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Vino&Veritas: Sommelière Shirley-Ann Amberg über Etiketten- Trinker

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Vino&Veritas: Sommelière Shirley-Ann Amberg über Etiketten- Trinker

Shirley-Ann Amberg ist Sommelière im Haus Hiltl in Zürich.

Etiketten-Trinker sind Leute, die sich einige Kenntnisse angeeignet haben, aber auf halbem Weg stecken geblieben sind. Sie sind besonders anfällig für die Werbung. Sie verwechseln alt mit oxidiert, bouquetreich mit aufdringlich und gut konstituiert mit rau.

Dank Etiketten-Trinkern lassen sich durchschnittliche Weine und Jahrgänge gut absetzen. So steht bei schweizerischen, deutschen und österreichischen Weinen sowie Weinen aus Übersee die Rebsorte prominent auf der Etikette. Das erleichtert – wenn man sich mit Rebsorten auskennt – einiges.

Bei Qualitätsweinen aus Frankreich, Italien und Spanien fehlt diese Angabe (oder sie befindet sich im Kleingedruckten auf der Rückseite). In diesen Ländern zählt an erster Stelle die Region. Wer wissen möchte, ob er es mit dem Wein eines Weinguts oder dem Produkt eines Massenabfüllers zu tun hat, sucht nach dem Abfüller bei «mise en bouteille», «imbottigliato» oder «embottelado». Wird auf den Erzeuger verwiesen (Weingut, Château, Propriété, Domaine, Azienda, Tenuta, Bodega usw.), handelt es sich meist um ein handwerkliches Produkt. Steht da eine Nummer, eine Handelsgesellschaft oder «abgefüllt für» deutet dies auf grössere Gebinde hin. Munden kann beides.

Eine Lagenbezeichnung kann also eine Marketingmassnahme sein oder auf einen bedeutenden Weinberg verweisen. Da muss man sich gut auskennen. Das gilt für Italien, Übersee und weitgehend auch für Spanien. Frankreich hingegen besitzt ein raffiniertes, über Jahrhunderte gereiftes System der Weinberg-Klassierung, die Cru Classé. Die Bezeichnungen Grand Cru oder Premier Cru haben also fast immer etwas mit Qualität zu tun. Und mit dem Preis.