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Was es mit vermeintlich humorlosen Models auf sich hat

Was es mit vermeintlich humorlosen Models auf sich hat

Mode wird selten an grinsenden Models gezeigt – auch bei annabelle. Warum eigentlich? Eine kurze Kulturgeschichte der Heiterkeit auf Bildern.

  • Von: Leandra Nef
  • Bild: Landmark Media / Alamy Stock Photo

«Fashion Stole My Smile», die Mode hat mein Lächeln gestohlen – dieses Statement auf ihrem Shirt führte Victoria Beckham 2017 am Flughafen von Los Angeles spazieren. Sie, die öffentlich wieder und wieder für ihr «Resting Bitch Face» angefeindet wird (weil Frauen scheinbar unaufhörlich lächeln müssen in dieser Welt), wollte sich damit selbst auf die Schippe nehmen, sagte sie der «Vanity Fair».

Dass Mode und die, die sie präsentieren, selten Spass zu haben scheinen, ist auch euch aufgefallen, liebe Leser:innen; ihr kritisiert uns manchmal dafür: Warum blicken die Models in unseren Modestrecken so grimmig aus der modischen Wäsche? Warum können die nicht mal lachen? Gute Frage.

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"Lächelnde Brands sind die billigen"

annabelle-Modechefin Nathalie De Geyter beantwortet sie so: «Lachende Models wirken schnell werberisch in Modestrecken, die doch vor allem der Inspiration dienen, in eine modische Utopie entführen wollen.» In Modestrecken, die die Leser:innen im Gegensatz zu Werbeanzeigen nicht in erster Linie zum Kauf animieren wollen. Dabei verkaufen sich angeblich sogar Magazine am Kiosk besser, wenn das Covermodel vom Titel strahlt.

Die Tragikomödie «Triangle of Sadness», mit der Regisseur Ruben Östlund 2022 die Goldene Palme von Cannes gewann, beleuchtet in einer vielbesprochenen Szene gar die Korrelation zwischen Antlitz und konkreter Absatzstrategie: Männermodels posieren abwechselnd für eine fiktive Balenciaga- respektive H&M-Kampagne.

Posen sie für das avantgardistische Luxushaus, senken sie Kinn und Blick, funkeln aus bösen Augen. Tun sie es für den Fast-Fashion-Giganten, ziehen sie Augenbrauen und Mundwinkel hoch, zeigen Zähne; einer bemerkt: «Lächelnde Brands sind die billigen.» Offenbar gehört das Lächeln heute zu einem Produkt, das die breite Masse ansprechen soll.

Warum lachend Models nicht auf den Runways?

Warum lachen die Models dann nicht auf den Laufstegen? Sollen sie nicht die Einkäufer:innen in der ersten Reihe von einer möglichst umfangreichen Bestellung überzeugen, den Modejournalist:innen die Idee einer Berichterstattung verkaufen?

Vanessa Friedman, Modekritikerin der «New York Times», konstatiert in einem Essay zum Thema sarkastisch, dass es nun mal nicht besonders lustig sei, in zu kleinen oder zu grossen Schuhen über den Runway zu stolpern. Abgesehen davon wirke ein glückliches Gesicht über die Länge eines solchen wie eine starre Grimasse. Man frage sich unweigerlich, ob das Model «irgendwo ein Messer versteckt» habe.

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"Das Lachen – doch kein Verkaufsgarant?"

Tatsächlich gab es in vielen Jahrzehnten, etwa in den Siebziger- und mit den Supermodels Cindy, Linda und Co. auch in den Neunzigerjahren, Phasen, in denen die Models lächelnd über die Laufstege defilierten (und bei Emporio Armani tun sie es manchmal noch heute).

Bei der verstorbenen französischen Modeschöpferin Sonia Rykiel hüpften sie gar freudestrahlend über den Catwalk. «Furchteinflössend» sei das jeweils gewesen, meint Friedman. Und gibt zu bedenken, dass all das Gegrinse nicht zuletzt von der Mode ablenke. Auch den Armani-Models nimmt man ihr Lächeln nicht ab; vielleicht, weil man ahnt, wie viel eiserne Disziplin und schmerzlichen Verzicht so ein Modelleben fordert.

Ein Model, das auf Befehl lacht, verkörpert so das Gegenteil des Selbstbewusstseins, das die Kleidung doch versprechen will. Und bei einem Brand wie Balenciaga würde ein Lachen zum dystopischen Look wohl schlicht wie ein schlechter Witz anmuten. Das Lachen – doch kein Verkaufsgarant?

Wenn man damit so viel Presse generiert wie Naomi Campbell schon: Das Topmodel brach bei einer Modeschau von Vivienne Westwood 1993 auf dem Boden hockend in Gelächter aus, nachdem sie auf ihren Plateau-Heels ins Straucheln geraten und filmreif gestürzt war – allerdings nicht aus Amüsement, wie sie später verriet, sondern aus Scham. Sie erzählte auch, dass andere Designer:innen sie daraufhin anflehten, auf ihren Runways ähnliche Spektakel aufzuführen, sie sich aber stets weigerte, sich absichtlich zum Clown zu machen.

Macht lächelt selten

Ein Blick in die Kunstgeschichte offenbart Ähnliches: Wer sich royale Gemälde vergangener Jahrhunderte anschaut – damals wurden vor allem Adlige porträtiert; sie waren es, die ein Leben voller Geld und Schönheit personifizierten –, entdeckt darauf kaum je ein Lächeln.

