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Wie nachhaltig ist der Trend, Essen zu Bergen aufzutürmen?

Wie nachhaltig ist der Trend, Essen zu Bergen aufzutürmen?

Auf Events, Dinners und Apéros wird Nahrung opulent inszeniert – als Augenschmaus für Social Media. Ist das Kunst oder kann das weg? Beziehungsweise: Wohin mit den Werken, die sich keiner essen traut?

Baguettes in Form von Kleiderbügeln baumeln im Raum, eine Herde Aprikosen kuschelt auf der Tafel. Daneben: massive Käselaibe, Kerzenständer aus Butter. Darüber: Lüster aus Trauben. Darunter: Gäste, die fotografierend um den Tisch flattern. Das Rezept des Foodstyling-Trends scheint einfach: Die Zutaten einer simplen Brotzeit türmen sich wie zufällig und fotogen vor einem auf.

Hier wird geblitzt, dort die Nachbarin aus dem Bildausschnitt gedrängt. «Das Buffet ist eröffnet», hört man auf Veranstaltungen von Mode- und Beautybrands, die ein derart opulentes Catering buchen, ungern. Das Motiv zerstören? Gott bewahre! Was also bleibt, wenn alle gepostet haben? Diverse Likes, viele Reste. Wie passt derart stilisierter Überfluss in eine Zeit voller Krisen und gelebter Nachhaltigkeit?

Mehr ist mehr ist mehr

Die Berlinerin Hannah Kleeberg verdankt ihm ihren Erfolg: In ihrem Culinary Studio Herrlich Dining buk sie für eine Zusammenarbeit mit Google an Weihnachten ein kleinkindgrosses Vanillekipferl und feierte mit einem Christbaum aus gestapelten Kohlköpfen.

So mancher ihrer Instagram-Posts bekam über 100 000 Likes. In Workshops zeigt sie, wie man Cowboyboots oder Vitra-Stühle aus Butter formt. Ebenfalls mit Butter schrieb die Basler Foodstylistin und Köchin Evelyne Chadwick Wyss ihren Gäst:innen am Valentinstag heisse Liebesbriefe auf den Teller. Haben diese jungen Frauen nicht gelernt, dass man nicht mit Essen spielt?

Fun Dining statt Fine Dining

So nennt Kleeberg ihr Konzept, das zwischen Design und Kulinarik changiert – ein Geschäftsmodell, das die New Yorkerin Laila Gohar als Erste für hochkarätige Kundschaft inszenierte. Für das Auktionshaus Sotheby’s erbaute sie einen Turm aus Tiefseehummer, die Dinnertafel des Luxusbrands Hermès schmückte sie mit perlengespickten Rübenpyramiden.

Die hohe Kunst des Tischdeckens ist eine alte: In der Antike inszenierten die Römer:innen Festmähler als dekadentes Spektakel. Im Zeitalter von Barock und Rokoko wurden ganze Landschaften aus Zuckerwerk und Wildpasteten errichtet. Während man sich im 20. Jahrhundert mässigte, lockte die Pandemie zurück in den Maximalismus. Der Lockdown liess uns zuhause nicht nur Sauerteig ansetzen, sondern auch wild arrangieren – kulinarische Installationen erhoben sich auf Social Media wie tektonische Eruptionen.

Null Zero Waste?

In der heutigen Realität der hippen Events bedeutet dies: Die Deko wäre komplett essbar – konsequenter Konjunktiv. Nach den Tischen laufen nämlich oft die Mülleimer über. Immerhin: Hannah Kleeberg kocht Marmelade aus ihren Fruchtskulpturen und Evelyne Chadwick Wyss legt ihren Nachbar:innen Reste in die Briefkästen, fermentiert und gefriergetrocknet Teile ihrer kulinarischen Fieberträume. Was verstörend schön wäre: Wenn die It-Crowd am Ende der Events die von Tomatensauce vergilbte Tupperware aus der It-Bag zöge.

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