich die Bilder von inszenierten Lebensmitteln zunehmend mit Fragen nach Privilegien, Sehnsüchten und wirtschaftlicher Unsicherheit», sagt Elizabeth Goodspeed, Designhistorikerin, Trendforscherin und Dozentin an der Parsons School of Design, die sich auf die Analyse visueller Kultur an der Schnittstelle von Mode, Kunst und Essen spezialisiert hat.
Was uns heute gezeigt wird, sind nicht schrille Spielereien wie die campe Burger-und-Fritten-Ästhetik von Moschino vor zehn Jahren, nein, es handelt sich besonders um gesunde oder mit Liebe und Zeit hergestellte Produkte: Pralles Gemüse, frisches Bio-Obst oder nachhaltig gezüchteter Fisch präsentiert neben schlanken Körpern.
«Marken wie Moschino nutzten Fast-Food-Logos und Junk-Food-Ästhetik, um den Konsumismus zu parodieren. Heute ist die Food-Ästhetik leiser und romantischer», weiss Goodspeed. «Statt Burger gibt es Tomaten, Kirschen oder Butter auf handgebackenem Brot.»
Die Loewe-Seife aus Tomatenblättern einer traditionellen Tomatensorte für 65 Franken ging viral – und ist einiges günstiger als die Tomato-Clutch aus Leder für 2800 Franken. «Das spiegelt einen ästhetischen Wandel wider – weg von Ironie, hin zu einer neuen Form des aspirativen Minimalismus.» Mit Essen spielt man nicht mehr.
"Weniger Ironie, mehr hochstilisierte Lebensperformance"
Und, klingelt da was, wenn wir uns die Mode der letzten Jahre so ansehen? Genau: Quiet Luxury! Essen wird heute nicht mehr verwendet, um Konsum zu ironisieren, wie es etwa die Chipstüten-Tasche von Balenciaga tat, nein, das Essen selbst wird Ausdruck des guten Geschmacks – im wahrsten Sinne des Wortes. «Das alles ist Teil eines breiteren ästhetischen Wandels: Weniger Ironie, mehr hochstilisierte Lebensperformance», so Goodspeed.
Chanel zeigte 2014 noch Mode im Supermarkt, nun sind die Lebensmittel selbst das Fashion-Statement. Eine Erdbeere für 16 Franken von US-Hype-Supermarkt Erewhon, ein 21 Franken teurer Smoothie von Hailey Bieber, ein 11-Franken-Latte im Prada Café. Eine Art neuer Lippenstift-Index, der besagt, dass der Verkauf von erschwinglichen Luxusgütern wie Lippenstift in wirtschaftlich schwierigen Zeiten steigt, weil sich Konsument:innen mit kleineren Käufen trösten. Obwohl Erdbeere und Latte viel zu teuer sind, sind sie doch sehr viel günstiger als eine Designertasche und bieten trotzdem luxuriösen Content für unsere Social-Media-Accounts.
Influencerinnen wie Nara Smith oder Hannah Neeleman alias ballerinafarm, die in Haute Couture ihr Essen «from scratch» herstellen, sind mit ihrer Tradwife-Ästhetik die It-Girls der Stunde. Dass man sich die Looks der Influencerinnen nicht leisten kann, ist nichts Neues. Wenn man sich aber nicht mal mehr das Gemüse, das man für die Rezepte braucht, die angepriesen werden, leisten kann, wird es kompliziert. Und ist nicht der wahre Luxus die Zeit?
Wer bitte hat Zeit (und Geduld!), einen Bio-Kaugummi für seine Kinder from scratch herzustellen? Healthy ist schon länger das neue Cool und immer mehr auch ein Zeichen von Wohlstand. Was haben Oprah Winfrey, Mark Zuckerberg und Bill Gates gemeinsam? Sie alle haben ihren eigenen Bio-Bauernhof.
Hailey Bieber fällt in der neuen Fila-Kampagne das Gemüse sogar aus ihrer prall gefüllten Einkaufstasche. Elizabeth Goodspeed sagt dazu: «Die Lebensmittel allein sind in dieser Kampagne kein Statussymbol – die lässige Beziehung zu ihnen ist es. Die Botschaft ist: Hailey Bieber kann sich nicht nur so viel frisches Gemüse leisten, wie sie will – sie kann es sich sogar leisten, es zu verschwenden.»
Oder es natürlich gar nicht erst zu essen, denn wer derzeit reich und schön ist, hat sowieso dank der Abnehmspritze Ozempic keinen Appetit mehr. Früchte und Gemüse sind dann so etwas wie die neuen Blumen: Reine Dekoration. Trotz der Massen an Lebensmitteln in Werbe- und Modefotografie, sieht man auffällig selten wirklich essende Menschen. Denn folgt man der Logik des neu befeuerten Kults um Hyperdünnheit, hat ein essender Mensch etwas Vulgäres, er ist schlicht … zu menschlich.
"Wer reich ist, muss nicht mehr essen – und hat damit alle menschlichen Bedürfnisse hinter sich gelassen"
Wer reich ist, braucht nicht mehr zu essen. Wer reich ist, leistet sich Ozempic und hat damit alle menschlichen Bedürfnisse hinter sich gelassen – Willkommen auf dem Gipfel der Selbstoptimierung. Oder hat man jemals ein Mitglied der steinreichen Roy-Familie aus der Serie «Succession» Nahrung zu sich nehmen sehen? Essen verschlingt einzig der angeheiratete Tom, der damit seine «niedere» Herkunft verrät. Gar nicht Essen – das ist Quiet Luxury.
Wer noch nicht ganz bis zur Askese optimiert ist, zeigt indes auf TikTok seinen Kühlschrank – fridge-scape. Khloé Kardashian zeigt in einer pantry tour stolz ihre perfekt organisierte Vorratskammer wie einst Carrie Bradshaw ihren Kleiderschrank.
Elizabeth Goodspeed sieht die Entwicklung von Food zum Statussymbol vor allem kritisch. «Die übermässige Nutzung von Essen als Stilmittel zeigt, wie weit sich die Markenfantasie von der Realität vieler Menschen entfernt hat.» Sollten Lebensmittel anfangs Intimität und Komfort vermitteln, sind sie nun ein weiteres Beispiel dafür, wie Mode Menschen ausschliesst.
Wer es sich leisten kann, isst gesund, den Armen bleibt das Fast Food. Gesundes Essen ist die High Fashion von heute, ungesundes Essen ist wie Fast Fashion – verpönt. «Eine Tomate einer raren Sorte als Verkaufsargument funktioniert nur, wenn sich das Publikum zur Szene zählt und bereit und in der Lage ist, den Preis zu zahlen – doch genau das wird zunehmend fraglich», so Goodspeed.
Vielleicht ist dies aber auch eine bewusste Abgrenzung und Hinwendung zum Elitären. Luxus ist per Definition etwas, das nur wenigen zusteht, oder? Es geht also weniger darum, was man isst, sondern darum, was der Zugang zu gutem Essen über den eigenen Lifestyle aussagt. Gesundes Essen – eine menschliche Notwendigkeit – ist längst zum Luxusgut geworden. Um das nicht zu erkennen, muss man schon Tomaten auf den Augen haben.