Über die Mode hinaus: Wieso Schlaf jetzt superangesagt ist
Einst was für Tote, heute zeitgeistige Obsession: Schlaf ist chic geworden. Na dann gut Nacht.
- Von: Linda Leitner
- Bild: Launchmetrics Spotlight
Erinnert ihr euch noch, als man «Nickerchen» statt «nap» sagte? Als Sich-Hinlegen nicht der Rede wert war? «Ich muss kurz nappen» klingt nach Grundbedürfnis – wie Hunger oder Harndrang. Einige «powernappen» sogar. Es geht ja immer effektiver. Aber warum sind wir so demonstrativ müde?
Auch in der Mode scheint man diesen Herbst maximal ruhebedürftig: Simone Rocha gibt ihren in Negligés aus dem Bett gefallenen Models Kuscheltiere mit auf den Laufsteg, bei Prada wird der dekonstruierte Pyjama zum Büro-Hit und bei Moschino klebt den Girls sogar noch das Kissen am Kopf – vielleicht als Schutzschild gegen das, was auf einen niederprasselt: Kriege, Krisen, pralle Kalender.
Alles schlimm, alles erschöpfend: Wir leben offiziell in einer Burn-out Culture, in der man sich lieber augenreibend das Duvet umschnallt, statt sich gestresst in eine steife Hose zu zwängen.
Vorbei ist die Hustle Culture der 2010er-Jahre, in der es als chic galt, überarbeitet zu sein. Schlaf war was für Schwache – oder Tote. Yolo – you only live once –, betete und tätowierte man. Mit dem Siegeszug von Remote Work und eingesparten Arbeitswegen etablierten sich Freiheiten – unter anderem die, länger zu snoozen.
"Schlaf ist Luxus, eine Fantasie, so begehrenswert wie eine Chanel Bag"
Die Option auf Pausen führte kollektive Erschöpfung vor müde Augen. Hustlen war plötzlich verpönt – stattdessen avancierte die Sorge um die körperliche und mentale Gesundheit zum Heiligen Gral. Wer was auf sich hält, geht drum auch früh ins Bett.
Aktuell kursiert auf Tiktok der Trend des «Sleepmaxxings», bei dem es darum geht, Schlaf zur obersten Priorität zu machen und Dauer und Qualität eskalieren zu lassen.
Schlaf ist Luxus, eine Fantasie, so begehrenswert wie eine Chanel Bag. Schon im Märchen «Die Prinzessin auf der Erbse» von Hans Christian Andersen versuchte sich das blaue Blut an einer möglichst guten Nacht – mit einem Stapel Matratzen, um sich am winzigen Gemüse darunter nicht zu stören.
Heute würde man ihr Diverses anbieten: den viral gegangenen Sleepy Girl Mocktail zum Beispiel – ein relaxender Zaubertrank, den man aus Magnesiumpulver des Lifestyle-Brands Moon Juice, Sauerkirschsaft, Soda und Eis mixt. Alternativ White-Noise-Maschinen, Tapes über dem Mund, Rotlichtlampen, die die Melatonin-Produktion anregen, klimatisierte Smart Beds mit Lautsprechern für geführte Meditation und Health-Check-Funktion oder gar eine Schlaftherapie in einem Luxusresort.
Ja, Sleep Tourism boomt. Anstatt möglichst viel von der Welt zu sehen, zahlen am Ruhepuls der Zeit Lebende viel Geld, um sich in ein fremdes Bett zu kuscheln, das Kissenmenü zu studieren und die Ferien komplett zu verschlafen.
Wo soll das hinführen? Als der dänische Designer Nicklas Skovgaard seine Kollektion für den kommenden Sommer zeigte, sass das Publikum statt auf Stühlen in blütenweissen Betten am Rande des Runways. Heisst: Wir bleiben müde.