Werbung
Wie ist es eigentlich, ein richtiger Nerd zu sein?

Stil

Wie ist es eigentlich, ein richtiger Nerd zu sein?

  • Aufgezeichnet von Anja BrogerFoto: SXC

Daniel Ebli* (27), aus Sargans, würde sich selbst als Nerd bezeichnen.

Leute meinen, ich sei ein komischer Kauz. Ein Sonderling, der lieber Computerspiele spielt und Zinnfiguren sammelt, als mit Gleichaltrigen Party zu machen. Sie haben recht, so bin ich: ein klassischer Nerd eben.

Heute klingt Nerd schon fast nach was Coolem. Grosse Brillen, zugeknöpfte Karohemden und hoch geschnittene Hosen sind trendy. Dass nun auch ich plötzlich für cool gehalten werde, halte ich dennoch für eher unwahrscheinlich. Mein Bauch ist gut gepolstert, die Frisur praktisch, wohnen tue ich noch bei meinen Eltern, die Autoprüfung habe ich nicht. Ich trage zwar eine grosse Brille. Aber solche Nerd-Accessoires sind doch nur an den richtigen Leuten stylish – an Typen, die eh schon stylish sind.

Die Zinnfiguren; Ritter, Herrscher, Krieger, sammle ich seit 17 Jahren. Sie gehören zu einem Brettspiel. Ein Grossteil dieses Spiels besteht darin, die Figuren zu bemalen. Ich bin nicht besonders geduldig und künstlerisch eher unbegabt, deshalb sind meine Figuren nicht hübsch anzuschauen. Wenn ich meine Figuren mit denjenigen anderer Spieler vergleiche, merke ich, wie schlecht ich im Grunde bin. Ich nehme es mit Humor.

Das mit dem Computerspielen hat ebenfalls früh angefangen, etwa in der sechsten Klasse. Entdeckten damals die anderen Kinder ein Computergame, hatte ich es schon längst zu Ende gespielt. Garantiert. Fange ich mal an zu gamen, bin ich stundenlang damit beschäftigt. Einmal habe ich fast zwei Tage und zwei Nächte durchgespielt. Nach 40 Stunden beschloss ich, den Schwachsinn zu beenden.

Zurzeit bin ich arbeitslos, mein Alltag ist etwas eintönig. Bis neun Uhr schlafe ich, dann gibt es Frühstück. Bis zum Mittagessen sitze ich am Rechner. Danach erledige ich ein bis zwei kleinere Dinge, um danach wieder an den PC zu sitzen. Ich sehe selten fern, wenn, dann schaue ich mir Serien und Filme am Computer an. Oft plaudere ich mit meiner Mutter, auch über Nerd-Kram. Sie versteht zwar nicht immer, was ich meine, sie hört mir aber trotzdem immer liebevoll zu.

Vorbilder habe ich keine. Bill Gates ist genial, und Steve Jobs war es, trotzdem sehe ich die beiden nicht als meine Idole. Ich war auch nicht, wie viele andere Nerds, geschockt über Steve Jobs’ Tod. Natürlich war das tragisch für seine Familie, aber doch nicht für mich! Ich kannte ihn ja nicht. Genauso wenig kannte ich die Opfer der Tsunami-Katastrophe in Japan. Auch das war schrecklich, klar, aber was soll ich um Menschen weinen, deren Namen ich noch nie gehört habe? Man mag das herzlos finden, aber ich bin halt so. Und ich stehe zu mir.

Ich habe zwei Lieblingsschauspielerinnen: Zooey Deschanel und Ellen Page. Die haben tolle Stimmen, und ich meine die originalen. Ich sehe mir Filme nie synchronisiert an. Kürzlich wurde ich gefragt, welches mein Lieblingsfilm sei. «Star Wars» gefällt mir, aber noch öfter habe ich mir die «Rocky Horror Picture Show» angesehen. Aber ich bin nicht schwul! Das denken viele, weil ich noch nie eine Freundin hatte. Ich kann gut leben ohne. Sicher wäre es schön, Momente und Interessen gemeinsam zu teilen, aber … es ist nun mal so, wie es ist. Vielleicht kommt die Richtige ja bald. Dann würde ich von zuhause ausziehen und für sie und mich ein schönes Heim suchen.

Im April ging ich mit Freunden auf Reisen. Wir fuhren mit einem Lastwagen nach Italien, verschifften Fahrzeuge und Gepäck, schipperten rüber nach Afrika und fuhren dort weiter in die Wüste. Mit Quad, Töff und Laster ging es über Dünen und durch Sandstürme. Geschlafen wurde im Freien. Sind das typische Nerd-Ferien – ich weiss nicht?

Mein Leben ist vielleicht anders als das der meisten, aber irgendwo bin ich doch auch ganz normal. Im Grunde steckt doch in jedem ein kleiner Nerd. Ich schreibe jedenfalls keine Gleichungen auf imaginäre Tafeln und gehe nicht mit einem Superheldenkostüm auf die Strasse. So freakig, wie Nerds oft dargestellt werden, etwa in «The Big Bang Theory», sind die wenigsten. Ich mag die Serie übrigens.

Wenn ich gefragt werde, wie es ist, ein Nerd zu sein, antworte ich immer: verdammt cool!

* Name von der Redaktion geändert

Next Read