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Wie ist es eigentlich, einen lebendigen Käse zu essen?

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Wie ist es eigentlich, einen lebendigen Käse zu essen?

  • Aufgezeichnet von Yvonne StaatFoto: Getty Images

Jeanet Fritz (31) Erfurt (Deutschland)

Damit nicht gleich alle loslachen und denken: «Was macht die bloss für ein Theater wegen eines Bissens Käse!» – zuerst mal einige Worte über den Milbenkäse. Der lebt nämlich. Millionen von Milben fressen sich von der Rinde bis ins Zentrum. Der Speichel, den sie dabei absondern, macht den Käse reif. Wenn ich nur dran denke, krieg ich schon wieder Gänsehaut! Ein Laib hat die Länge eines Zeigfingers, ist etwa doppelt so dick und liegt mindestens ein Jahr in einer Holzkiste voller Roggenmehl, bevor man ihn isst. Ist das dann noch Käse oder nur noch krabbelnde Milbenmasse?

Gute Frage. Das Mehl in der Kiste ist ja als Zusatzfutter gedacht und soll verhindern, dass die Viecher den ganzen Käse auffressen. Mein Mann und ich fuhren also ins Milbenkäsemuseum nach Würchwitz in Sachsen-Anhalt. Vor einiger Zeit hatte ich im Fernsehen einen Bericht über Luxuslebensmittel gesehen, da ging es auch um diesen Käse. Sogar Slow Food hat den im Programm. Das hat uns neugierig gemacht, und Würchwitz liegt praktisch um die Ecke. Ein kleiner Tipp: Sollte irgendjemand mal hinfahren, dann vor der Degustation auf keinen Fall durchs Mikroskop schauen! Wir haben das leider gemacht – hast du erst einmal diese Bilder im Kopf, musst du dich überwinden, den Käse überhaupt anzufassen. Essen? Fast unmöglich! Unterm Mikroskop wimmelte es. Die Milben sehen aus wie kleine Spinnentiere, mit dickem Körper, vorne haben sie eine Art Barthaare. Es gibt Babymilben und erwachsene Milben, das sieht man alles. Die Babys sind kleiner und haben nur sechs Beine. Die grossen haben acht. Dann gibt es noch die trächtigen, die richtig fett sind. Man sieht auch, wie die ihre Nahrung transportieren, also das Mehl und die Käsestücke. Die Mutter geht voran, und die Kleinen hinterher.

Dann gings zur Degustation: Schwarzbrot, Butter und – eben. Männer sind da übrigens gar nicht mutiger als Frauen. Meiner liess sich die Rinde abschneiden. Dabei sind die Viecher überall, aber vielleicht hat es ihm mental geholfen. Es ist ja ein Kopfding, du musst irgendwie diese Bilder ausschalten. Ich wollte zuerst gar nicht. Kommt dazu, dass der Käse nach abgestandenem Urin stinkt, wegen dieser Speichelsekrete. Dann fand ich: «Du bist jetzt bis hierher gefahren, jetzt ziehst du das auch durch!» Ich hielt mir die Nase zu und dachte beim Kauen die ganze Zeit: «Das ist nur Brot und Butter! Das ist nur Brot und Butter!» Um die Bilder zu killen. Ich spürte so ein Prickeln im Mund, obwohl das gar nicht möglich ist. Aber wenn man weiss, dass man in diesem Moment auf Abertausend Milben rumkaut, lässt sich das wohl nicht vermeiden. Mir standen die Haare zu Berg. Es war ekelhaft. Nicht der Käse, aber … Ich kann das nicht beschreiben. Diese Vorstellung, dass in dir drin jetzt was Lebendiges rumkriecht – das hält man fast nicht aus.

Ich esse Fleisch. Komisch, dass ich null Probleme habe, tote Tiere zu essen. Ich denke, so tickt der Mensch. Vielleicht ist es ein Tabu, etwas Lebendiges zu essen. Andererseits leben Austern ja auch noch. Aber die bewegen sich nicht, da ist es einem weniger bewusst. Nach der Degustation wurde ich das Gefühl nicht los, dass in meinen Zahnzwischenräumen, in der Mundhöhle und der Speiseröhre irgendetwas rumkrabbelt. Schrecklich! Der Museumsdirektor brachte mir zwei Liter Wasser, die ich sofort runterspülte, dann noch eine Birne. Geholfen hat es nicht. Wenn ich ehrlich bin, hab ich das Gefühl heute noch. Plötzlich kann es passieren, dass ich zusammenzucke oder dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Ekel hält lange an. Er lässt sich auch  schwer in Worte fassen. Du überschreitest eine Grenze. Eine uralte Grenze. Alles in dir schreit Nein.

Mein Mann wollte dann sogar eine Kiste Milbenkäse kaufen. Die steht jetzt bei uns, aber ich geh da nicht hin, um die kann er sich kümmern. Obwohl ich zugeben muss: Der Käse an sich war gut.