
"Sardine Girl Summer": Warum Dosenfisch jetzt plötzlich hot ist
Laut Social Media duftet der aktuelle Sommer nach … na ja, Fisch. Der "Sardine Girl Summer" ist wortwörtlich in aller Munde.
- Von: Linda Leitner
- Bild: Instagram/vicmontanari
Wenn «jemand ein zu kleiner Fisch» ist, spricht man ihm oder ihr die Bedeutung ab. Denn: kleine Fische werden oft wieder ins Wasser geworfen, weil sie nicht genug Ertrag bringen. Von diesem Image komplett freigeschwommen hat sich die Sardine, ein silbern schimmernder Speisefisch, der mit Family and Friends in riesigen Schwärmen durchs Meer zieht und vom Menschen erst in kleinen, bunten Blech-Särgen massenbegraben und dann auf Butterbroten drapiert verspeist wird.
Alternativ trägt man sie neuerdings am statt im Leibe: in Form von Prints hüpft sie im Kollektiv über Kleider, Shirts und Hosen oder leiht Schmuckstücken ihre kleine Schwanzflosse. Von einem zu kleinem Fisch kann hier also keinesfalls die Rede sein.
Das Mailänder Luxushaus Bottega Veneta zeigte bereits in seiner Herbst-/Winterkollektion für 2022 die sogenannte Sardine Bag, deren Griff einem abstrahierten güldenen Fisch nachempfunden war. Der US-Brand Staud stickte das Abbild einer frisch geöffneten Sardinenbüchse auf seine Tommy Bag. Das Ding ging viral und begründete pünktlich zur Ferienzeit den «Sardine Girl Summer» – ein Begriff, der sich in eine lange und durchaus nicht ganz unfragwürdige Tradition der Girl-Summer-Trends auf Social Media einreiht, die stets eine ganz gewisse Ästhetik und Lebensweise zelebrieren.
Weder clean noch brat
Letzten Sommer sollte man besoffen vom Social-Media-Phänomen des «Brat-Summers» auf alles scheissen: den BH unterm transparenten Tanktop, die Tatsache, dass Rauchen schädlich ist und dass ein ausschweifendes Leben einen aschigen Glow macht. Man wollte eine ungezogene Göre sein – ein bisschen schlampig, überdosiert hedonistisch und auch irgendwie forever young and vibrant.
Ihre Gegenspielerinnen: die Clean Girls. Sie standen früh auf, folgten einer rigiden Ten-Step-Skincare-Routine, verachteten Alkohol, Zigaretten und Kohlenhydrate (kurzum: Spass), formten ihren schmalen Astralkörper in teuren Fitnessstudios. Der Lifestyle: reduziert aufs Wesentliche – gut aussehen eben. Und jetzt kommt ein Fisch.
Immerhin: Endlich gehts mal nicht um die Figur! Der «Sardine Girl Summer» sexualisiert und objektifiziert den weiblichen Körper nämlich keinesfalls, vielmehr wird er mit eher unattraktiven Symbolen wie Konservendosen und na ja … Fischgeruch bespielt. Ist das subversiv? Vielleicht. In erster Linie ist so ein kleiner Fisch aber eben auch niedlich – und das passt ganz wunderbar in eine Zeit, in der alle alles «cute» finden und man sich gegenseitig «Maus» nennt.
Ferien zum Anziehen
Wer schon mal am Mittelmeer geurlaubt hat oder hierzulande in einer hippen Küche rumstand, weiss zudem: Sardinen sind für Kenner:innen des schönen Lebens schon lange eine mehr oder weniger geheime Leidenschaft. Die oft bunten und immer hübschen Dosen fungieren als wohl kuratiertes Mitbringsel für Ästhet:innen und werden zuhause nur allzu gerne museal neben der Designer-Zitronenpresse auf dem Regal arrangiert.
Sardinen verkörpern also einen mediterranen Eskapismus – und das ganz ohne Flugticket. Die Dose Fisch auf dem T-Shirt oder die kleine Schwanzflosse um den Hals macht es so einfach, sich mental ans Meer zu beamen. Sie ist Ferienfeeling to go, die Abwesenheitsnotiz im Kopf, die auch vorm Laptop funktioniert. Der Trend bedient eine kollektive Sehnsucht nach Einfachheit – in einer Welt, in der alles komplex und teuer ist.
Die Sardine als «Recession Indicator»
Und da wären wir auch schon bei einem Begriff, der gerade ganz unaufhörlich durch die Modeszene flattert: «Recession Indicator». Ein Rezessionsindikator ist ein wirtschaftliches Anzeichen, das Aufschluss darüber gibt, ob sich eine Volkswirtschaft in einer Krise befindet oder ob eine solche droht. In den 1920ern veröffentlichte der US-amerikanische Ökonom George W. Taylor dazu seine Rocksaumtheorie, wonach Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs dazu führen, dass Röcke durchschnittlich kürzer werden.
Ähnliches wollen US-Medien nun auch der Sardine anhängen: Uns geht es nicht gut, will einem das tanzende Tierchen also sagen. Schliesslich seien Sardinen ein vergleichsweise günstiger, bescheidener und gesunder Fisch (reich an Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, Kalzium und hochwertigem Protein), munkelt man. Sie eignen sich zudem auch als Vorrat in pessimistischen Zeiten – je mehr Sardinen also durch unsere Schränke schwimmen, desto deutlicher wird der Wunsch nach einem simplen Leben. Eine modische Sparmassnahme quasi, sofern man nicht Bottega Veneta kauft.
Zusammen ist man weniger allein
Wer weiss schon, woran es wirklich liegt, dass die Sardine so dermassen viral geht. Der Ausdruck «Wie die Sardinen in der Büchse» deutet eine gewisse Übersättigung schon an. Im Internet haben wir im Gegensatz zum echten Leben nämlich tendenziell immer viel zu viel von allem – zu viele Trends, zu viele Hypes, zu viel Hate.
Das Einzige, was wir dort nicht haben, sind echte Freund:innen. Menschen, mit denen man bei Regen auf dem Sofa kuschelt. Die Sardine lebt uns quasi Nähe vor – frei im Schwarm ihrer Liebsten, sogar tot mariniert in ihrer Blechdose. Vielleicht ist der «Sardine Girl Summer» also das bessere Tinder, das optimalere Bumble Friends, die schönere Insta-Message: der archaische Wunsch nach echter Interaktion. Der perfekte Summer Fling eben.
Ein guter Beitrag und sehr schön formuliert, ein Genuss diesen zu lesen. Weiter so ! LG Dr. Martin Schmidt
lol was ?
moin Frauen, frau sollte nicht so viel Sardienen essen und dafür Werbung machen. Die wenigen Fische die es noch gibt sollten im Meer bleiben und sich vermehren können.
Auf der Kleidung-i.O.
Gut geschrieben.
VG Prof. Dr. Dr. Jörg Becker