Colin Jones, Geschichtsprofessor an der Londoner Queen-Mary-Universität, beschäftigt sich in seinem Buch «The Smile Revolution in Eighteenth-Century Paris» mit westlicher Porträtmalerei. Er schreibt: «Vor der Moderne verkörperten Monarchen Macht – und Macht lächelt selten.»

Laut Jones deutete ein offener Mund lange auf einen plebejischen statt einen elitären Status, auf Torheit und Zügellosigkeit hin, «die an Wahnsinn grenzen». Noch bis ins mittlere 18. Jahrhundert hätte eine Person, die sich lächelnd darstellen liess, «riskiert, als Verrückter eingesperrt zu werden». Oder als Trinker:in oder Untertan:in verspottet.

"Es ist bis heute umstritten, ob das bekannteste Lächeln der Welt wirklich ein Lächeln zeigt"

So ist bis heute umstritten, ob das bekannteste Lächeln der Welt wirklich ein Lächeln zeigt. Leonardo da Vinci bediente sich für das um 1506 fertiggestellte Ölgemälde von Mona Lisa der mehrschichtigen Sfumato-Technik. Florian Hutzler, Professor für Neurokognition an der Universität Salzburg, erklärte deren Wirkung gegenüber der «Süddeutschen Zeitung» so: Mona Lisas Lächeln stecke in den graduellen Helligkeitsunterschieden ihrer Mundwinkel, wahrnehmen tue es nur, wer ihr nicht direkt auf den Mund, sondern etwa in die Augen schaue. Ein seiner Zeit angemessen verstecktes Lächeln quasi.

Mit der Tradition der ernsten Mienen gebrochen hat im späteren 18. Jahrhundert die Porträtmalerin Louise-Élisabeth Vigée-Le Brun, die nicht nur sich selbst, sondern auch Marie Antoinette, der Modeikone ihrer Zeit, ein Lächeln auf die Lippen pinselte. Andere bedeutende Künstler:innen taten es ihr gleich, der Westen erlernte die Kunst des Lächelns.

Auch der Philosoph Jean-Jacques Rousseau und seine Lobpreisung der Emotionen sollen zu diesem Wandel beigetragen haben. Mit der Französischen Revolution 1789 hatte es sich für die Mächtigen allerdings bald schon wieder ausgelacht, im realen Leben genauso wie auf den Porträts – zwischenzeitlich zumindest.

Lächeln für Sympathiepunkte

Nicht zu unterschätzen ausserdem, dass Porträtierte damals lange Modell sitzen mussten, ihr Lächeln also ähnlich verbissen gewirkt hätte wie jenes der von «NYT»-Kritikerin Friedman beschriebenen Laufstegmodels. Anders die Queen 2005: Der später wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Künstler Rolf Harris malte das Ölporträt zu ihrem achtzigsten Geburtstag mitunter von einem Foto ab, nachdem er die lächelnde (!) Königin nur kurz hatte stillsitzen lassen.

Das Gemälde soll denn auch nicht Macht, sondern laut Harris «die warme und freundliche Persönlichkeit der Königin» demonstrieren. Auch auf den Porträtfotografien der Queen zu ihrem 88. Geburtstag, aufgenommen von David Bailey, und ihrem Siebzig-Jahre-Thronjubiläum, fotografiert von Ranald Mackechnie, grinst sie beinahe in die Kamera. Ihre Vorfahr:innen wären not amused.

Verbesserte Zahnmedizin führt zu «Cheese»

Apropos Porträtfotografie: Zu guter Letzt beeinflusste auch die verbesserte Zahnmedizin und -hygiene den Gesichtsausdruck der Porträtierten. Gerade auf Fotos, in denen man vor der Erfindung der Veneers und Bildbearbeitungsprogramme und anders als in Gemälden nichts schönmalen konnte, und gerade bei den Fotografien des gemeinen Volkes; erst seit den 1940er-Jahren kennt es den Ausdruck «Cheese!». Mit faulen oder fehlenden Zähnen ist nun mal nicht gut lachen.

Ausser natürlich, man ist sieben: Zur Feier des Geburtstags von Prinz Louis veröffentlichten seine Eltern William und Kate ein Foto auf Instagram, das ihn stolz lächelnd mit fehlenden Schaufeln zeigt. Und während ein ihm nicht unähnlich sehender Junge mit demselben bestechenden Grinsen Kinderschokolade anpreist, lachende Covermodels Magazine, H&M-Testimonials Schnäppchen, Hollywoodstars Filme und Inf luencer:innen sich selbst, verkaufen Prinz Louis und seine Familie den Brit:innen mit polierten Beisserchen nicht weniger als die Illusion von Authentizität und Volksnähe – die britische als de facto parlamentarische Monarchie ist heute ein einigermassen zahnloser Tiger und entsprechend vom Wohlwollen ihres Volkes, von der breiten Masse abhängig. Die Aristokratie tut, was die Avantgarde der Mode bisher tunlichst vermeidet: sich anbiedern.

Seht es also gern als Zeichen verkäuferischer Zurückhaltung zugunsten modischer Inspiration, wenn euch bei uns das nächste Mal ein nüchtern dreinschauendes Model entgegenblickt.

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