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So beeinflusst Corona unser Wohnen

Interior

So beeinflusst Corona unser Wohnen

Viele Bürohäuser stehen leer, Wohnraum hingegen ist knapp und teuer. Dennoch werden wir vermehrt von zuhause aus arbeiten. Welche Lösungen braucht es dafür? Und kann das schön aussehen? Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, gibt Auskunft. 

In Krisenzeiten flüchten Städter aufs Land – wenn nicht physisch, dann zumindest in der Fantasie. Folgt auf die Urbanisierung nun die grosse Stadtflucht?
Mateo Kries: Das wohl nicht. Aber eine gewisse Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land ist spürbar. Das zeigt sich am Erfolg von Zeitschriften, die dieses Bedürfnis bedienen. Oder auch im gewachsenen ökologischen Bewusstsein. Das war schon vor Corona so, hat sich nun aber verschärft. Das Land ist der perfekte Ort für Social Distancing. In Städten will man ja gerade leben, um anderen nah zu sein.

Spiegelt sich diese Sehnsucht auch in der Wohnästhetik?
Auf jeden Fall. In den vergangenen zehn Jahren hat etwa das skandinavische Design – helles Holz, natürliche Textilien – wieder an Bedeutung gewonnen. Und was früher als Öko-Ästhetik verpönt war, gilt heute als cool. Selbst die Zimmerpflanze ist zurück! Und dies, nachdem Indoor-Gewächse während Jahrzehnten komplett aus unserer Einrichtung verschwunden waren.

In der aktuellen Ausstellung des Vitra-Design-Museums werden zwanzig Wohnstile aus den vergangenen hundert Jahren gezeigt. Was waren die erstaunlichsten Veränderungen in dieser Zeitspanne?
Da wir uns auf zwanzig Beispiele konzentriert haben, stehen alle stellvertretend für wichtige Veränderungen in der Zeitgeschichte. Den Anfang macht die Zeitspanne vor dem 2. Weltkrieg, in der die Grundelemente des modernen Interieurs entstanden. Der offene Grundriss, grössere Räume mit viel Licht. In einem weiteren Schritt hat man die Funktionen der einzelnen Zimmer langsam aufgelöst und Räume entwickelt, denen nicht nur eine Funktion zugedacht war.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Küche war früher ausschliesslich zum Kochen gedacht. Heute ist sie zu einem grösseren Raum geworden, in dem man isst und Freunde empfängt. Wichtig sind ausserdem Umbrüche der späten Sechzigerjahre. Damals ist die Gesellschaft offener und demokratischer geworden – und auch das Wohnen wurde unkonventioneller. Das zeigt sich in den Möbeln aus jenen Jahren. Auf den Entwürfen von Verner Panton etwa sitzt man locker und bodennah. Seine Stühle rufen nicht: «Nun setz dich doch mal aufrecht hin!», sondern viel eher: «Entspann dich mal!».

Welche wichtigen Veränderungen haben sich in jüngster Zeit ergeben?
Zum einen verschwindet der einheitliche Einrichtungsstil. Wohnen ist zu einer Art Collage geworden. Man mixt moderne Möbel mit Erbstücken oder Designklassikern. Wir drücken uns also viel mehr in der Kombination von Dingen aus als über einen homogenen Stil. Das wiederum hat auch mit einer Lebenseinstellung zu tun: Unser Leben ist facettenreicher geworden und unsere Biografien entwickeln sich nicht mehr so stark nach einem festen Schema. Und denken sie an Social Media – viele Menschen posten heute ihre Wohneinrichtung, da wird das Wohnen noch stärker zu einer individuellen Ausdrucksform. Als weiteren aktuellen Umbruch sehe ich die Verbindung von Wohnen und Arbeiten, der seinen Anfang nach der Jahrtausendwende genommen hat.

Die Pandemie hat die Überlagerung von Arbeit- und Privatleben zusätzlich vorangetrieben. Wie wirkt sich das auf unsere Wohnkultur aus?
Arbeiten im Wohnbereich war bislang noch eher die Ausnahme. Viele hatten deshalb keinen festen Ort dafür, arbeiteten auf dem Sofa, am Küchentisch oder gar im Bett. Mit der aktuellen Krise ist klar geworden, dass man dieses Arbeitsmodell durchaus auch regelmässiger praktizieren kann. Die zentrale Frage lautet also: Wie lässt sich Arbeit im Wohnbereich tatsächlich verankern? Zumal den meisten von uns fürs Arbeiten zuhause ja kein abgegrenzter Raum zur Verfügung steht.

Wohnraum ist knapp und teuer.
Genau. Deshalb könnten künftig flexible Trennwände vermehrt eine Rolle spielen. Wie der Paravent, ursprünglich ja ein typisches Objekt aus dem 19. Jahrhundert. Ein zentrales Thema bleibt der Bürostuhl. Es sollte ein guter Stuhl sein, aber eben keiner in der typischen Office-Ästhetik. Ein gutes Beispiel aus jüngster Zeit ist hierfür der Drehstuhl Rival von Konstantin Grcic, den er für Artek entworfen hat. Ein Stuhl, der komplett aus Holz gefertig ist, wohnlich ausschaut und beispielsweise gut an einen Esstisch passt. Solche Hybride werden künftig vermehrt gestaltet.

Welche Möbel werden wir ausserdem für die Zukunft brauchen?
Es wird Lösungen brauchen, die das Arbeiten zuhause zwar erlauben, aber gleichzeitig nicht viel Platz wegnehmen. Und am Ende wird es vermehrt auch um Multifunktionalität gehen: Wie kann ich Kochen, Erholung, Arbeit und sportliche Aktivitäten zuhause so komprimieren, dass es angenehm bleibt? Diese Fragen werden Designerinnen und Designer künftig beschäftigen.